"Interkulturelle Öffnung" in Behörden
Menschen mit Migrationsgeschichte erleben noch immer hohe Zugangshürden und Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Das trifft auch auf den öffentlichen Dienst zu. Um ausgrenzenden Strukturen entgegenzuwirken, ist in den letzten Jahren die Strategie der "interkulturellen Öffnung" populär geworden. Dabei geht es einerseits darum, das Angebot von Behörden an eine kulturell vielfältige Gesellschaft anzupassen. Anderseits sollen in Belegschaften mehr Menschen aus Einwandererfamilien vertreten sein.
Was ist "interkulturelle Öffnung"?
Wenn Behörden sich bemühen, mehr Menschen mit "Migrationshintergrund" einzustellen, wird das häufig unter dem Stichwort "interkulturelle Öffnung" zusammengefasst. Dieser Begriff wird jedoch von Expert*innen kritisiert: Er unterstelle, dass Menschen aus Einwandererfamilien kulturell "anders" sind und sich daher schwerer in den Arbeitsmarkt integrieren lassen.
Viele Fachleute sprechen daher lieber von "Diversity Management" und Vielfalt. Ziel von "Diversity Management" in Unternehmen, Organisationen oder Verwaltungen ist es, Vielfalt in der Belegschaft zu fördern. Arbeitgeber*innen versuchen, ein diskriminierungsfreies Umfeld für Mitarbeitende zu schaffen und neue Kolleg*innen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Talenten zu gewinnen. Wirtschaftlichkeit und Positionierung am Markt stehen bei „Diversity Management“ stärker im Vordergrund als bei „interkultureller Öffnung“.
Die Diversity-Dimensionen umfassen neben ethnischer und nationaler Herkunft auch Alter, körperliche und psychische Befähigung, Geschlecht, sexuelle Orientierung sowie Religion oder Weltanschauung.
Wie viele Mitarbeiter in Bundesbehörden haben Migrationshintergrund?
Menschen aus Einwandererfamilien sind in der Bundesverwaltung unterrepräsentiert. Das zeigt eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) von 2019. Das BIB hat Beschäftigte von 55 Behörden der Bundesverwaltung befragt, darunter Ministerien, die Bundespolizei und Bundesgerichte. Aus der Studie geht hervor:
- In den befragten Behörden hatten 12 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung waren es 26 Prozent. Menschen aus Einwandererfamilien sind damit in der Bundesverwaltung unterrepräsentiert.
- Besonders unterrepräsentiert sind Migrant*innen, die selbst zugewandert sind: Ein Drittel der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in Behörden ist selbst zugewandert (rund 36 Prozent). Unter allen Erwerbspersonen mit Migrationshintergrund sind es 76 Prozent. Quellen
Die Befragung zeigt, dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund unter schlechteren Bedingungen arbeiten als ihre Kolleg*innen ohne Einwanderungsgeschichte:
- Sie hatten deutlich öfter befristete Verträge und sind häufig überqualifiziert: Knapp 20 Prozent der Beschäftigten mit Migrationshintergrund waren in unsicheren, befristeten Arbeitsverhältnissen angestellt. 18 Prozent übten eine Arbeit aus, für die sie gemäß ihrer Bildungsabschlüsse überqualifiziert waren.
- Sie werden seltener verbeamtet und gelangen seltener in Führungspositionen. In beiden Bereichen stellen sie zehn Prozent der Beschäftigten.
- Sie sind häufiger im einfachen Dienst tätig. Dort machen sie knapp 18 Prozent des Personals aus.
- Sie erleben etwas häufiger Diskriminierung als ihre Kolleg*innen ohne Migrationshintergrund (35 im Vergleich zu 33 Prozent). Deutlich häufiger als Beschäftigte ohne Migrationshintergrund nannten sie die ethnische Herkunft als Grund der Diskriminierung (4,3 im Vergleich zu 0,1 Prozent). Beide Gruppen, mit und ohne Einwanderungsgeschichte, nannten ein fehlendes Netzwerk als häufigsten Grund dafür, warum sie bei Bewerbungen oder Beförderungen benachteiligt würden.
