Asylrecht
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in dem das Recht auf Asyl in der Verfassung festgeschrieben ist (Art. 16a GG). Es ist das einzige Grundrecht, das nur Ausländern zusteht. Allerdings wurde es mit dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 stark eingeschränkt. Ein Überblick zur aktuellen Rechtslage:
Das deutsche Asylrecht
Das Recht auf Asyl im Grundgesetz wurde 1993 mit dem sogenannten Asylkompromiss (siehe unten) stark eingeschränkt. Das Grundrecht auf Asyl hat seither in der Praxis an Bedeutung verloren und ist vom EU-Recht abgelöst, das maßgeblich auf der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 fußt. Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags 1999 liegt Asyl- beziehungsweise Flüchtlingsrecht im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union.
Das EU-Recht berücksichtigt jedoch weiterhin viele nationale asylrechtliche Regelungen und Entwicklungen. Die sogenannten Dublin-Verordnungen legen seit 2003 fest, dass grundsätzlich der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, über den die Einreise in das EU-Gebiet stattgefunden hat („Verursacherprinzip“).
Theoretisch heißt das für Deutschland, dass es nur dann für die Prüfung der Asylanträge zuständig ist, wenn die Asylsuchenden per Flugzeug nach Deutschland einreisen, was in den meisten Fällen ein Visum voraussetzt. Hinzu kommt, dass einige Länder als „sichere Drittstaaten“ definiert sind. Für Deutschland sind das neben den EU-Mitgliedstaaten Norwegen und die Schweiz. Die EU-Staaten prüfen keine Asylanträge von Menschen, die über einen solchen „sicheren Drittstaat“ einreisen, und verweisen die Betroffenen stattdessen zu den „sicheren Drittstaaten“.Rechtsgrundlage
Im Juni 2013 hat das Europäische Parlament neue Vorschriften für ein gemeinsames europäisches Asylsystem verabschiedet. Die beschlossenen Regelungen erneuern die ungefähr zehn Jahre alte bestehende Gesetzgebung.
Die Einschränkung des Asylrechts in den 90er Jahren
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 80er Jahre und mit dem Jugoslawienkrieg Anfang der 90er Jahre stieg die Zahl der Asylbewerber stark an: Lag die Zahl der Asylanträge 1987 noch bei 57.000, stieg sie laut Asylgeschäftsstatistik 1992 auf 438.000. Bei dieser Zahl handelt es sich allerdings nicht um die tatsächlichen Personenzahlen, da Mehrfach- und Folgeanträge beinhaltet sind. Erst seit 1995 wird nach "Erstanträgen" unterschieden, die der Zahl der neuen Asylbewerber entspricht.
Es folgte eine stark polarisierte Asyl-Debatte, die der Historiker Ulrich Herbert als „eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten innenpolitischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichnet. Sie wurde begleitet von gewaltsamen Übergriffen wie den Brandanschlägen in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen auf Asylbewerberunterkünfte und Wohnhäuser von Einwanderern.
Im Jahr 1993 wurde schließlich der sogenannte Asylkompromiss vom Parlament verabschiedet. Dieser sah eine maßgebliche Einschränkung des Artikels 16a des Grundgesetzes vor – wer seither über einen „sicheren Drittstaat“ einreiste, konnte sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen, es sei denn, er kann die gesetzliche Vermutung der Sicherheit in seinem Einzelfall entkräften.Quelle
Asylrechtsreformen 2014-2019
In den letzten Jahren wurde das deutsche Asylrecht umfassend reformiert. Viele Gesetze sind verschärft worden – etwa um abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Andere Reformen sollen die Integration von Flüchtlingen beschleunigen.
Die wichtigsten Reformen im Überblick:
⇒ August 2019: Das Abschiebungs-System wird verschärft, die Asylbewerberleistungen angepasst.
