Flüchtlinge aus der Ukraine
Seit der russischen Invasion in die Ukraine sind Millionen Menschen auf der Flucht. Wohin fliehen sie? Wie ist ihre rechtliche Situation? Und welche Folgen hat der Krieg für die Communities in Deutschland?
Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland
Zwischen Ende Februar und dem 30. Januar 2023 wurden 1.056.416 Geflüchtete aus der Ukraine im Ausländerzentralregister (AZR) registriert. Davon haben:
- 750.836 einen Aufenthalt nach §24 AufenthG
- 131.794 eine Fiktionsbescheinigung (d.h. es wurde noch nicht über Antrag entschieden)
- 131.038 ein Schutzgesuch geäußert
- 42.748 noch kein Schutzgesuch oder Titelerteilung
Auch der UNCHR veröffentlicht Zahlen zu Deutschland. Abweichungen ergeben sich durch unterschiedliche Zeitpunkte der Veröffentlichung.Quelle
Wie viele Personen genau Deutschland erreicht beziehungsweise verlassen haben, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Ukrainische Staatsbürger*innen können ohne Visum in die Europäische Union einreisen und sich in EU-Mitgliedstaaten des Schengen-Raums frei bewegen. Das BAMF sagt, dass einige Geflüchtete bereits weiter- beziehungsweise zurück in die Ukraine gereist sein könnten.Quelle
Was weiß man über die Flüchtlinge aus der Ukraine?
Rund 96 Prozent von den im AZR registrieren Geflüchteten sind ukrainische Staatsbürger*innen (Stand: 30. Januar). Unter den Erwachsenen sind knapp 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer. Rund 356.000 der im AZR registrierten Geflüchteten aus der Ukraine sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, davon die meisten im Grundschulalter (38 Prozent).Quelle
Der Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland" zufolge liegt das Durchschnittsalter der ukrainischen Geflüchteten bei etwa 28 Jahren. Viele von ihnen sind ohne Partner nach Deutschland gekommen (77 Prozent). Fast die Hälfte der erwachsenen Geflüchteten reiste mit Kindern (48 Prozent) ein.Quelle
Wo wohnen sie?
Fast drei Viertel aller Geflüchtete aus der Ukraine wohnen in privaten Wohnungen und Häusern – das geht aus der Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland" hervor. Von ihnen leben rund 25 Prozent zusammen mit Angehörigen oder Freund*innen, die bereits in Deutschland waren. 17 Prozent der Geflüchtete wohnen in Hotels oder Pensionen. Lediglich 9 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete.Quelle
Wie viele von ihnen werden bleiben?
37 Prozent der Geflüchtete aus der Ukraine möchtet langfristig in Deutschland bleiben. Weitere 34 Prozent nur bis Kriegsende. Lediglich zwei Prozent planen, innerhalb eines Jahres zurückzukehren, zeigt die Befragung" von IAB, BiB/FReDA, BAMF und SOEP Stand Oktober 2022.
Flüchtlinge aus der Ukraine in den Bundesländern
Die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wohnen in folgenden Bundesländern (Zahlen aufgerundet, Stand September 2022). Quelle
- Nordrhein-Westfalen: 219.000
- Bayern: 149.000 Personen
- Baden-Württemberg: 131.000
- Niedersachsen: 109.000
- Hessen: 80.000
Die Bundesländer erfassen die Zahl der im Land registrierten Geflüchteten aus der Ukraine allerdings sehr unterschiedlich. Einige beziehen sich auf Daten des Ausländerzentralregisters, während andere die Zahl der in Aufnahmeeinrichtungen registrierten Personen berücksichtigen. In beiden Fällen handelt es sich um Schätzungen, denn es ist nicht bekannt, wie viele Geflüchtete wieder fortgezogen sind.
Aufnahme in den Bundesländern
Alle Bundesländer haben ihre Aufnahmeinfrastruktur 2022 ausgebaut: Bayern hat zum Beispiel rund 40.000 neue Aufnahmeplätze für Geflüchtete aus der Ukraine geschaffen, in Niedersachsen wurde die Platzzahl in Aufnahmeeinrichtungen mehr als verdoppelt. Dennoch melden alle zuständigen Ministerien, dass die Belegungsquote in den Flüchtlingsunterkünften sehr hoch ist: In Hamburg und Berlin liegt sie etwa bei 99 Prozent. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachen liegt sie bei rund 80 Prozent. Es werden verstärkt Notunterkünfte in Hallen, Hotels und Gewerbeimmobilien genutzt.Quelle
Viele ukrainische Geflüchtete leben noch in Aufnahmeeinrichtungen. Einige von ihnen finden auf den angespannten Wohnungsmärkten keine eigene Wohnung. Andere, die nach der Ankunft in Deutschland privat untergekommen waren – alleine oder bei Verwandten, Bekannten oder Gastfamilien – mussten inzwischen diese Wohnungen verlassen und in Flüchtlingsunterkünfte ziehen. In Bayern sind rund 29.000 Geflüchtete aus der Ukraine in staatlichen Unterkünften untergebracht. In Hamburg sind das etwa 17.000 Menschen, in Berlin rund 3.000 Personen (Stand November). In den meisten Bundesländern sind es deutlich weniger Menschen, da Aufnahmeeinrichtungen der Länder verstärkt für andere Asylbewerber*innen benötigt werden.Quelle
Die Verteilung der Geflüchteten auf die Bundesländer erfolgt generell nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Die Länder verteilen wiederum auf Kommunen und Landkreise weiter. Für Geflüchtete aus der Ukraine gibt es seit Juni 2022 neben dem Erstverteilsystem für Asylsuchende (EASY) das Erfassungs- und Verteilsystem "FREE". Etliche Bundesländer hatten die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine über das System "FREE" vorübergehend eingestellt.Quelle
Wo sind die meisten Leistungsempfänger*innen, wo die meisten Schüler*innen?