- Trotz dieser Chancenungleichheit zeigen Beschäftigte mit sogenanntem Migrationshintergrund eine höhere Arbeitszufriedenheit und Verbundenheit mit der Behörde. Das berufliche Wohlbefinden aller Mitarbeitenden erhöht sich, wenn Maßnahmen zur Erhöhung der Vielfalt getroffen werden (Diversitätsklimaindex).Quelle
Wie viele Mitarbeiter in Behörden der Bundesländer haben einen Migrationshintergrund?
Beschäftigte aus Einwandererfamilien sind im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert. Das geht aus dem Integrationsmonitoring der Bundesländer (Stand der Erhebung: 2021) hervor:
- Im Bundesgebiet hatten 14,6 Prozent aller Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst eine "Migrationsgeschichte". Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung lag der Anteil von Menschen aus Einwandererfamilien 2021 bei rund 25,3 Prozent.
- Frauen mit "Migrationsgeschichte" waren 2021 etwas häufiger im öffentlichen Dienst vertreten als Männer: So hatten 14,8 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst eine "Migrationsgeschichte". Unter den männlichen Beschäftigten kamen 14,2 Prozent aus Einwandererfamilien.
- Baden-Württemberg hatte mit über 20 Prozent den höchsten Anteil von Beschäftigten mit "Migrationsgeschichte" im öffentlichen Dienst. Der Anteil von Menschen aus Einwandererfamilien in der dortigen Bevölkerung betrug rund 33 Prozent.Quelle
Das Land Berlin hat 2024 eine umfangreiche Befragung unter mehr als 31.000 Beschäftigten durchgeführt. 21,7 Prozent von ihnen haben angegeben, dass sie einen "Migrationshintergrund" haben. Bei jüngeren Beschäftigten ist der Anteil deutlich höher: Bei den bis 29-Jährigen lag er bei 34,3 Prozent.Quelle
Wenn man nur auf die Führungsebene der Verwaltung schaut, gibt es dort noch weniger Menschen mit Migrationshintergrund. Laut einer Untersuchung des DeZIM-Instituts von 2019 hatten dort nur 4,6 Prozent einen Migrationshintergrund. Untersucht wurden die Führungskräfte in "der Ministerialverwaltung (Bundes- und Landesebene), Bundesbehörden, europäische und regionale öffentliche Verwaltung".Quelle
Wie viele Mitarbeitende beim Verfassungsschutz haben einen Migrationshintergrund?
Über Mitarbeiter mit "Migrationshintergrund" beim Verfassungsschutz liegen kaum Daten vor, wie eine Recherche des MEDIENDIENSTES zeigt. Das gilt für das Bundesamt für Verfassungsschutz und zwölf Landesämter. Ausnahmen bilden hier nur:
- Hamburg: Zehn Mitarbeiter hatten 2016 einen Migrationshintergrund, das sind 6,6 Prozent der Belegschaft. Der Anteil hat sich seit 2014 mehr als verdoppelt – damals waren es 2,7 Prozent.
- Niedersachsen: 4,4 Prozent der Mitarbeiter stammen aus Einwandererfamilien. Zum Vergleich: 2014 waren es 4,1 Prozent.
- Bremen: Hier wurden zwischen 2008 und 2014 sechs neue Mitarbeiter eingestellt, davon haben zwei einen Migrationshintergrund.
- Hessen: Das dortige Landesamt gab 2014 an, dass 5,2 Prozent der Belegschaft einen Migrationshintergrund haben.Quelle
Besondere Werbemaßnahmen, um mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund für den Verfassungsschutz zu gewinnen, finden weder beim Bundesamt noch in den 16 Landesbehörden statt. Die Landesämter in Berlin, Hamburg und Niedersachsen weisen in Stellenausschreibungen darauf hin, dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund "ausdrücklich erwünscht" sind. Der Verfassungsschutz in Sachsen gibt an, in Einzelfällen besondere Sprachkenntnisse in die Stellenausschreibungen aufzunehmen und damit um Muttersprachler zu werben.Quelle
Wie viele Polizistinnen und Polizisten haben einen Migrationshintergrund?
