Medien
Wie berichten Medien über Flucht und Migration? Welche Muster gibt es? Und wie steht es um die Vielfalt in Redaktionen? Ein Überblick.
Wie vielfältig sind deutsche Medien?
In Redaktionen in Deutschland sind Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert. Es gibt aber nur wenige aktuelle Erhebungen zum Thema.
Gerade einmal sechs Prozent der Chefredakteur*innen haben eine Einwanderungsgeschichte – und die kommen alle aus Nachbarstaaten Deutschlands oder der EU. Das zeigt eine Befragung von Chefredakteur*innen der 126 reichweitenstärksten deutschen Medien aus dem Jahr 2020.Quelle
Ältere Erhebungen zum Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Redaktionen zeigen:
- Nicht mehr als vier bis fünf Prozent der Journalist*innen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund – davon geht eine nicht-repräsentative Studie von 2016 aus.Quelle
- Einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2009 zufolge hatte nur ein Prozent der Journalist*innen deutscher Tageszeitungen einen Migrationshintergrund.Quelle
- Eine Umfrage 2007/2008 ergab, dass der Anteil ausländischer Staatsbürger*innen in deutschen Medien deutlich unter fünf Prozent liegt.Quelle
Es gibt verschiedene Gründe für die geringe Vielfalt: In den Redaktionen fehlen oft konkrete Maßnahmen, um mehr Vielfalt durchzusetzen. Zudem stehen Journalist*innen mit Migrationsgeschichte vor vielen Hürden, sagen Fachleute. Oftmals müssten sie sich im Job noch mehr beweisen als Kolleg*innen ohne Einwanderungsgeschichte.Quelle
Wie berichten Medien über Migration und Flucht?
Die Berichterstattung über Eingewanderte und Geflüchtete ist häufig verzerrt. Zu diesem Ergebnis kommt der Medienforscher Thomas Hestermann in einer Expertise 2020 für den MEDIENDIENST. Viele Berichte handelten demnach von Gewalttaten, Rechtsverstößen, den Kosten der Integration oder "Überfremdung". Einwanderung als Chance hingegen ist seltener Thema. Ausnahmen sind Beiträge zu den Themen Arbeitsmarkt und Sozialstaat.Quelle
Ein weiteres Ergebnis der Expertise: Zugewanderte und Geflüchtete kommen in der Berichterstattung kaum persönlich zu Wort, selbst dann nicht, wenn über sie berichtet wird. Das zeigen auch andere Studien.
Die Berichterstattung variiert aber je nach Medium und auch nach Land:
- Eine Studie der TU Dortmund (2020) untersuchte die Berichterstattung über Migration in 16 europäischen Staaten und den USA. Ein Ergebnis: Westeuropäische und links/liberal ausgerichtete Medien berichten mehr über Themen wie gesellschaftliches Engagement für Geflüchtete, osteuropäische und eher rechts/konservativ ausgerichtete Medien mehr über problematische Themen wie etwa Kriminalität.Quelle
- Einer Studie von 2019 zufolge wird in Ländern, die viele Migrant*nnen aufnehmen, häufiger über Migration berichtet als in Ländern, aus denen vor allem Menschen abwandern. Zudem werde in Europa positiver über innereuropäische Migration berichtet als über außereuropäische.Quelle
Wann nennen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen?
Seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 sind Medien in Deutschland verstärkt dem Vorwurf ausgesetzt, die Straftaten von Eingewanderten und Geflüchteten zu verschweigen oder zu verharmlosen. Einige Redaktionen sind deshalb dazu übergegangen, die Herkunft von Tatverdächtigen öfter zu nennen.
Geregelt ist die Herkunftsnennung in Richtlinie 12.1 des Pressekodex. Der Deutsche Presserat änderte sie 2017 mit einer umstrittenen Entscheidung. Zuvor sollte die Herkunft nur dann genannt werden, wenn es einen Zusammenhang zur Tat gab. Seit 2017 steht im Kodex, die Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder Täters zu einer ethnischen, religiösen oder anderen Minderheit sei nur dann zu nennen, wenn „ein begründetes öffentliches Interesse“ bestehe. Das sei etwa der Fall, wenn es sich um besonders schwere oder außergewöhnliche Straftaten wie Terrorismus handelt oder wenn Straftaten aus einer größeren Gruppe begangen wurde, in der viele ein gemeinsames Merkmal wie die Zugehörigkeit zu einer nationalen Gruppe teilen (Beispiel: Kölner Silvesternacht).