Das zweite Gesetz zur "besseren Umsetzung der Ausreisepflicht" sieht folgende Gesetzesänderungen vor:
- Alle Asylsuchenden müssen künftig bis zum Ende ihres Asylverfahrens in Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben – längstens allerdings 18 Monate. Abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend kooperieren, können sogar länger als 18 Monate in den Einrichtungen bleiben.Quelle
- Ausländerbehörden sollen künftig die Möglichkeit haben, Ausreisepflichtige ohne richterliche Anordnung festzunehmen – etwa wenn sie annehmen, dass die Person untertauchen will.Quelle
- Menschen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits als Flüchtlinge anerkannt wurden, erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Maximal für zwei Wochen soll es eine "Überbrückungsleistung" geben – allerdings nur einmal innerhalb von zwei Jahren.Quelle
- Geduldete, deren Identität nicht geklärt ist oder denen vorgeworfen wird, bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend mitzuwirken, erhalten künftig eine eingeschränkte Duldung („Duldung light“). Das bedeutet: Sie dürfen ihren Wohnort nicht frei wählen, bekommen weniger Sozialleistungen und dürfen nicht arbeiten.Quelle
- Ausreisepflichtige, die einen Botschafts-Termin zur Feststellung ihrer Identität nicht wahrnehmen, können für 14 Tage in Haft genommen werden ("Mitwirkungshaft").Quelle
- Ausreisepflichtige sollen künftig bis zu zehn Tage in "Ausreisegewahrsam" genommen werden können – unabhängig davon, ob eine Fluchtgefahr besteht.Quelle
- Ausreisepflichtige sollen bis 2022 auch in normalen Gefängnissen untergebracht werden können, allerdings getrennt von Strafgefangenen.Quelle
- Sogenannte Gefährder können in Sicherungshaft genommen werden – auch wenn ihre Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht.Quelle
- Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die Informationen über eine geplante Abschiebung weitergeben, machen sich strafbar.Quelle
⇒ August 2016: Das Integrationsgesetz tritt in Kraft.
- Asylbewerber können zur Teilnahme an Integrationskursen verpflichtet werden. Gleichzeitig werden die Integrationskurse stark ausgebaut.
- Geduldete erhalten einen Aufenthaltsstatus für die gesamte Dauer der Berufsausbildung – plus sechs Monate zur Jobsuche, wenn sie nach Abschluss der Ausbildung nicht übernommen werden.
- Die „Vorrangprüfung“ entfällt in den meisten Regionen.
- Anerkannte Flüchtlinge dürfen für drei Jahre ihren Wohnort nicht frei wählen ("Wohnsitzauflage").
- Eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte erst nach fünf (statt nach drei) Jahren und auch nur, wenn sie "gut integriert" sind.Weitere Informationen
⇒ Juli 2017: Durch das "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" werden strengere Regeln für "Geduldete" und sogenannte Gefährder eingeführt.
- Ausreisepflichtige, von denen eine „Gefahr für Leib und Leben Dritter“ ausgeht, sollen in Abschiebehaft genommen werden können. Zudem können sie strenger überwacht werden (etwa mittels elektronischer Fußfesseln).
- Geduldete, die über ihre Identität oder Herkunft täuschen beziehungsweise nicht ausreichend bei der Beschaffung von Reisedokumenten mitwirken, sollen den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde nicht verlassen dürfen. Außerdem sollen sie ohne Ankündigung abgeschoben werden können – selbst wenn sie bereits seit mehr als einem Jahr in Deutschland leben.
- Die Bundesländer sollen Asylsuchende "ohne Bleibeperspektive" bis zu zwei Jahren in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringen können. Derzeit geht das für maximal sechs Monate.
- Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll Handys und andere Datenträger von Geflüchteten überprüfen dürfen, um Informationen über ihre Identität und Herkunft zu gewinnen.