Wenn man die Zahl der Leistungsberechtigten und Schüler*innen aus der Ukraine mit der Gesamtbevölkerung der Bundesländer vergleicht, fällt auf: Einige Bundesländer haben überdurchschnittlich viele Personen aufgenommen. Dazu zählen Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Hamburg.Quelle
Ukrainische Flüchtlinge in anderen Ländern
Seit der russischen Invasion in der Ukraine sind Millionen Menschen auf der Flucht. Die wichtigsten Zahlen:
- 4.823.326 Personen (Stand 31. Januar) haben dem UNHCR zufolge europaweit temporären Schutz auf Basis der Massenzustromrichtlinie der EU oder ähnlichen Mechanismen (wie beispielsweise dem Schutzstatus S in der Schweiz) erhalten.
- 8.046.560 Menschen aus der Ukraine sind dem UNHCR zufolge vorläufig als Flüchtlinge in Europa registriert (Stand: 31. Januar).
- Der IOM zufolge sind rund 5.914.000 Menschen Flüchtlinge im eigenen Land (Stand: 5. Dezember). Im Mai lag die Zahl bei über sieben Millionen Menschen.
- 5.236.000 Menschen sind in der IOM zufolge wieder an ihren Wohnsitz in der Ukraine zurückgekehrt (Stand 5. Dezember).
Stand 31. Januar war die Anzahl der Schutzsuchenden aus der Ukraine in die Nachbarstaaten und anderen Ländern:
Quelle: Neueste Zahlen zu Ukrainer*innen in weiteren Ländern veröffentlicht der UNHCR wöchentlich über diese Webseite. Die Innenministerien einiger Länder – beispielsweise der Schweiz, Italiens oder Tschechiens – verkünden die aktuellen Zahlen täglich über ihre offiziellen Twitter-Accounts.
Weitere Länder Europas, in die viele Menschen aus der Ukraine geflohen sind:
- Italien: 169.306 (vorläufig registrierte Flüchtlinge, Stand: 20.01.)
- Spanien: 161.012 (vorläufig registrierte Flüchtlinge, Stand: 31.01.)
- Großbritannien: 158.800 (vorläufig registrierte Flüchtlinge, Stand: 23.01.).Quelle
Hinweise zu den Zahlen: Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine sich in welchem Land aufhalten, kann nicht genau ermittelt werden: Da einige Geflüchtete aus der Ukraine zunächst in ein Land fliehen und anschließend in ein anderes weiterreisen (z.B. über die Republik Moldau nach Rumänien), können sich Verzögerungen oder doppelte Zählungen in den Daten ergeben. Darüber hinaus können sich ukrainische Staatsbürger*innen frei zwischen den EU-Staaten bewegen. Es könnte also auch sein, dass einige Menschen in einem Land zwar Schutz beantragen, aber später in ein anderes Land weiterreisen. Quelle
Wer flieht?
Es fliehen vor allem Frauen und Kinder, Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen wegen der Mobilmachung das Land nicht verlassen. Einer Befragung der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) zwischen April und Juni 2022 zufolge sind 82 Prozent der Geflüchtete Frauen. Fast jede fünfte Person ist minderjährig. 96 Prozent sind Ukrainer*innen, vier Prozent sind Drittstaatsangehörige.Quelle
Geflüchtete aus der Ukraine sind überdurchschnittlich gut qualifiziert: Etwa drei Viertel von ihnen haben einen Hochschulabschluss (Bachelor oder Master). Als der Krieg begann hatten 77 Prozent von ihnen eine Arbeit.Quelle
Geflüchtete haben ihr Ziel nach unterschiedlichen Kriterien ausgewählt: Die wichtigsten waren, ob es bereits Angehörige im Land und gute Arbeitsperspektiven gab. Etwa ein Drittel aller Geflüchtete hat eine Unterkunft bei Gastfamilien gefunden. 20 Prozent bei Freunden und Verwandten.Quelle
Minderjährige Flüchtlinge aus der Ukraine
Seit Kriegsbeginn wurden 355.031 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre im Ausländerzentralregister erfasst (Stand 23. Januar). Einige könnten bereits weitergereist sein.Quelle
Rund 4,3 Millionen Kinder mussten aus den Kriegsgebieten der Ukraine fliehen, 1,8 Millionen in andere Länder, schätzte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF Ende März. Rund die Hälfte der Kriegsflüchtlinge aus dem Land sind Kinder und Jugendliche.Quelle
Ukrainische Kinder in Kitas
Laut einer repräsentativen Befragung unter ukrainischen Geflüchteten besuchen 22 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 59 Prozent der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintrittsalter eine Kita. Quelle
Ukrainische Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen
Rund 203.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine wurden bereits an deutschen allgemein- und berufsbildenden Schulen aufgenommen (Stand: 22. Januar 2023). In einer repräsentativen Befragung unter ukrainischen Geflüchteten gaben 91 Prozent der Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter an, dass mindestens ein Kind die Schule besucht.Quelle
Im März kündigten die meisten Bundesländer an, sogenannte Willkommensklassen einzurichten, in denen die Kinder und Jugendlichen zunächst getrennt von anderen Schüler*innen unterrichtet werden. Eine Umfrage des MEDIENDIENSTES im November unter den Kultusministerien zeigt: Mittlerweile wird in vielen Bundesländern ein Teil der ukrainischen Schüler*innen in Regelklassen unterrichtet, andere in getrennten Klassen. Viele ukrainische Schüler*innen konnten bereits in die Regelklassen wechseln, da sie ausreichend Deutsch können.