Wie viele Polizist*innen insgesamt einen Migrationshintergrund haben, ist nicht bekannt. Die Bundespolizei erhebt auf freiwilliger Basis Daten zum Migrationshintergrund ihrer Mitarbeiter*innen. Zum 1. Januar 2022 haben 3,4 Prozent aller Bundespolizist*innen einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil hat sich seit 2009 verdreifacht. Unter den Neueinstellungen 2021 sind etwas mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte (4,8 Prozent). Da der Migrationshintergrund auf freiwilliger Basis erhoben wird, geht das Innenministerium davon aus, dass der tatsächliche Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund höher ist.Quelle
Sieben von 16 Bundesländern erheben Daten zum Migrationshintergrund von Bewerber*innen oder neu Eingestellten bei der Landespolizei. Der Anteil der neu eingestellten Polizisten mit Migrationshintergrund liegt in den meisten Bundesländern – Ausnahmen sind Berlin und Sachsen-Anhalt – deutlich unter dem Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Landesbevölkerung. Zum Beispiel ist in Nordrhein-Westfalen der Anteil von Menschen aus Einwandererfamilien in der Bevölkerung mehr als doppelt so hoch (rund 32 Prozent) wie bei neu eingestellten Polizist*innen (etwa 15 Prozent).Quelle
Die vollständige Recherche finden Sie hier.
Die Recherche des MEDIENDIENSTES zeigt: In vielen Landespolizeien ist der Anteil von Bewerber*innen und neu Eingestellten mit Migrationshintergrund in den vergangenen Jahren gestiegen. Am vielfältigsten ist die Berliner Polizei, wo zuletzt 37 Prozent Personen mit Migrationshintergrund eingestellt wurden. Berlin ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil von neu Eingestellten mit Einwanderungsgeschichte bei der Polizei (37 Prozent).Quelle
Zu den Daten: Die Zahlen basieren auf freiwilligen Angaben. Nur die Bundespolizei und die Landespolizei Niedersachsen befragt alle Mitarbeiter*innen, viele andere Landespolizeien die neu Eingestellten und Bewerber*innen. Die Daten haben deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Daten über den Migrationshintergrund der Mitarbeiter*innen des Bundeskriminalamts und der Bundes- und Landesverfassungsschutzämtern liegen nicht vor.
Die Mehrheit der Bundesländer und die Bundespolizei sprechen in ihrer Werbung gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an. Die meisten dieser Werbemaßnahmen gibt es in Berlin, wie etwa Informationsveranstaltungen bei Migrant*innen-Organisationen.Quelle
Wie viele Abgeordnete haben einen Migrationshintergrund?
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil (rund 28,7 Prozent) sind Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund sowohl im Bundestag als auch in den Landes- und Kommunalparlamenten deutlich unterrepräsentiert.Quelle
Im Laufe der Jahre ist der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag und Landtagen gestiegen, wie eine Expertise der Hochschule München 2023 für den MEDIENDIENST zeigt:
BUNDESTAG
Recherchen des MEDIENDIENSTES und eine Expertise der Hochschule München zeigen für den im Herbst 2021 gewählten Bundestag: Derzeit haben dort mindestens 84 Parlamentarier*innen einen Migrationshintergrund. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der 736 Abgeordneten stammen somit 11,4 Prozent aus Einwandererfamilien.
Der Blick in die einzelnen Fraktionen im Bundestag zeigt:
- Die Linke hat mit 28,2 Prozent den höchsten Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund
- In der SPD sind es 17 Prozent
- Bei den Grünen haben 14,4 Prozent der Parlamentarier*innen einen Migrationshintergrund
- Der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund in der AfD liegt bei 7,2 Prozent
- Bei der FDP sind es 5,4 Prozent
- Mit 4,6 Prozent in der CDU/CSU-Fraktion sind hier anteilig die wenigsten Menschen mit Migrationshintergrund vertreten.
LANDTAGE
In den Landtagen ist die Repräsentationslücke noch größer: Laut MEDIENDIENST-Expertise hatten lediglich 7,3 Prozent Abgeordneten aller Landtage hatte einen Migrationshintergrund (Stand 2021). Die Autoren der Expertise machten große Unterschiede zwischen den Bundesländern aus: Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen haben beispielsweise deutlich mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund als ostdeutsche Bundesländer. Das Saarland hat als einziges Bundesland keine Abgeordnete mit Einwanderungsgeschichte.
Wie die Forscher zeigen, fällt der Anteil in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aber nur leicht unterdurchschnittlich aus, in Thüringen sogar leicht überdurchschnittlich. Denn dort ist der Anteil von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund an allen Wahlberechtigten beziehungsweise der Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte an der Gesamtbevölkerung geringer. Besonders schlecht schneiden die Bundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz, NRW, Hessen und Bayern ab – hier gebe es eine deutliche "Repräsentationslücke".Quelle
Zur vollständigen Expertise "Repräsentation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in deutschen Parlamenten" hier.