⇒ März 2016: Im Zuge der Debatte um die Kölner Silvesternacht wird das Ausweisungsrecht verschärft: Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr für eine Gewalttat und bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung können Asylbewerber ausgewiesen werden.Weitere Informationen
⇒ März 2016: Durch das sogenannte Asylpaket II wird das Asylrecht erneut verschärft.
- Über Asylverfahren von Bewerbern aus "sicheren Herkunftsstaaten" und von Menschen, die über ihre Identität täuschen, wird im Eilverfahren entschieden.
- Ein Großteil der Verfahren soll künftig in sogenannten Ankunftszentren bearbeitet werden.
- Solange Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind, dürfen sie den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde nicht verlassen.
- Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Abzuschiebender reisefähig ist. Nur bei "lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen" können Abschiebungen verschoben werden. Dafür ist eine ärztliche Bescheinigung notwendig. Psychische Erkrankungen wie etwa die post-traumatische Belastungsstörungen werden nicht mehr als Abschiebungshindernis berücksichtigt.
- Subsidiär Schutzberechtigte dürfen bis März 2018 keine Angehörigen nach Deutschland nachziehen lassen.Weitere Informationen
⇒ Oktober 2015: Das sogenannte Asylpaket I wird verabschiedet.
- Asylbewerber sollen bis zu sechs Monate in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen – anstatt wie früher drei Monate. Antragsteller aus "sicheren Herkunftsstaaten" bleiben dort bis zum Ende ihres Verfahrens.
- In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen Asylbewerber nur Sachleistungen bekommen.
- Asylbewerber mit "guter Bleibeperspektive" dürfen an Integrationskursen teilnehmen.
- Albanien, Kosovo und Montenegro werden in die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" aufgenommen.
- Der Bund zahlt den Ländern einen Teil der Unterbringungs- und Versorgungskosten für Asylbewerber: 670 Euro Monatspauschale pro Person.Weitere Informationen
⇒ August 2015: Mit dem „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ bekommen "gut integrierte" Langzeit-Geduldete die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Gleichzeitig nennt das Gesetz sechs "konkrete Anhaltspunkte", um abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft nehmen zu können: Dazu zählen der Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen sowie die Bezahlung von "erheblichen Geldbeträgen" für die illegale Einreise.Weitere Informationen
⇒ November 2014: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina werden zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklärt.Weitere Informationen
⇒ November 2014: Das Asylbewerberleistungsgesetz wird reformiert. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden die Grundleistungen angehoben und an das Hartz-IV-Niveau angepasst. Asylbewerber dürfen künftig schon nach drei Monaten einen Job suchen – zuvor waren es neun Monate. Weitere Informationen
Mit dem Gesetz zur "Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes" sollen die Bedarfssätze an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden. Das Gesetz sieht jedoch auch Kürzungen vor – etwa für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen. Zudem sollen bestimmte Leistungen "zwingend" als Sachleistung erbracht werden.Quelle
Die Kritik: Viele Asylrechtsreformen stießen auf Kritik, sowohl von Menschenrechtsorganisationen als auch von Wissenschaftlern. So stellten die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL und das Deutsche Institut für Menschenrechte die vermeintliche Sicherheit der "sicheren" Herkunftsstaaten wiederholt in Frage. Kritik äußerte im September 2015 auch der Rat für Migration (RfM). "Der aktuelle Plan der Bundesregierung zur Reform des Asylrechts setzt eine Politik fort, die in erster Linie auf Abschottung basiert", sagt Werner Schiffauer, Ethnologe und RfM-Vorsitzender mit Blick auf das Asylpaket I. Auch das Asylpaket II wurde von Juristen und Migrationswissenschaftlern kritisiert – wie auch das Integrationsgesetz und das "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht". Das sogenannte "Migrationspaket" von 2019 wurde von Expertinnen und Experten sowie Nichtregierungs-Organisationen wegen tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken abgelehnt.
Asyl oder subsidiärer Schutz?