Die staatlichen Schulen bieten selbst keinen Unterricht an, der einem ukrainischen Lehrplan folgt. Das hat die Kultusminister*innenkonferenz im Juni beschlossen. Viele Schüler*innen nehmen aber nachmittags an Online-Unterricht aus der Ukraine teil. Den Bundesländern liegen keine Zahlen dazu vor, wie viele Kinder das sind. In einer repräsentativen Umfrage unter ukrainische Geflüchteten gaben 23 Prozent der Familien mit Kindern im schulpflichtigen an, dass mindestens ein Kind ukrainischen online-Unterricht besucht. Der wird vor allem als Ergänzung zum deutschen Unterricht gesehen.Quelle
Die Recherche des MEDIENDIENSTES ergab: Für fast alle Bundesländer ist die größte Herausforderung, dass Lehrkräfte und Räume in den Schulen fehlen. Zudem seien viele Kinder und Jugendliche psychisch durch den Krieg belastet und hätten Traumata. Hinzu komme, dass es für viele Familien nicht klar sei, wie lange sie in Deutschland bleiben, die Motivation, in Deutschland zur Schule zu gehen sei deshalb bei einigen Schüler*innen gering.
Wie steht es um ukrainische Lehrkräfte?
Zwischen 13.500 und 19.400 zusätzliche Lehrkräfte an Schulen seien nötig, um die neuen Schüler*innen zu unterrichten, so eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von Ende Mai 2022. Alle Bundesländer haben neue Lehrer*innen und weiteres pädagogisches Personal eingestellt, darunter pensionierte Lehrer*innen oder Quereinsteiger*innen.
Zudem haben rund 3.000 Personen aus der Ukraine mittlerweile eine Stelle an Schulen gefunden – das ergab die Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den Kultusministerien. Meist unterrichten sie jedoch nicht als Lehrer*innen, sondern unter anderem als Sprachmittler*innen oder Lernbegleitung. Um als Lehrer*innen zu arbeiten, müssten sie den normalen Anerkennungsprozess durchlaufe, die Hürden sind hoch.
Drittstaatsangehörige aus der Ukraine
Im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine mussten auch viele Drittstaatsangehörige das Land verlassen. Die wichtigsten Zahlen:
- Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren es zum Stichtag 28. Dezember 2022 rund 592.000 Personen.Quelle
- In Deutschland befinden sich derzeit knapp 38.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ohne ukrainische Staatsbürgerschaft (Stand: 23. Januar).Quelle
- Zum 24. September hatten rund 14.400 Geflüchtete Drittstaatsangehörige aus der Ukraine in Deutschland vorübergehenden Schutz nach der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie erhalten.Quelle
Kriegsflüchtlinge aus Drittstaaten können nach der Massenzustrom-Richtlinie nur dann wie ukrainische Staatsbürger*innen einen Aufenthaltstitel in der Europäischen Union erhalten, wenn sie internationalen Schutz genießen oder sich mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben und nicht sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können.
Eine Übergangsregelung ermöglichte zunächst auch Drittstaatler*innen, die mit befristetem Aufenthalt in der Ukraine waren, Einreise und Aufenthalt. Nachdem diese zum 31. August auslief, können sich viele von ihnen nur noch 90 Tage legal in Deutschland aufhalten. Berlin, Bremen und Hamburg haben insbesondere für Drittstaatler*innen, die zum Studium in der Ukraine waren, eine Anschluss-Übergangslösung gefunden, die ihnen einen Aufenthalt für sechs weitere Monate ermöglicht.Quelle
Welchen Aufenthaltstatus hatten sie in der Ukraine?
Rund 293.600 Ausländer*innen sollen 2020 – Zeitpunkt der jüngsten Erhebung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) – in der Ukraine mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus gelebt haben. Außerdem hatten mehr als 150.000 Personen befristete Aufenthaltstitel. Etwa die Hälfte von ihnen waren internationale Studierende – vor allem aus Indien (23,6 Prozent), Marokko (11,5 Prozent), Turkmenistan und Aserbaidschan (jeweils sieben und sechs Prozent) und Nigeria (fünf Prozent).Quelle
Unter den Drittstatsangehörigen sind laut UNHCR auch ungefähr 4.900 Flüchtlinge und Asylsuchende (vorläufige Zahlen für 2021; 2020: rund 4.600). Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan und Syrien. Der Migrationsforscher Franck Düvell schätzt allerdings, dass zum Kriegsausbruch deutlich mehr Geflüchtete im Land lebten: Seit den 80er Jahren sollen im Land etwa rund 20.000 afghanische Flüchtlinge Schutz gesucht haben.Quelle
Vor dem Krieg: Ukrainer*innen in Deutschland
Vor dem Ukraine-Krieg lebten rund 331.000 Menschen mit einem ukrainischen Migrationshintergrund in Deutschland. Sie machten rund 10 Prozent der postsowjetischen Migrant*innen und deren Nachkommen aus. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsangehörigkeit (196.000), etwas weniger die ukrainische Staatsangehörigkeit (135.000), so die Zahlen der Bevölkerungsfortschreibung für 2020.Quelle
Tatsächlich könnten es bis zu 250.000 ukrainische Staatsbürger*innen in Deutschland gewesen sein, schätzte Migrationsforscher Franck Düvell, denn viele Menschen pendelten visumsfrei zwischen den beiden Ländern.
