Der Bundestag stimmt an diesem Freitag über einen Gesetzentwurf der Unions-Bundestagsfraktion ab: Dieser sieht vor, dass subsidiär Schutzberechtigte in Deutschland nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Angehörigen nachziehen zu lassen. Der Gesetzentwurf ist auch im Bundesrat zustimmungspflichtig.
Die Frage der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten stand wiederholt im Mittelpunkt politischer Debatten: Erst 2015 bekamen sie die Möglichkeit, Ehepartner*innen, Kinder oder Eltern nachziehen zu lassen. Das begründete der Gesetzgeber unter anderem mit dem Schutz der Familieneinheit. Nach nur einem Jahr wurde der Familiennachzug wieder ausgesetzt. Seit 2018 können Familien von subsidiär Schutzberechtigten wieder zusammengeführt werden – allerdings im Umfang von maximal 1.000 Visa pro Monat.
Wie viele Familienzusammenführungen gibt es?
2024 haben die deutschen Botschaften rund 120.000 Visa zum Zweck der Familienzusammenführung ausgestellt – davon gingen etwa 28.300 an Personen aus folgenden Asylherkunftsstaaten: Syrien (ca. 20.000), Iran (4.400), Afghanistan (2.600) und Irak (1.300).
Wie viel Familiennachzug gibt es zu subsidiär Schutzberechtigten?
Im Jahr 2024 wurden rund 12.000 Visa an Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt. Zwischen 2018 und 2024 waren es insgesamt rund 58.400 Visa – das sind etwa acht Prozent aller Visa zum Zweck der Familienzusammenführung in dieser Zeit. Mehr als 80 Prozent dieser Visa gingen an Angehörige von syrischen Bürger*innen.
Subsidiärer Schutz
In Deutschland leben derzeit rund 351.400 Personen mit subsidiärem Schutz. Einen subsidiären Schutz bekommen Personen, denen im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder eine ernsthafte „individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ droht.
Wie ist die Rechtslage?
Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge dürfen Ehegatten und minderjährige Kinder nachholen (und unbegleitete Minderjährige ihre Eltern), unabhängig davon, ob sie über genügend Einkommen oder Wohnraum verfügen. Sie müssen dafür den Nachzug innerhalb von drei Monaten beantragen, nachdem sie als Flüchtlinge anerkannt wurden. Für Flüchtlinge ergibt sich dieses Recht nicht nur aus dem deutschen Aufenthaltsgesetz, sondern auch aus der europäischen Familienzusammenführungs-Richtlinie. Der Familiennachzug für Flüchtlinge kann daher von EU-Staaten nicht einseitig ausgesetzt werden.
Anders verhält es sich mit dem Subsidiären Schutz: Die Gewährleistung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie gilt nur für Flüchtlinge, nicht für subsidiär Geschützte. Ob und in welchem Maße subsidiär Geschützte der Familiennachzug gewährt wird, hängt also vom nationalen Gesetzgeber ab. Seit August 2018 gilt in Deutschland die Regel, dass 1.000 Visa pro Monat für Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden dürfen.Quelle
Ist die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten rechtlich zulässig?
Auch wenn die EU-Familiennachzugsrichtlinie nicht für subsidiär Schutzberechtigte gilt, ist der nationale Gesetzgeber nicht völlig frei in seiner Entscheidung, welche Rechte er subsidiär Geschützten gewährt: Denn der Familiennachzug berührt sowohl Rechte aus der deutschen Verfassung (Art. 6 Grundgesetz: Ehe und Familie), als auch Rechte aus der von Deutschland ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK: Achtung des Privat- und Familienlebens).
Schon 1987 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sich Fragen rund um die Familienzusammenführung an dem Grundrecht auf Familie aus Art. 6 Grundgesetz messen lassen müssen. Auf europäischer Ebene urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2021, als es um den Familiennnachzug für einen subsidiär Geschützten in Dänemark ging, dass eine komplette Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nicht erlaubt ist: Staaten dürfen demnach den Familiennachzug für zwei Jahre ausschließen, müssen danach aber den Einzelfall prüfen.Quelle
Was bedeutet die Trennung von der Familie für Integration und Kriminalität?
2018 erfuhr eine Studie viel Aufmerksamkeit, nach der Familiennachzug die Kriminalität von Flüchtlingen senken könnte. Die Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums untersuchte die Gewaltstraftaten in Niedersachsen zwischen 2014 und 2016. Mit Blick auf die hohe Zahl an Straftaten von jungen männlichen Flüchtlingen verwies Studienleiter Christian Pfeiffer auf das Fehlen von Partnerinnen oder Müttern. Die Forderung nach Familiennachzug sei aus kriminologischer Sicht daher sinnvoll.Quelle
Die Kriminologin Prof. Gina Wollinger arbeitet zu Ausländerkriminalität sowie Zusammenhängen zwischen Migration und Kriminalität. Sie sagt, dass sich aus der Studie nicht unmittelbar ergebe, dass Familiennachzug die Kriminalität senke, sondern dies eher eine Hypothese basierend auf den Studienergebnissen sei. Allerdings zeige die kriminologische Forschung generell, dass familiäre Einbindung ein kriminalitätshemmender Faktor sei: „Hier ist sich die Forschung einig: Personen, die einsam, sozial schlecht eingebunden oder frustriert sind, begehen wahrscheinlicher eine Straftat als Personen, die familiär und sozial gut eingebunden sind. Elterliche Erziehung zu erfahren oder selbst erzieherische Verantwortung zu übernehmen, senkt die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität. Familien zu trennen, steigert daher tendenziell das Risiko für Straffälligkeit“, so Wollinger.
Wenn Flüchtlinge ihre Familienangehörigen nicht nachholen können, erschwert das in den meisten Fällen ihre Integration im neuen Land. Verschiedene Studien betonen die psychische Belastung, die die Trennung von der Familie für Menschen darstellt. Wenn Familienangehörige hingegen nachkommen dürfen, stabilisiere dies die Situation der Betroffenen und erleichtere die Integration. "Die Sorge um Angehörige erschwert es, innerlich anzukommen und sich etwa um Spracherwerb und Arbeit zu bemühen", beschreibt Prof. Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration die Situation von Geflüchteten, die ihre Angehörigen nicht nachholen können. Das Recht auf Familieneinheit zähle zu den elementaren Grund- und Menschenrechten. Zugleich sei daraus kein unbedingter Anspruch auf Familiennachzug ableitbar, da auch das staatliche Interesse an der Migrationssteuerung zu beachten sei, so Kluth.
Von: Fabio Ghelli und Donata Hasselmann
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