Für die Bearbeitung von Asylanträgen ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Hier wird zunächst geprüft, ob Deutschland für das Asylverfahren zuständig ist: Fällt die Person unter die Dublin-Verordnung, weil sie nachweislich über ein anderes EU-Land eingereist ist, wird der Antrag inhaltlich nicht geprüft und die Person "rücküberstellt".
Grundsätzlich gibt es für Flüchtlinge fünf verschiedene Möglichkeiten, in Deutschland bleiben zu können:
- die Anerkennung nach dem Recht auf Asyl im Grundgesetz (Art. 16a GG),
- die Gewährung von Flüchtlingsschutz auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderer internationaler Abkommen,
- die Gewährung von subsidiärem Schutz, wenn entsprechende Gründe vorliegen
- ein Abschiebungsverbot auf Grundlage der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen
- oder eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, wenn die "Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist" (Duldung).
Kann Deutschland Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen?
Einerseits gilt: „Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen“ (AufenthG §15, Abs. 1). Andererseits hat nach deutschem (AufenthG §15, Abs. 4) und europäischem (Richtlinie 2011/95/EU, Artikel 4) Recht jede asylsuchende Person in Deutschland Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres/seines Antrags. Ohne diese Prüfung darf er nicht zurückgewiesen werden.
Wenn im Herkunftsstaat schwere Gefahr oder Verfolgung droht, hat die asylsuchende Person ein individuelles Recht auf Schutz vor Zurückweisung (non-refoulement). Das sieht insbesondere Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt sich ein Schutz vor Zurückweisung, wenn Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen?
Die meisten unerlaubten (oder: irregulären) Einreisen nach Deutschland finden über Binnengrenzen der Europäischen Union statt. Zurückweisungen von Drittstaatsangehörigen an EU-Binnengrenzen sind regelmäßig rechtswidrig, wie das Europäische Gerichtshof zuletzt 2023 in einem Urteil über eine Zurückweisung an der französischen Grenze festgestellt hat. Vorherige EuGH-Urteile hatten ebenfalls Zurückweisungen an den Grenzen als Verstöße gegen EU-Recht erklärt.Quelle.
Sobald ein Asylsuchender sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befindet, muss dieser Staat die Zuständigkeit nach der Dublin-Verordnung prüfen. Um den Staat zu ermitteln, der für eine*n Asylbewerber*in zuständig ist, müssen die Behörden laut Dublin-Verordnung zunächst die asylsuchende Person anhören, eventuell ihre Fingerabdrücke nehmen, diese mit der EURODAC-Datenbank abgleichen und ein "Übernahmeersuchen" an den zuständigen Staat schicken. Dieses Verfahren dauert mehrere Wochen und kann unter den aktuellen Bedingungen nicht an der Grenze durchgeführt werden. Das bedeutet, dass Menschen, die über Dublin-Staaten nach Deutschland kommen, nicht einfach an der Grenze abgewiesen werden können.
Systematische Zurückweisungen an den Grenzen wären nur dann möglich, wenn Deutschland eine "Notlage" nach Artikel 72 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) erklärt. Der Artikel 72 AEUV ist allerdings ein Ausnahmetatbestand, der eng auszulegen ist. Bislang hat der Europäische Gerichtshof in allen entschiedenen Fällen das Vorliegen einer solchen Notlage verneint.Quelle
Quellen
- Daniel Thym (2024), Nun also doch? Zurückweisungen von Asylbewerbern aufgrund einer "Notlage" LINK
- Daniel Thym (2023), Rechtsgutachten über die Anforderungen und Rechtsfolgen des Artikels 72 EU-Arbeitsweisevertrag für die ausnahmsweise Abweichung vom EU-Asylrecht LINK
- Daniel Thym (2018), Der Rechtsbruch-Mythos und wie man ihn widerlegt, Verfassungsblog Mai 2018 LINK
- Deutsches Institut für Menschenrechte (2018), Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze? – Eine menschen- und europarechtliche Bewertung, Juni 2018 LINK
- Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags (2017), Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18, 2017, Seite 6 LINK
- Constantin Hruschka (2016) Kein Raum für deutschen Alleingang, Legal Tribune Online, Juni 2016 LINK
Was sind Pushbacks?