Eine Besonderheit: Unter den ukrainischen Staatsangehörigen sind Frauen deutlich in der Mehrheit (rund 64 Prozent).Quelle
Nachdem russische Einheiten 2014 die Krim besetzt haben und Krieg im Osten des Landes ausgebrochen ist, haben viele Ukrainer*innen ihr Land verlassen. Die Zahl derjenigen, die nach Deutschland eingewandert sind, ist gestiegen.
Wo leben viele Ukrainer*innen?
Die meisten Ukrainer*innen lebten vor dem Krieg in Berlin (13.000) und München (7.300). Zudem lebten viele in Städten und Ballungsräume im Westen und Süden. Verglichen mit anderen ausländischen Bevölkerungsgruppen sind sie stärker verteilt über das Bundesgebiet. In Ostdeutschland ist ihr Anteil höher, vor allem weil dort verhältnismäßig wenige andere Ausländer*innen leben, wie IAB-Forscher*innen gezeigt haben. Den größten Anteil an der ausländischen Bevölkerung haben Ukrainer*innen in Schwerin (7,8 Prozent) und Frankfurt/Oder (7 Prozent). Die Verteilung liegt unter anderem daran, dass jüdische Kontingentflüchtlinge aus der Ukraine in den 1990er Jahren über das Bundesgebiet verteilt wurden.Quelle
Viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zogen zunächst zu Familie und Bekannten. Vielerorts, beispielsweise in Berlin und in Bayern, wurden im Laufe des Jahres allerdings strengere Regeln eingeführt. Flüchtlinge aus der Ukraine durften sich dann beispielsweise nur niederlassen, wo sie enge Familienmitglieder nachweisen konnten.
Aufenthaltstitel der Ukrainer*innen
Die meisten ukrainischen Staatsangehörigen in Deutschland, die vor dem Krieg einreisten, haben einen unbefristeten Aufenthaltstitel – das heißt: Sie leben in der Regel seit mindestens fünf Jahren in Deutschland und dürfen hier bleiben. Von den Personen, die noch einen befristeten Aufenthaltsstatus haben, kamen die Hälfte über den Familiennachzug (47 Prozent), als Flüchtlinge (22 Prozent) oder zu Erwerbszwecken (13 Prozent) nach Deutschland.Quelle
Einen Asylantrag haben in den letzten Jahren nur wenige Ukrainer*innen gestellt und von denen haben nur wenige Asyl erhalten. Bis Ende 2021 lag die Schutzquote für ukrainische Geflüchtete bei rund vier Prozent.Quelle
Im Vergleich zu anderen Gruppen postsowjetischer Migrant*innen sind Ukrainer*innen stärker sozial benachteiligt. Mehr als ein Drittel von ihnen verdient im Monat weniger als 1.500 Euro, wie Zahlen aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg zeigen.
Mehr Zahlen und Fakten zu post-sowjetischen Communities insgesamt in Deutschland im Infopapier
"Post-Sowjetische Migration in Deutschland" (Juni 2021)
Rechtliche Situation für Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland
Die derzeitige rechtliche Situation für Ukrainer*innen gestaltet sich wie folgt:
- Ukrainische Flüchtlinge können ohne Visum nach Deutschland einreisen. Nach der Einreise können sie sich für 90 Tage in Deutschland aufhalten (Anhang II der EU-Verordnung 2018/1806).
- Nach Ablauf der 90 Tage können sie bei der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis für nochmals 90 Tage beantragen (§ 40 AufenthV)
- EU-Massenzustrom-Richtlinie : Auf europäischer Ebene wurde am 4. März 2022 die "Massenzustrom-Richtlinie" aktiviert. Das bedeutet: Ukrainische Geflüchtete müssen in Deutschland und allen anderen EU-Ländern kein normales – üblicherweise langwieriges und bürokratisches – Asylverfahren durchlaufen. Stattdessen bekommen sie automatisch einen Aufenthaltsstatus. Dieser Aufenthaltsstatus – genannt: »vorübergehender Schutz« – gilt zunächst für ein Jahr und kann sich zweimal automatisch um sechs Monate verlängern. Der Rat kann diesen Status noch einmal um ein weiteres Jahr, auf maximal drei Jahre, verlängern. In Deutschland wird die Richtlinie durch den §24 AufenthG umgesetzt.Quelle
- Derzeit laufende Asylverfahren von Ukrainer*innen werden zur Zeit vom BAMF nicht entschieden, sondern "rückpriorisiert", das heißt vorläufig zurückgestellt.Quelle
- Abschiebungen sind laut Bundesinnenministerium auf Anfrage des MEDIENDIENSTES derzeit "nicht denkbar". Die Zuständigkeit für Abschiebungen liegt aber bei den Bundesländern. Sie müssen daher über einen Abschiebestopp entscheiden (§ 60a I AufenthaltG).Quelle
- Eine Sonderregelung gibt es für Jüdinnen:Juden aus der Ukraine. Sie können über eine jüdische Gemeinde in Deutschland dauerhaften Aufenthalt als Kontingentflüchtlinge beantragen. Das gilt, wenn sie zum Zeitpunkt des russischen Angriffs dauerhaft in der Ukraine gelebt haben und jüdischer Abstammung sind.Quelle
Wie ist die Situation für Nicht-Ukrainer*innen, die aus der Ukraine fliehen?