Für den im Frühjahr 2022 neu gewählten, nordrhein-Westfälischen Landtag hat der Mediendienst die aktuellsten Zahlen ermittelt: 17 der 195 Landesabgeordneten haben demnach einen Migrationshintergrund – das sind 8,7 Prozent. Zum Vergleich: 2021 hatten im gesamten Bundesland 31,7 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund.Quelle
KOMMUNALE PARLAMENTE
Zum Anteil der Mandatsträger mit Migrationsbezügen in den Kommunen gibt es keine aktuellen Erhebungen. Zuletzt hat das eine Studie des Max-Planck-Instituts untersucht. Sie wurde zwischen 2006 und 2011 in den damals 77 deutschen Großstädten durchgeführt. Demnach hatten 4 Prozent der Stadtratsmitglieder einen Migrationshintergrund.Quelle
Besonders unterrepräsentiert waren zuletzt Frauen mit Migrationshintergrund: Sie stellten laut einer Studie von 2013 ein Prozent der Ratsmitglieder in den Kommunen.Quelle
Wie viele Bürgermeister haben einen Migrationshintergrund?
Nur vier von 336 Oberbürgermeister*innen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund - das entspricht 1,2 Prozent. Das zeigt eine Recherche des MEDIENDIENSTES vom März 2022 und April 2023. Zum Vergleich: In der Bevölkerung haben rund 29 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund.Quelle
Die komplette Recherche (2023) finden Sie hier.
Hannover, Görlitz, Landshut und Frankfurt/Main sind derzeit die einzigen Städte, die einen Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund haben. Es gibt keine Frauen mit Migrationshintergrund in diesem Amt.Quelle
2020 hatte der MEDIENDIENST erstmals erhoben, wie viele Oberbürgermeister*innen mit Migrationshintergrund es in Deutschland gibt. Damals regierten bundesweit sechs Oberbürgermeister mit Einwanderungsgeschichte. Der MEDIENDIENST Recherche 2022 zufolge hatten vergangenes Jahr vier Oberbürgermeister einen Migrationshintergrund.Quelle
Wie viele Führungskräfte haben einen Migrationshintergrund?
2019 hatten etwa 9 Prozent der Führungskräfte in Deutschland einen "Migrationshintergrund". Das zeigt eine Untersuchung des DeZIM-Instituts von 3.000 Führungspositionen. Zum Vergleich: In der Bevölkerung lag der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei 26 Prozent. Es gibt große Unterschiede je nach Bereich. Vergleichsweise häufig hatten Führungskräfte einen Migrationshintergrund in:
- Religionsgemeinschaften (25,9 Prozent),
- Kultureinrichtungen (19,6 Prozent) und
- Medien (16,4 Prozent).
Weniger vertreten waren sie in:
- der Politik (7,7 Prozent),
- Behörden (4,6 Prozent) oder
- der Leitung von Polizei und Verfassungsschutz (0 Prozent).Quelle
In der Wirtschaft ist der Anteil von Führungskräften mit Migrationshintergrund höher als etwa in Politik oder Verwaltung. Die Forscher*innen erklären das damit, dass Unternehmen und Konzerne ihr Spitzenpersonal aus einem internationalen Pool an Bewerber*innen auswählen.Quelle
DAX-Vorstände
Die Führungspositionen der größten Unternehmen in Deutschland sind sehr international besetzt: Im Jahr 2021 stieg der Anteil von DAX-Vorständen mit ausländischer Staatsbürgerschaft auf mehr als 37 Prozent, so hoch wie noch nie seit Beginn der Zählung. In zahlreichen Unternehmen machen sie rund die Hälfte der Vorstandsmitglieder aus. Viele dieser Unternehmen arbeiten international und haben Geschäftszweige im Ausland, die von internationalen Führungskräften geleitet werden.Quelle
Wie viele Gewerkschaftsmitglieder haben einen Migrationshintergrund?