Mit dem englischen Begriff "Pushbacks" werden rechtswidrige Zurückweisungen von Flüchtlingen bezeichnet – vor allem an den Außengrenzen der Europäischen Union.
Mehrere Mitgliedstaaten der EU führen an den Außengrenzen der EU solche "Pushbacks" durch. Entsprechende Berichte gibt es von den Grenzen zwischen Belarus und Polen, Belarus und Litauen sowie von der serbisch-ungarischen, bosnisch-kroatischen, nordmazedonische-griechischen, albanisch-griechischen, türkisch-griechischen Grenzen sowie auf hoher See vor den Küsten Griechenlands und Italiens.Quelle
An vielen dieser Pushbacks sind laut Investigativrecherchen auch Einheiten der Grenzschutzagentur Frontex beteiligt, obwohl das laut der Frontex-Verordnung verboten ist. Eine Untersuchungskommission des Europäischen Parlaments hat diese Vorwürfe untersucht, konnte jedoch keine abschließende Beweise für eine Beteiligung von Frontex an Pushbacks finden. Eine Übersicht über die Vorwürfe gegen Frontex und die darauffolgenden Untersuchungen finden sich in diesem MEDIENDIENST-Artikel.Quelle
Sind Pushbacks illegal?
Pushbacks sind grundsätzlich illegal. Zwar dürfen EU-Mitgliedstaaten ausländische Staatsbürger*innen daran hindern, unerlaubt ihre Grenzen zu überschreiten. Es gelten aber Einschränkungen, die von verschiedenen europäischen und internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte festgelegt wurden:
- Verbot der Kollektivausweisung: Gruppen von ausländischen Staatsbürger*innen dürfen nicht kollektiv abgeschoben beziehungsweise zurückgewiesen werden – unabhängig davon, ob sie Flüchtlinge sind oder nicht. Das bestimmt die Europäische Menschenrechtskonvention (IV. Zusatzprotokoll, Artikel 4).
- Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung: Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder zurückgewiesen werden, in dem ihm oder ihr Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1989 von Artikel 3 der EMRK (Verbot der Folter) abgeleitet.
- "Non-refoulement"-Gebot: Wenn eine Person als Flüchtling in die Europäische Union kommt, dürfen die Mitgliedstaaten sie in keinen Staat zurückweisen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund von "Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischen Überzeugung" bedroht sein würden. Das bestimmt die Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33), die alle EU-Mitgliedstaaten unterschrieben haben. Das nennt man Prinzip der Nicht-Zurückweisung (non-refoulment).
- Selbst dann, wenn Geflüchtete über ein Land einreisen, in denen ihnen keine direkte Verfolgung droht, dürfen sie dorthin nicht ohne weiteres ab- oder zurückgeschoben werden. Denn als sogenannte sichere Drittstaaten gelten nur solche, die das non-refoulment-Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention einhalten (Richtlinie 2013/32/EU, Artikel 38).
- Alle Personen, die in der Europäischen Union Asyl beantragen möchten, haben zudem das Recht auf eine individuelle Prüfung ihres Asylantrags. Das bedeutet, dass bevor eine schutzsuchende Person ab- oder zurückgeschoben wird, eine Behörde ihren Asylgeusch prüfen muss (Richtlinie 2011/95/EU, Artikel 4).
Ob Pushbacks in allen Situationen illegal sind, ist umstritten. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hat dazu bislang zwei Grundsatzurteile getroffen:
- 2012 urteile der EGMR, dass der italienische Pushback von Bootsflüchtlingen aus Libyen illegal war. Die italienische Küstenwache hatte das Boot auf das Meer Richtung Libyen zurückgedrängt. Die Flüchtlinge seien auf dem offenem Meer dem Tode schutzlos ausgeliefert, was ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK und gegen das Verbot der Kollektivausweisung (siehe oben) darstelle.