- Personen ohne ukrainischen Pass – sogenannte Drittstaatsangehörige, zum Beispiel ausländische Studierende aus afrikanischen Staaten – bräuchten eigentlich ein Visum (oder einen anderweitigen Aufenthaltstitel), um nach Deutschland einzureisen.Quelle
- Wegen des Krieges wird davon eine Ausnahme gemacht: Auch Nicht-Ukrainer*innen, die sich bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine aufgehalten haben, können ohne Visum legal einreisen und sich bis zu 90 Tage rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Grundlage hierfür ist die "Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung".Quelle
- Die anschließenden rechtlichen Aufenthaltsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige sind komplizierter als für ukrainische Staatsangehörige:
- Familienangehörige von Personen, die einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG (also, nach der "EU-Massenzustrom-Richtlinie") bekommen, erhalten auch einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG.Quelle
- Anerkannte Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Familienangehörigen bekommen ebenfalls einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG.Quelle
- Drittstaatsangehörige mit einem befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine können einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG bekommen, wenn eine Rückkehr in ihr jeweiliges Herkunftsland unmöglich ist. Wie diese "Unmöglichkeit" zu verstehen ist, hat das Bundesinnenministerium in einem Rundschreiben vom 14.4.2022 konkretisiert: Bei Personen mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine wird im Regelfall davon ausgegangen, dass sie nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Personen mit einem befristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine hingegen müssen individuell darlegen, warum eine Rückkehr nicht möglich ist (Gründe können etwa politische Verfolgung, Kriege oder persönliche lebensgefährdende Umstände sein). Bei Personen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea wird grundsätzlich angenommen, dass eine Rückkehr unmöglich ist. Auch die EU-Kommission hat in "Operativen Leitlinien" zur Umsetzung der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" Hinweise zur Auslegung gegeben.Quelle
- Drittstaatsangehörige, die keinen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten, können sich um anderweitige Aufenthaltstitel bemühen: Etwa einem Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums oder einem humanitären Aufenthaltstitel nach Durchlaufen eines Asylverfahrens.
Welche Rechte ergeben sich aus § 24 AufenthG / aus der "EU-Massenzustrom-Richtlinie"?
Personen, die gemäß der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" (in Deutschland: § 24 AufenthG) vorübergehenden Schutz bekommen, haben im Aufnahmeland folgende Rechte:
- Ausübung einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit,
- Zugang zu Bildungsangeboten für Erwachsene, Fortbildungen, bzw. Zugang zum Bildungssystem für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
- Anspruch auf medizinische Versorgung
- Anspruch auf Sozialleistungen
- Anspruch auf angemessene Unterbringung bzw. finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft. Die Geflüchteten werden in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Das betrifft nicht Personen, die privat untergekommen sind.Quelle
- Ein späterer Wechsel zu einem anderen Aufenthaltsstatus (z.B. Studium, Arbeit) ist laut Rundschreiben des Bundesinnenminisiteriums möglich.Quelle
Quellen:
- EU: Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union zur Massenzustromrichtlinie
- BMI: Rundschreiben zur Umsetzung der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" (14. April 2022)
- Auswärtiges Amt: "Virumsfreies Einreisen in den Schengenraum für ukrainische Staatsangehörige"
- Auswärtiges Amt: "Aktuelle Situation in der Ukraine"
- Innenministerium: "Fragen und Antworten zur Einreise aus der Ukraine"
- BAMF: "Fragen und Antworten zur Einreise aus der Ukraine und zum Aufenthalt in Deutschland"
- Asyl.net: Fragen und Antworten: Perspektiven für nicht-ukrainische Staatsangehörige, die aus der Ukraine geflüchtet sind
Beratungsstellen für ukrainische Flüchtlinge:
- Berlin: Beratungsstellen (PDF)
- Deutschlandweit: Refugee Law Clinics Deutschland, Datenbank Asyl.net
- Webseite Germany4Ukraine des Innenministeriums
- Informationsseite von Handbook Germany
Welche Sozialleistungen bekommen Flüchtlinge aus der Ukraine?
Die Zahlen
Ende November waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit etwa 452.000 Flüchtlinge aus der Ukraine bei den Jobcentern gemeldet, die meisten von ihnen in Nordrhein-Westfalen (rund 96.000 Menschen), Bayern (61.000) und Baden-Württemberg (etwa 60.000 Personen). Zum Vergleich: Im Februar, zu Beginn des russischen Angriffskriegs, waren es 15.700 in ganz Deutschland.Quelle
Nur etwa 40 Prozent von ihnen sind arbeitslos gemeldet, Ende November waren es rund 187.000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Mehrheit besucht beispielsweise Integrationskurse oder betreut Kinder. Seit Ende September geht die Zahl der arbeitslosen Ukrainer*innen zurück – auch weil immer mehr einen Integrationskurs besuchen.Quelle
Welche Leistungen können sie beziehen?