Expert*innen warnen davor, dass die Nennung der Herkunft eines Einzelnen zu einer Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen führen kann. Die Herkunft sollte daher nur dann genannt werden, wenn im Bericht erklärt wird, warum diese für die Tat relevant ist.
Wie oft nennen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen?
Eine Expertise des Medienforschers Thomas Hestermann für den MEDIENDIENST zeigt: Medien nennen die Herkunft von mutmaßlichen Tatverdächtigen deutlich häufiger als noch vor wenigen Jahren. 2019 verweist fast jeder dritte Fernsehbeitrag über Gewaltkriminalität auf die Herkunft der Tatverdächtigen (31,4 Prozent), im Jahr 2017 waren es noch 17,9 Prozent.
Die Herkunft wird aber vor allem dann genannt, wenn die Tatverdächtigen eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen. Verglichen mit der Polizeilichen Kriminalstatistik ergibt sich daraus ein stark verzerrtes Bild: So werden ausländische Tatverdächtige 2019 in Fernsehberichten 19 Mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht. Bei Zeitungsberichten 32 Mal so häufig.Quelle
Mediennutzung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte
Menschen mit "Migrationshintergrund" nutzen überwiegend deutschsprachige Medien. Das zeigen mehrere Studien:
Eine Sonderauswertung des repräsentativen Integrationsbarometers des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) 2018 ergab: Fast 90 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund informieren sich ausschließlich oder überwiegend in deutscher Sprache über Politik. Nur jede zehnte Person mit Migrationshintergrund nutzt Medien ausschließlich oder vorwiegend in der Herkunftssprache.Quelle
Eine Befragung des WDR unter 20- bis 40-Jähringen mit Einwanderungsgeschichte 2019 zeigte: ihre Mediennutzung entspricht derjenigen von Personen ohne Migrationshintergrund in derselben Altersgruppe. Medien aus den Herkunftsländern der Familie nutzten die Befragten eher als ergänzende Quelle und vor allem bei kontroversen Themen.Quelle
Welche Medien nutzen Geflüchtete?
Eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2016 hat das Medienverhalten Geflüchteter in Deutschland untersucht. Galt in ihren Heimatländern noch das Fernsehen als wichtigstes Medium, wurde es während der Flucht und in Deutschland vom Internet überholt.Quelle
Mittlerweile gibt es in Deutschland verschiedene Nachrichten-Angebote, die sich direkt an Geflüchtete richten. Die Seite infomigrants beispielsweise, an der auch die Deutsche Welle beteiligt ist. Das Refugee Radio des WDR, das Nachrichten auf Arabisch sendet. Oder die Informationsplattformen Amal Berlin und Amal Hamburg, für die geflüchtete Journalist*innen aus Syrien, Afghanistan, Ägypten und Iran tätig sind.
Einige Medienhäuser haben in den Jahren 2015 / 2016 Formate entwickelt, die Geflüchteten das Leben in Deutschland erklären sollten. Marhaba von n-tv beispielsweise. Die meisten dieser Formate wurden allerdings nicht weitergeführt beziehungsweise wieder eingestellt.
News Zum Thema: Medien
In eigener Sache Online-Kurse für die Einwanderungsgesellschaft
Der MEDIENDIENST INTEGRATION entwickelt zusammen mit der TU Dortmund eine E-Learning-Plattform zu Migrationsthemen. Journalist*innen und andere Interessierte können sich dort in kostenlosen Kursen weiterbilden. Die Plattform soll im Laufe des zweiten Halbjahres 2021 online gehen.
Zürich Zeitungen nennen seltener die Nationalität
Anders als viele Polizeistellen nennt die Stadtpolizei Zürich seit 2018 die Herkunft von Tatverdächtigen in Pressemeldungen nicht mehr. Seitdem erwähnen auch Medien die Herkunft seltener, sagt der Züricher Sprecher des Sicherheitsdepartments im Interview. Das könnte sich wegen einer Volksabstimmung im März ändern.
Neues Dossier Migration und Vielfalt in den Medien
Wie berichten Medien über Flucht und Migration? Welche Muster gibt es? Und wie steht es um die Vielfalt in Redaktionen? Wir haben die wichtigsten Informationen in einem neuen Dossier zusammengefasst.