- 2020 urteile der EGMR hingegen im Falle eines spanischen Pushbacks an der Grenze Melilla/Marokko, dass die Zurückweisung von zwei Männern rechtens war. Der Grund: Sie hätten absichtlich mit einer größeren Personengruppe und gewaltvoll die Grenze überquert, statt an regulären Grenzübergängen ihr Asylgesuch zu stellen. Sie konnten sich daher nicht auf ihren Anspruch auf eine individuelle Prüfung des Asylantrags berufen.
Zwar erhielt das Urteil aus 2020 in der Rechtswissenschaft auch Zustimmung, viele Jurist*innen kritisierten das jüngere Urteil aber. Insbesondere, dass das Urteil die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort falsch wiedergebe: So sei es faktisch für die Kläger*innen an dem Grenzübergang zu Spanien nicht möglich gewesen, einen Asylantrag zu stellen. Außerdem betonen einige Rechtswissenschaftler*innen, dass die meisten Schutzsuchenden – nämlich Bootsflüchtlinge – gar nicht die Möglichkeit haben, an einem regulären Grenzübergang einen Asylantrag zu stellen. Für sie finde die Argumentation der EGMR-Urteile daher keine Anwendung.Quelle
Was ist eine Duldung?
Duldung heißt: Ausreisepflichtige dürfen vorübergehend in Deutschland bleiben, weil sie nicht abgeschoben werden können. Das liegt meist daran, dass sie keine Ausweisdokumente nachweisen können oder eine Krankheit haben, die im Herkunftsland nicht behandelt werden kann. Geduldete haben somit keinen gesicherten Aufenthalt, rein rechtlich können sie jederzeit abgeschoben werden.Rechtsgrundlage
Die Duldung ist befristet. Die Dauer wird von der zuständigen Ausländerbehörde je nach Fall und Belastung der Behörde festgelegt. Nach dem Ablauf dieser Frist können Ausreisepflichtige eine weitere Duldung bekommen – dabei spricht man oft von "Kettenduldungen".
Geduldete erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Solche, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem Tag nach dem Ausreisetermin keinen Anspruch mehr auf Leistungen. Geduldete, die selber ihre Abschiebung verhindern, können zudem mit Leistungskürzungen bestraft werden.
Aufenthaltserlaubnis für Langzeit-Geduldete
Seit 2015 können "Langzeit-Geduldete" eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Das betrifft zwei Gruppen:
- Geduldete, die "nachhaltig integriert" sind. Nachhaltig integriert heißt: Sie leben schon länger in Deutschland und verdienen ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst. Bei Alleinstehenden müssen es mehr als acht Jahre sein, bei Familien mit minderjährigen Kindern mehr als sechs Jahre.
- Jugendliche (14 bis 18 Jahre) und Heranwachsende (18 bis 21), die vier Jahre in der Bundesrepublik gelebt oder hier einen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben. Auch ihre Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner können dann ein Bleiberecht bekommen.
Abschiebungen im Rahmen der Dublin-Verordnung
Die Dublin-III-Verordnung regelt, welcher EU-Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Demnach ist in der Regel immer der erste Mitgliedstaat zuständig, über den die EU betreten wurde. Unter anderem soll so verhindert werden, dass eine Person mehrere Asylanträge in verschiedenen EU-Ländern stellt. Die Verordnung gilt für alle EU-Mitgliedstaaten, die Schweiz, Norwegen und Lichtenstein.Quelle
Wie funktioniert das Dublin-Verfahren?
