Mindestens 73 Abgeordnete des neuen Bundestags haben einen Migrationshintergrund. Das ergibt eine Recherche des Mediendienst Integration. Bei 630 Abgeordneten macht das einen Anteil von 11,6 Prozent. Ihr Anteil ist damit ähnlich hoch wie bei der letzten Erhebung 2021 (2021: 11,3 Prozent bzw.: 83 Abgeordnete, Link).
Menschen mit Migrationshintergrund sind im Parlament damit unterrepräsentiert: In der Bevölkerung liegt der Anteil bei 29,7 Prozent, unter den Wahlberechtigten bei 14,4 Prozent.Quelle
Zwischen den Parteien gibt es deutliche Unterschiede:
- Die Grünen haben mit 20 Prozent den höchsten Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund (2021: 14,4 Prozent).
- In der Fraktion Die Linke sind es 18,8 Prozent (2021: 28,2 Prozent).
- In der SPD-Fraktion haben 17,5 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund (2021: 17 Prozent).
- In der CDU/CSU sind es 6,3 Prozent (2021: 4,1 Prozent).
- Die AfD ist die Fraktion mit dem geringsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund: 5,9 Prozent (2021: 7,2 Prozent).
Die Liste der Abgeordneten mit Migrationshintergrund finden Sie >> hier (als pdf-Datei). Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie trifft auch keine Aussage über eventuelle Diskriminierungserfahrungen oder politische Positionierungen der einzelnen Personen.
Der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund stagniert damit erstmals, nachdem er über mehrere Wahlperioden hinweg gestiegen war.Quelle
Der Frauenanteil bei den Abgeordneten mit Migrationshintergrund liegt bei 47,2 Prozent und damit deutlich höher als im Bundestag insgesamt (32,4 Prozent). Die Abgeordneten mit Migrationshintergrund sind im Schnitt jünger (rund 42,1 Jahre) als die Abgeordneten insgesamt (47,1 Jahre).Quelle
20 Abgeordnete haben als Direktkandidaten in ihrem Wahlkreis ein Mandat gewonnen. 53 Abgeordnete sind über die Listenplätze ihrer Parteien ins Parlament gekommen. Aus ostdeutschen Wahlkreisen kommen 5 Abgeordnete mit Migrationshintergrund und 4 kommen aus Berlin.
25 der 73 Abgeordneten mit Migrationshintergrund haben einen Bezug zu Ländern der Europäischen Union, darunter 7 zu Polen. 18 Abgeordnete haben einen Bezug zur Türkei, 8 zu Ex-Sowjetstaaten (zum Teil Spätaussiedler-Familien).
Im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Bevölkerung zeigt sich: Auch im neuen Bundestag ist die Gruppe der Türkeistämmigen vergleichsweise gut vertreten. Sie sind häufiger in der Linken vertreten, in der AfD nicht. Deutlich unterrepräsentiert sind Menschen mit Bezügen zur ehemaligen Sowjetunion. Sie sind häufiger in der AfD vertreten und seltener in anderen Parteien.Quellen
Was sagen Expertinnen und Experten dazu?
Politikwissenschaftler Andreas Wüst (Hochschule München):
"Es geht um Chancengerechtigkeit und weniger darum, genau proportional in den Parlamenten vertreten zu sein. In allen Parteien sollten Erfahrungen und Sichtweisen unterschiedlicher Gruppen in den Diskurs eingebracht werden können. Aber in einigen Parteien gibt es größere Defizite. Und auch die verschiedenen Migrantengruppen sind unterschiedlich gut im Parlament sowie Fraktionen vertreten. Wenn Abgeordnete mit Migrationshintergrund in der Politik marginalisiert sind, ist chancengerechte Teilhabe viel schwieriger."
Deniz Nergiz (Migrationssoziologin und Publizistin)
"Anfeindungen und Rassismus hindern sehr viele Menschen mit Migrationsbezügen, sich aktiver in der Politik einzubringen. Oder sie bringen sie dazu, sich in Resignation zurückzuziehen. Die Zahlen zeigen eine chronische Schwäche der Parteien, gezielt für diverse Kandidat*innen zu werben. Das braucht einen langen Atem."
"Als weitere Faktoren müssen auch der vorgezogene Wahltermin und die Wahlrechtsreform erwähnt werden, beide Faktoren haben für Newcomer*innen mit Migrationsbezügen ein Hindernis dargestellt – weil Listenplätze so begehrt und Direktmandate sogar für bekannte Politiker*innen stark umkämpft waren."
Zur Recherche
Der Mediendienst hat seit Januar 2025 bei Landesgeschäftsstellen, Bundesgeschäftsstellen und Bundestagsfraktionen die Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund erfragt. Diese Information wird von den Parteien nicht systematisch erfasst. Die Pressestellen haben zum Teil eigene Befragungen unter den Kandidierenden gestartet, konnten zum Teil aber auch keine Auskunft geben.
Zusätzlich hat der Mediendienst die Abgeordnetenliste nach Namen und öffentlichen Informationen ausgewertet. Entsprechende Hinweise wurden mit Biographien auf Websites, Reden, Interview-Aussagen und Medienberichten abgeglichen oder über direkte Anfragen überprüft. Bei Hinweisen auf einen Migrationshintergrund wurden die betreffenden Personen angeschrieben und gefragt, ob sie einer Veröffentlichung zustimmen.
Wenn Sie Fragen zur Recherche haben, schreiben Sie uns gern eine Mail. Eine Liste mit Organisationen, die sich für mehr Vielfalt in der Politik einsetzen, finden Sie >>hier.
Redaktion: Cordula Eubel und Carsten Wolf
Recherche: Alma Beck Chacón, David Gevorkjan, Fabio Ghelli, Sara Gutiérrez, Donata Hasselmann, Miriam Kruse, Andrea Pürckhauer, Miriam Sachs, Lina Steiner und Sophie Thieme
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.