Wer einen Migrationshintergrund hat, ist nicht immer sofort ersichtlich. Oft wissen es selbst die Betroffenen nicht genau. Wer mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland lebt, hat einen. Wer eingebürgert wurde, auch. In anderen Fällen wird es aber schwieriger. Laut Definition des Statistischen Bundesamtes haben folgende Gruppen einen Migrationshintergrund:
- Zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer*innen,
- Zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte
- (Spät-)Aussiedler*innen
- Als Deutsche geborene Nachkommen dieser Gruppen.
⇒ Vertriebene des Zweiten Weltkrieges haben per Definition keinen Migrationshintergrund.
Was heißt das im Einzelnen? Anhand von Fallbeispielen beantworten wir diese Frage.
Im Ausland geboren: Mit oder ohne Migrationshintergrund?
Der Geburtsort ist nicht entscheidend für die Frage, ob jemand einen Migrationshintergrund hat. Drei Fallbeispiele:
- Ein Kind, dessen Mutter und Vater bei ihrer Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft haben, kommt in den USA auf die Welt. Das Kind hat die doppelte Staatsbürgerschaft: die deutsche und die amerikanische. Laut Statistischem Bundesamt hat das Kind keinen Migrationshintergrund. Denn es kam mit der deutschen Staatsbürgerschaft auf die Welt (eine zweite Staatsbürgerschaft spielt keine Rolle) und beide Eltern besaßen zum Zeitpunkt seiner Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft. Laut Mikrozensus gab es 2020 rund 301.000 Deutsche, die während eines Auslandsaufenthalts der Eltern geboren wurden, z.B. während eines Auslandsstudiums oder einer Beschäftigung im Ausland.Quelle
- Eine deutsche Frau und ein spanischer Mann kriegen in Spanien ein Kind. Das Kind erhält zwei Staatsbürgerschaften. Das Kind hat durch den Vater einen sogenannten einseitigen Migrationshintergrund.
- Zwei Eltern adoptieren ein Kleinkind, beide besitzen von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Kind hat bei der Geburt in Russland die russische Staatsbürgerschaft. Durch die Adoption nimmt es die deutsche Staatsbürgerschaft an und behält die russische. Das Statistische Bundesamt wertet solche Adoptionsfälle als Migrationshintergrund, da das Kind bei Geburt nur die ausländische Staatsbürgerschaft besaß.
(Spät-)Aussiedler*innen und Vertriebene
Insbesondere bei Eingewanderten, die als (Spät-)Folge des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland kamen, kann es komplizierter werden. Darunter fallen zum einen Vertriebene, zum anderen Aussiedler*innen und Spätaussiedler*innen: Dem Bundesinnenministerium zufolge sind das "Personen deutscher Herkunft, die in Ost- und Südosteuropa sowie in der Sowjetunion unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben (und die) noch Jahrzehnte nach Kriegsende aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit massiv verfolgt wurden".
Dem Mikrozensus 2020 zufolge bilden (Spät-)Aussiedler*innen mit knapp 2,5 Millionen Menschen die zweitgrößte Einwanderergruppe in Deutschland.Quelle
Beispiele für die Vertriebenen- und (Spät-)Aussiedlerbiografien:
- Eine Familie kommt mit einer dreijährigen Tochter 1949 als Folge des Zweiten Weltkrieg aus dem Gebiet des heutigen Estland in die Bundesrepublik. Sie hat seit vielen Generationen die deutsche Volkzugehörigkeit (als sog. "Deutsch-Balten"), aber die Staatsangehörigkeit der damaligen Estnischen Sowjetischen Republik. Alle Familienmitglieder erhalten den Vertriebenenstatus und die deutsche Staatsbürgerschaft.Sie haben per Definition keinen Migrationshintergrund, weil sie vor 1950 eingewandert und deutschstämmig sind.
- Die Familie eines 1949 in Schlesien geborenen Mädchens wandert 1954 nach Hannover aus. Alle Familienmitglieder haben zunächst die polnische Staatsbürgerschaft. Durch einen Nachweis ihrer deutschen Volkszugehörigkeit erhalten alle Familienmitglieder 1955 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Familienmitglieder haben einen Migrationshintergrund, weil sie erst nach 1950 eingewandert und als Deutschstämmige einbürgert wurden. Kriegt das 1949 geborene Mädchen später ein Kind, hat auch dieses einen Migrationshintergrund.
Die Beispiele verdeutlichen, dass der Migrationshintergrund oft nicht die Migrationserfahrung einer Person beschreibt. Entscheidend ist, welche Staatsangehörigkeit jemand bei der Geburt besaß, einzige Ausnahme bilden Vertriebene.
Zuwanderungserfahrung statistisch besser erfassen
Die Fachkommission Integrationsfähigkeit schlug Anfang 2021 vor, das Merkmal eigener Zuwanderungserfahrung stärker zu gewichten und den zunehmend in die Kritik geratenen Begriff durch "Eingewanderte und ihre Nachkommen" zu ersetzen. Anja Petschel vom Statistischen Bundesamt sagte dem MEDIENDIENST, eine interne Projektgruppe würde in den kommenden zwei Jahren prüfen, wie sich sie die Empfehlung der Fachkommission umsetzen ließe. Allerdings sind derzeit noch viele Fragen offen, unter anderem: Wie würden diejenigen benannt, die nicht "Eingewanderte und ihre Nachkommen" sind? Im Rahmen dieses Projektes sollen daher auch weitere Begriffe geprüft werden. Es sei aber nicht zu erwarten, dass der Migrationshintergrund in seiner jetzigen Definition sofort ersetzt werde; eher werde zusätzlich eine neue Kategorie parallel, nach und nach eingeführt.
Von Martha Otwinowski
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