Wenn Schutzsuchende einen Asylantrag in Deutschland stellen, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst, ob sie bereits in einem anderen Dublin-Staat registriert sind. Das kann durch ein persönliches Gespräch sowie durch einen Abgleich der Fingerabdrücke mittels der EURDOAC-Datenbank erfolgen. Wenn sich herausstellt, dass die antragstellende Person bereits in einem anderen Mitgliedstaat registriert wurde, schickt das Bundesamt ein sogenanntes Übernahmeersuchen an die zuständige Stelle des Erstaufnahme-Staates.Quelle
Wenn der Mitgliedstaat der Übernahme zustimmt, wird das Asylverfahren in Deutschland eingestellt und der Antragsteller soll in den zuständigen Staat ausreisen oder abgeschoben werden. Dagegen kann der Antragsteller klagen. Die Überstellung muss innerhalb von (maximal) 18 Monaten ab Zustimmung des Mitgliedstaats erfolgen. Wenn der Antragstellende nach 18 Monaten noch nicht überstellt wurde, wird der Staat, in dem die asylsuchende Person sich aktuell aufhält, für den Asylantrag zuständig. Im Rahmen der Reform des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" soll diese Frist auf drei Jahre verlängert werden.Quelle
Was sind "sichere Herkunftsstaaten"?
Der rechtliche Begriff "sicherer Herkunftsstaat" ist im EU-Recht verankert: Die Asylverfahrensrichtlinie bestimmt, dass Mitgliedstaaten einzelne Länder als "sicher" einstufen können, wenn dies von internationalen Informationsquellen wie dem UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) und dem Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) bestätigt wird.
Mit einigen Ausnahmen führen EU-Mitgliedstaaten eine Liste von "sicheren Herkunftsstaaten". Anträge von Asylbewerber*innen aus diesen Staaten werden im Eilverfahren bearbeitet und in der Regel abgelehnt.
In Deutschland ist das Prinzip der "sicheren Herkunftsstaaten" im Grundgesetz verankert und im Asylgesetz konkretisiert. Demnach soll die Bundesregierung unter anderem alle zwei Jahre die Sicherheitslage in den "sicheren Herkunftsstaaten" prüfen und die Liste gegebenenfalls anpassen.
Seit 2015 gelten neben Senegal, Ghana, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien auch Kosovo, Albanien und Montenegro als "sichere Herkunftsstaaten". 2023 wurden auch die Republik Moldau und Georgien in die Liste hinzugefügt. Ein Gesetz zur Einstufung von Tunesien, Algerien und Marokko als "sicher" wurde 2016 vom Bundestag verabschiedet, bekam aber anschließend nicht die erforderliche Zustimmung des Bundesrats.
Aus "sicheren" Herkunftsstaaten kommen derzeit relativ wenige Asylbewerber*innen nach Deutschland.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht bei Asylanträgen aus sicheren Herkunftsstaaten "im Regelfall davon aus, dass in diesen Staaten keine Gefahr der asylrelevanten Verfolgung für den Antragsteller droht." Wenn ein*e Asylbewerber*in aus einem solchen Staat kommt, wird ihr/sein Antrag regelmäßig als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Ausreisefrist verkürzt sich auf eine Woche – anstatt 30 Tage wie bei anderen abgelehnten Asylbewerbern. Asylbewerber*innen aus "sicheren Herkunftsstaaten" müssen für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen.
Weitere Informationen zur Auswirkung der "sicheren Herkunftsstaaten"-Regelung auf das Asylverfahren und die Asylbewerber finden Sie in unserem Artikel vom Mai 2016.
KRITIK
Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisieren, dass mehrere Staaten auf der Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" für bestimmten Menschengruppen unsicher seien. Das gehe aus Gutachten und Stellungnahmen über die Lage in den einzelnen "sicheren Herlunftsstaaten" hervor.
Kirchenasyl
Droht Flüchtlingen eine Abschiebung oder eine Überstellung nach der Dublin-III-Verordnung, können sie unter Umständen im sogenannten "Kirchenasyl" unterkommen. Einige Kirchengemeinden in Deutschland nehmen vorübergehend Asylsuchende auf. Dadurch soll Zeit gewonnen werden, damit die Behörden das Asylverfahren erneut überprüfen können.