Die Gewerkschaft IG Metall lässt regelmäßig in einer Studie erheben, wie viele ihrer Mitglieder einen "Migrationshintergrund" haben. Die Ergebnisse 2022 sind:
- Mit schätzungsweise 23,6 Prozent liegt der Anteil der Mitglieder mit Migrationshintergrund ziemlich nah am Bevölkerungsdurchschnitt (28,7 Prozent). Bei IG-Metall-Mitgliedern in Betrieben entspricht er ihm mit 26,7 Prozent sogar fast. Die IG Metall sei somit die einzige Groß-Organisation in Deutschland für die solche Daten vorliegen; und die sich hinsichtlich des Migrationshintergrundes als "Spiegel der Gesellschaft" bezeichnen kann.
- Ein noch höherer Anteil zeigt sich bei IG Metall-Mitgliedern, die eine gewerkschaftliche Funktion im Betrieb oder in der Gewerkschaft ausüben: Rund 29,3 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund.
- Einzig unter Betriebsratsvorsitzenden sind Personen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert, dort sind es rund 16,9 Prozent mit Migrationshintergrund.Quelle
Weitere Ergebnisse:
- Das am häufigsten vertretene Herkunftsland unter allen Mitgliedern mit Migrationshintergrund ist mit 19,3 Prozent die Türkei, gefolgt von Polen, Kasachstan, Russland und Italien.
- Im Schnitt sind Mitglieder mit Migrationshintergrund jünger als die ohne – 46 Jahre im Vergleich zu 52 Jahren.Quelle
Laut Studie haben sich Gewerkschaften schon früh dafür eingesetzt, Migranten in ihre Struktur zu integrieren. Bereits 1961 richtete die IG Metall das Referat "Ausländische Arbeitnehmer" ein und erkannte ausländische Arbeitnehmer 1983 als "eigenständige Personengruppe" an. Damit habe sie ihnen besondere Mitbestimmung bei Beschlüssen des Gewerkschaftstages ermöglicht.
Als ein weiterer Grund gilt das 1972 eingeführte Betriebsverfassungsgesetz, erklärt Serhat Karakayali, Mitautor der Studie, in einem Gastbeitrag für den MEDIENDIENST. Das Gesetz regle, dass auch Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bei Betriebsratswahlen wählen und gewählt werden können. Da Gewerkschaftsmitglieder oft auch in Betriebsräten aktiv seien, liege die Vermutung nahe, dass das Gesetz dazu geführt hat, dass sich Gewerkschaftsmitglieder mit Migrationshintergrund stärker engagieren.
Vielfalt in Kulturbetrieben
Im Kulturbereich haben vergleichsweise viele Führungskräfte einen Migrationshintergrund (19,6 Prozent). Zum Vergleich: Im Schnitt haben nur etwa 9 Prozent der Führungskräfte in Deutschland einen "Migrationshintergrund". Das zeigt eine Untersuchung des DeZIM-Instituts von 3.000 Führungspositionen im Jahr 2019. Im Kulturbereich waren es mehr als zum Beispiel in der Politik (7,7 Prozent) oder in Medien (16,4 Prozent).Quelle
Vielfalt nicht in allen Kulturbereichen gleich hoch
Für Berlin gibt es eine Studie aus dem Jahr 2016 von den Initiativen "Citizens For Europe" und "Deutsch Plus" ("Interkulturelle Öffnung in Führungspositionen an Berliner Bühnen"). Das Ergebnis: 21 Prozent der Führungskräfte hatten einen Migrationshintergrund, davon waren 7 Prozent People of Color. In der Berliner Bevölkerung lag der Anteil bei 26 Prozent.Quelle
Der Anteil schwankte jedoch stark: Während einige wenige Kulturbetriebe überdurchschnittlich viele Führungskräfte mit Migrationshintergrund beschäftigten, haben der Studie zufolge ein Großteil der Kulturinstitutionen eine "homogene, Weiße Spitze". Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten häufig in Intendanz oder der Regie – sehr selten hingegen in Technik, Presse oder Verwaltung. Für die Studie wurden 756 Führungspositionen an 57 Berliner Bühnen von Theater-, Opern-, Kabarett- und Balletthäusern untersucht.Quelle
Diversität in Redaktionen und Rundfunkräten
In Redaktionen in Deutschland sind Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert. Es gibt aber nur wenige aktuelle Erhebungen zum Thema.