Geflüchtete aus der Ukraine können wie andere Asylbewerber*innen und Geduldete Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Diese umfassen Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und einen monatlichen Geldbetrag. Das gilt sowohl für ukrainische Staatsbürger*innen als auch für Drittstaatsangehörige, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können.Quelle
Ab dem 1. Juni 2022 können sie außerdem wie leistungsberechtigte deutsche Staatsbürger*innen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch beziehen – das heißt Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Dafür müssen sie einen Aufenthaltstitel zum vorübergehenden Schutz (§24 AufenthG) besitzen oder zumindest eine Bescheinigung über ihren rechtmäßigen Aufenthalt und müssen ihren dauerhaften Wohnsitz in Deutschland haben. Ihre Identität muss außerdem geklärt sein – entweder durch Speicherung ihrer Daten im Ausländerzentralregister (AZR) oder durch eine erkennungsdienstlichen Behandlung bis zum 31. Oktober 2022. Geflüchtete aus der Ukraine können schon jetzt einen entsprechenden Antrag bei den Jobcentern stellen.Quelle
Der Übergang zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch hat klare Vorteile: Flüchtlinge erhalten dadurch höhere monatliche Geldbeträge, Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende und Schwangere sowie eine reguläre Krankenversicherung. Sie bekommen außerdem Zugang zu den Vermittlungs- und Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit.Quelle
Geflüchtete aus der Ukraine, die in Deutschland arbeiten oder sich mindestens 15 Monate im Land aufhalten, haben zudem Anspruch auf Kindergeld. Studierende, die als Flüchtlinge aus der Ukraine kamen, haben ab dem 1. Juni 2022 Anspruch auf BAföG.Quelle
Wie viele ukrainische Geflüchtete Sozialleistungen nach dem SGB beziehen werden, ist schwer abzusehen. Nicht alle Geflüchteten, die im Ausländerzentralregister (AZR) eingetragen sind, werden Leistungen beziehen: Einige von ihnen sind fortgezogen oder haben eigene Einkommensquellen. Bei 200.000 zusätzlichen Bedarfsgemeinschaften rechnet die Bundesregierung mit Mehrausgaben von 3,4 Milliarden Euro im Jahr.
Aufgrund der Sonderregelung für Geflüchtete aus der Ukraine fordern Gewerkschaften und Menschenrechteorganisationen eine Abschaffung des Asylbewerberberleistungs-Systems und eine Eingliederung aller Flüchtlinge und Asylbewerber*innen in das reguläre Sozialhilfesystem.
Ukrainische Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt
Wie viele Personen, die aus der Ukraine geflüchteten sind, in Deutschland bereits einen Job gefunden haben, ist noch nicht klar. Jedoch ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit ukrainischer Staatsangehörigkeit laut Bundesagentur für Arbeit von Februar bis Oktober 2022 gestiegen, von 57.000 auf rund 120.300.Quelle
Der Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland" zufolge haben 17 Prozent der Geflüchteten aus der Ukrainer*innen im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre) eine Arbeit in Deutschland (Stand: Oktober 2022). 83 Prozent von ihnen arbeiten als Angestellte, jeweils acht Prozent als Arbeiter*innen oder Selbstständige. 71 Prozent von ihnen üben einen "qualifizierten" oder "hochqualifizierten" Beruf aus – insbesondere im Dienstleistung-Sektor.Quelle
Welche Qualifikation bringen sie mit?
Geflüchtete aus der Ukraine haben im Durchschnitt ein sehr hohes Bildungsniveau – sowohl im Vergleich zu anderen Geflüchteten als auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland. Fast drei Viertel von ihnen (72 Prozent) gelten als "hochqualifiziert", besitzen also einen Hochschul- beziehungsweise Fachhochschul-Abschluss. Auch im Verhältnis zur ukrainischen Bevölkerung sind Geflüchtete, die nach Deutschland gekommen sind, besonders gut qualifiziert.Quelle
In der Ukraine haben vergleichsweise viele Frauen in akademischen, technischen oder medizinischen Berufen gearbeitet – also in Bereichen, in denen in Deutschland große Personalengpässe herrschen. Das dürfte die Jobsuche erleichtern. Erste Zahlen aus Beratungsstellen zeigen, dass viele Ukrainer*innen als Lehr- oder Pflegekräfte arbeiten möchten.Quelle
Knapp zwei Prozent der deutschen Betriebe haben bisher laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ukrainische Geflüchtete eingestellt – vor allem aus dem Groß- und Einzelhandel, dem Baugewerbe und der Gastronomie (Stand Juni 2022).Quelle
Erst Deutsch lernen und Abschlüsse anerkennen lassen
Wie gut die Integration auf dem Arbeitsmarktintegration glingt, hänge stark von der schnellen Anerkennung der in der Ukraine erworbenen Qualifikationen ab, sagen Expert*innen. Eine weitere Herausforderung sind Sprachkenntnisse: 80 Prozent der Ukrainer*innen, die im Rahmen der Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland" befragt wurden, gaben an, dass sie nur ein wenig beziehungsweise gar kein Deutsch sprechen; 50 Prozent besuche einen Sprachkurs. Stand Ende November haben rund 185.000 ukrainische Erwachsene einen Integrationskurs begonnen (Stand: 13. Dezember 2022).Quelle
Bis sie Deutsch gelernt haben, könnten sich einige von ihnen für Jobs entscheiden, in den weniger Deutschkenntnisse nötig sind, wie etwa Reinigungsberufe oder Zeitarbeit – und dann in diesen niedrig qualifizierten Bereichen "festhängen". Fachleute empfehlen deshalb bessere Sprach- und Integrationsangebote.Quelle
Wie viele Ukrainer*innen sind arbeitslos?