Anfang April 2024 gab es 594 "aktive Kirchenasyle", in denen 780 Personen lebten, darunter 131 Kinder, so die Statistik des Vereins "Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche". Von den 594 Fällen waren ein Großteil "Dublin-Fälle", nämlich 572.Quelle
Seit 2016 erhebt auch die Bundesregierung Zahlen zum Kirchenasyl. Demnach gab es im Jahr 2023 mehr als 2.065 Fälle. Darunter waren 2.030 "Dublin-Fälle". Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Kirchenasyle wieder stark an und hat inzwischen das Niveau von 2016 erreicht.
1983 wurde das erste Kirchenasyl in Berlin gewährt und zehn Jahre später die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gegründet.Quelle
Nur selten Korrekturen an den Entscheidungen
In rund 767 Fällen führte Kirchenasyl 2022 dazu, dass die Frist zur Überstellung in andere EU-Staaten nicht eingehalten wurde. Ein Kirchenasyl führt zwar häufig zu einer erneuten Prüfung der Fälle, allerdings selten zu einer Änderung der Entscheidung. 2015 haben Kirchen und Behörden vereinbart, dass die Kirchen "aussagekräftige Dossiers" über jeden einzelnen Fall erstellen sollen. 2021 wurden 623 derartige Dossiers eingereicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüfte die Fälle erneut. Als Ergebnis änderte es aber nur selten seine Entscheidung: Nur in 9 Fällen wurde die Entscheidung zurückgenommen.Quelle
Von Juli 2023 bis Mai 2024 gab es mindestens sechs "angedrohte, versuchte oder vollzogene Räumungen" von Kirchenasylen durch die Polizei, so die "Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche", die sich für Kirchenasyle einsetzt. Laut Medienberichten ist das eine neue Entwicklung. Bis 2022 sei es "höchstens einmal pro Jahr" vorgekommen.Quellen
Strafverfahren und Urteile
In der Vergangenheit gab es einige Strafverfahren gegen Geistliche, die Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt hatten. Der Vorwurf lautete: Beihilfe zum illegalen Aufenthalt (§ 95 AufenthG). Im Februar 2022 erging das erste Urteil eines Oberlandesgerichts (OLG Bayern) zu dieser Frage: Das Gericht sprach den Benediktiner-Bruder Abraham Sauer frei. Er hatte einem Palästinenser Kirchenasyl gewährt. Im Juli 2022 folgte ein nachgeordnetes Gericht in Bayern (Landgericht Würzburg) dieser Rechtsprechung und sprach die Ordensschwester Juliana Seelmann frei.Quelle
News Zum Thema: Asylrecht
Fluchtrouten "Kurz vor der EU-Grenze ist es am gefährlichsten"
Die meisten Geflüchteten, die in der EU Schutz suchen, kommen nicht über Routen, die direkt aus ihrer Heimat nach Europa führen: Ihre Reisen sind lang, gewunden und oftmals sehr gefährlich – besonders kurz vor dem Ziel, sagen Expert*innen bei einem Mediendienst-Pressegespräch.
PRESSEGESPRÄCH "Rechte Parteien dominieren das Thema Migration"
Laut Umfragen könnten bei der Europawahl rechtspopulistische und rechtsextreme politische Kräfte gut abschneiden. Ihr Erfolg wird unter anderem auf die Sorgen vor irregulärer Zuwanderung zurückgeführt. Darüber sprachen Fachleute bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENST INTEGRATION.
FLUCHTROUTEN "Ein EU-Libanon Abkommen wird wenig bewirken"
Nach Abkommen mit der Türkei, Tunesien und Ägypten strebt die Europäische Union eine Vereinbarung mit dem Libanon an, um Fluchtmigration zu verhindern. Vermittler ist diesmal Zypern. Im Interview mit dem MEDIENDIENST erklärt der Soziologe Nicos Trimikliniotis von der Universität Nikosia die Hintergründe.