Gerade einmal sechs Prozent der Chefredakteur*innen haben eine Einwanderungsgeschichte – und die kommen alle aus Nachbarstaaten Deutschlands oder der EU. Das zeigt eine Befragung von Chefredakteur*innen der 126 reichweitenstärksten deutschen Medien aus dem Jahr 2020.Quelle
Ältere Erhebungen zum Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Redaktionen zeigen:
- Nicht mehr als vier bis fünf Prozent der Journalist*innen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund – davon geht eine nicht-repräsentative Studie von 2016 aus.Quelle
- Einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2009 zufolge hatte nur ein Prozent der Journalist*innen deutscher Tageszeitungen einen Migrationshintergrund.Quelle
- Eine Umfrage 2007/2008 ergab, dass der Anteil ausländischer Staatsbürger*innen in deutschen Medien deutlich unter fünf Prozent liegt.Quelle
Es gibt verschiedene Gründe für die mangelnde Diversität: In den Redaktionen fehlen oft konkrete Maßnahmen, um mehr Vielfalt durchzusetzen. Zudem stehen Journalist*innen mit Migrationsgeschichte vor vielen Hürden, sagen Fachleute. Oftmals müssten sie sich im Job noch mehr beweisen als Kolleg*innen ohne Einwanderungsgeschichte.Quelle
Diversität in Rundfunkräten
Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen untersuchten, inwieweit die bundesweit 12 Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender die Diversität der Bevölkerung abbilden. Rundfunkräte sollen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Meinungen repräsentieren und überwachen, ob die Öffentlich-Rechtlichen ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen. Die Studie belegt: Eingewanderte und ihre Nachkommen, Black and People of Colour (BPoC) und staatlich anerkannte Minderheiten sind deutlich unterrepräsentiert - zusammen haben sie jeweils nur 13 der 542 Plätze. Sinti*zze und Rom*nja sind lediglich im SWR-Rundfunkrat mit einem Mitglied vertreten.Quelle
Vielfalt in Bundesligaklubs und Fußballverbänden
Während auf dem Fußballplatz viele Menschen mit Migrationsgeschichte spielen, sind sie in den Strukturen der Bundesligaclubs deutlich seltener anzutreffen, wie eine Studie von 2021 zeigt. Nur 4 Prozent, oder 15 von 400 Führungskräften – also Trainerstäbe, Vorstände, Manager*innen oder Scouts – in der 1. und 2. Bundesliga waren Schwarze Menschen (6) oder People of Colour (9). Mehr als 96 Prozent waren weiße Personen, so eine Zählung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).Quelle
Vielfalt im DFB
Im Breitensport ist gesellschaftliche Vielfalt deutlich sichtbar: Laut eigenen Angaben hatten im Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Jahr 2016 mehr als 19 Prozent der Mitglieder Migrationshintergrund. Das entspricht rund 1,3 Millionen Mitglieder mit Migrationshintergrund in 26.000 Fußballvereinen. Zum Vergleich: Im gesamten organisierten Sport waren es 10 Prozent im Jahr 2022, laut einer Umfrage unter Vereinsmitgliedern von 2022.Quelle
In der DFB-Führungsebene sieht es allerdings anders aus: Unter den 372 Mitgliedern der höchsten DFB-Gremien hatten im Jahr 2020 nur rund 4 Prozent einen Migrationshintergrund (oder 13 Personen) und nur 14 Prozent waren Frauen, so eine Analyse von Sportwissenschaftler*innen. Zum Vergleich: In der Bevölkerung hatten 2020 rund 27 Prozent einen Migrationshintergrund.Quelle
News Zum Thema: 'Interkult. Öffnung'
Hamburg Zehn Jahre Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden
Als Hamburg 2012 einen Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden abschloss, war das Bundesland Vorreiter. Aus Sicht von Expert*innen war das ein wichtiger Schritt zu einer rechtlichen Integration des Islam in Deutschland.
Vielfalt Mehr Polizist*innen mit Migrationshintergrund
Eine MEDIENDIENST-Recherche zeigt: Mehr und mehr Menschen mit Migrationshintergrund gehen zur Polizei. Aber nur wenige arbeiten in Führungspositionen.
Rassismus in der Bundesliga? Keine Schwarzen Torhüter
Der Kniefall der deutschen Nationalelf bei der EM wurde viel beachtet als Zeichen gegen Rassismus. Eine neue Studie legt nahe, dass es rassistische Zuschreibungen im Profi-Fußball gibt. Tiefergehende Untersuchungen fehlen aber noch. Ein FAQ zu den wichtigsten Ergebnissen.