Seit dem 1. Juni haben geflüchtete Ukrainer*innen Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter. In den Arbeitsmarktstatistiken schlägt sich das nieder: Laut Bundesagentur für Arbeit lässt sich der Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Deutschland in den letzten Monaten zum Teil durch die Fluchtmigration aus der Ukraine erklären.Quelle
Ende Dezember waren nach Angaben der Bundesagentur etwa 462.000 Flüchtlinge aus der Ukraine bei den Jobcentern angemeldet, die meisten von ihnen in Nordrhein-Westfalen (rund 99.000 Menschen), Bayern (rund 62.000) und Baden-Württemberg (knapp 62.000 Personen). Zum Vergleich: Im Februar, zu Beginn des russischen Angriffskriegs, waren es 15.700 in ganz Deutschland.Quelle
Nur etwa 40 Prozent von ihnen sind arbeitslos gemeldet, Ende Dezember waren es rund 183.000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Mehrheit besucht beispielsweise Integrationskurse oder betreut Kinder. Seit Ende September geht die Zahl der arbeitslosen Ukrainer*innen zurück – auch wegen der Teilnahme an Integrationskursen. Quelle
Anfeindungen und Angriffe im Zusammenhang mit dem Krieg
Seit Kriegsbeginn in der Ukraine gibt es besonders in den sozialen Medien Berichte über Anfeindungen und Angriffe auf Personen russischer und ukrainischer Herkunft sowie deren Einrichtungen. Zuletzt gingen die Zahlen zurück.
Das Bundeskriminalamt hat seit der Invasion deutschlandweit mehr als 4.000 "strafrechtlich relevante Ereignisse" im Zusammenhang mit dem Konflikt registriert (Stand 21.Oktober 2022). Im Vergleich zu den ersten Kriegswochen ging die Zahl der Straftaten zurück: Während das Bundeskriminalamt anfangs rund 200 Straftaten pro Woche erfasste, ist die Tendenz seit Ende Mai stark rückläufig. Quelle
Eine Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den Landeskriminalämtern zeigt: Unter den Ländern, in denen viele Straftaten begangen wurden, sind Bayern mit 543 Straftaten, Berlin mit 589 und Niedersachsen mit 853 Straftaten (Stand: 09. November 2022). Mehrere LKAs konnten keine Auskunft zum Thema geben. Bei den Straftaten handelt es sich vor allem um Sachbeschädigungen und Beleidigungen sowie Propagandadelikte. Vereinzelt kam es auch zu Körperverletzungen. Betroffen waren Personen russischer, ukrainischer oder belarussischer Herkunft.
Expert*innen warnen im Zusammenhang mit vermeintlichen Angriffen auf russische Menschen und Einrichtungen allerdings vor Desinformationen und Propaganda. Besonders in den sozialen Medien ließe sich beobachten, dass Accounts, die ansonsten russische Propaganda teilen, gezielt Falschmeldungen zu Angriffen kreieren und verbreiten. Einer Untersuchung der Amadeu Antonio Stiftung zufolge werden derartige Falschmeldungen auch immer wieder gezielt von Verschwörungsideolog*innen oder Personen aus der „Querdenken-Szene“ verbreitet. Fachleute meinen, dass auch die russische Regierung mit Propagandakampagnen versuche, innerhalb Deutschlands Unruhe zu stiften und die Erfassung des Ausmaßes des tatsächlichen Problems zu erschweren.Quelle
Welche Folgen hat der Krieg für die Communities in Deutschland?
Bislang ist das noch nicht klar. Es gibt Berichte über Straftaten gegen russisch- oder ukrainischstämmige Menschen – meist Sachbeschädigungen oder Beleidigungen und Bedrohungen. Laut Medienberichten warnt das Bundesinnenministerium in diesem Zusammenhang allerdings vor Falschmeldungen. Es könnte gezielte Desinformationen des russischen Staates geben.Quelle
Wie sehen Communities den Krieg?
Laut ersten Umfragen sehen Eingewanderte aus Russland und ihre Nachkommen den Krieg ähnlich kritisch wie der Rest der Bevölkerung: Mehr als 80 Prozent finden, die russische Regierung sei verantwortlich für den Krieg, so eine erste Umfrage des Dezim-Institus (Online-Umfrage mit rund 2.600 Befragten, davon 370 mit postsowjetischem Migrationshintergrund). Die Annahme, diese Gruppe würde Putin unterstützen, sei nicht haltbar, so die Studie. Aber es gibt auch Unterschiede: Unter den Eingewanderten ist die Zustimmung zu Sanktionen gegen Russland etwas geringer und etwas mehr halten die Nato für verantwortlich als im Rest der Bevölkerung.Quelle
Mögliche Konflikte in den Communities in Deutschland verlaufen nicht entlang von ethnischen oder sprachlichen Linien. Das war die Einschätzung von Expert*innen auf einem Pressegespräch des Mediendienstes am 21. Februar vor Kriegsbeginn. Wer Russisch als Muttersprache hat, ist nicht automatisch loyal zu Russland und entsprechendes gilt für die Menschen aus der Ukraine. "Die Konfliktlinien verlaufen quer durch die Communities", sagt der Historiker Jannis Panagiotidis.
Innerhalb der russischsprachigen Communities in Deutschland findet die russische Propaganda weniger Zuspruch, als das noch bei der Krim-Annexion 2014 der Fall war, so Journalist und Aktivist Nikolai Klimeniouk. Menschen mit Bezug zur Ukraine seien in den vergangenen Monaten politisch aktiver geworden, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Anna Litvinenko. Ähnlich wie zu Beginn des Ukraine-Kriegs 2014 würden viele von ihnen ihre Solidarität bekunden, Hilfslieferungen organisieren und an Kundgebungen gegen die russische Aggression teilnehmen.
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Informationsangebote für ukrainische Geflüchtete
Seit kurzem gibt es die Tagesschau mit ukrainischen und russischen Untertiteln. RTL veröffentlicht täglich Nachrichten über den Krieg in ukrainischer Sprache. Und der Tagesspiegel übersetzt einzelne Artikel ins Ukrainische. Das sind nur einige Beispiele dafür, wie deutsche Medien ihre Nachrichtenangebote anpassen, um Geflüchtete aus der Ukraine zu erreichen. Auch russischsprachige Medien in Deutschland konzentrieren sich seit Ausbruch des Krieges stärker auf Inhalte für Geflüchtete.
Der MEDIENDIENST hat eine Übersicht mit Informationsangeboten für ukrainische Geflüchtete zusammengestellt:
Medienangebote für Geflüchtete:
⇒ Im "Ukraine Update" berichtet RTL wochentags über den Krieg in deutscher sowie in ukrainischer Sprache. Moderiert wird das Format von der geflüchteten TV-Moderatorin Karolina Ashion.
⇒ Cosmo, das internationale Radioprogramm des WDR, sendet täglich die ukrainische Deutschlandminute, ein Kurzpodcast auf Ukrainisch.
⇒ Die ARD-Mediathek bietet Zugang zur Tagesschau mit ukrainischen und russischen Untertiteln sowie zur Sendung mit der Maus und vielen weiteren Kinderprogrammen auf Ukrainisch.
⇒ Der Tagesspiegel veröffentlicht ukrainische Übersetzungen einzelner Artikel.
⇒ Die Deutsche Welle schreibt sowohl auf Ukrainisch als auch auf Russisch und veröffentlicht täglich Nachrichtenzusammenfassungen in beiden Sprachen auf YouTube.
⇒ BILD TV bietet ukrainische Untertitel an. Und Bild.de veröffentlicht Texte über den Konflikt in ukrainischer Sprache.
⇒ Funk, das Jugendportal von ARD und ZDF, betreibt den Instagram-Account how.to.deutschland und vermittelt dort Informationen über den Alltag in Deutschland.
⇒ Der Mitteldeutsche Rundfunk veröffentlichen Nachrichten, Informationen und Hilfsangebote auf Ukrainisch. Ebenso gibt es täglich einen 5-10-minütigen Nachrichtenpodcast in ukrainischer Sprache.
⇒ Das Katapult Magazin hat ein Sonderheft mit einem ukrainischen News-Team veröffentlicht und twittert täglich via Katapult-Ukraine
Informationen von Behörden und NGOs:
⇒ Das Bundesinnenministerium hat die Plattform Germany4Ukraine erstellt. Dort finden Geflüchtete Antworten auf Fragen zur Einreise, zu Arbeitserlaubnissen oder zur medizinischen Versorgung.
⇒ Auf der Internetseite der Bundesbeauftragte für Integration, Migration und Flucht gibt es FAQs zu Einreise-, Aufenthalts- und Asylrecht, Unterkünften, dem Gesundheitswesen sowie zu den wichtigen Behörden und Ansprechpartner*innen. Die Informationen sind auf Englisch, Deutsch, Ukrainisch und Russisch, auch als Handout zum Download verfügbar.
⇒ Handbook Germany bietet auf einer eigenen Ukraine-Seite rechtliche und praktische Informationen zu Arbeitserlaubnis, Aufenthalt, staatlichen Hilfen, Kinderbetreuung, Studium und dem Wohnen. Das Angebot ist barrierefrei und auf Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch verfügbar.
⇒ Die Verbraucherzentrale hat wichtige Informationen zu Einreise, Aufenthalt, Mobilität, Unterkunft und Registrierung, Telefon- und Internettarifen, Geldtransfers von und in die Ukraine, der Kontoeröffnung in Deutschland auf Ukrainisch veröffentlicht.
Exkurs: Rechtliche Situation in Polen, Tschechien, Ungarn
Das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) hat in drei Policy Briefs staatliche Maßnahmen und gesellschaftliche Reaktionen in Polen, Ungarn und Tschechien zur Flucht aus der Ukraine zusammen gefasst.
Rechtliche Situation für ukrainische Flüchtlinge in Polen
Polen hat bislang die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Am 12. März ist dort ein Gesetzespaket in Kraft getreten, um unbürokratisch die rechtliche Situation der Geflüchteten zu regeln. Es gilt nur für ukrainische Staatsbürger*innen sowie deren Ehegatt*innen und Kinder. Dem Vizeminister Maciej Wąsik zufolge müssen Drittstaatsangehörige bestehende Kanäle nutzen, um eine Aufenthaltserlaubnis in Polen zu erlangen.
Unter anderem sieht das Sonder-Gesetzespaket vor:
- Aufenthaltserlaubnis: Bei legaler Einreise (frühestens 24. Februar 2022) nach Polen, bekommen ukrainische Staatsbürger*innen sowie deren Ehegatten und enge Familienmitglieder eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis. Diese können sie nach Ablauf verlängern. Bei Ausreise von über einem Monat aus Polen verlieren sie den Status. Ukrainer*innen, die sich bereits zuvor in Polen aufhielten und nicht bereits eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis haben, bekommen ihr Visum ebenfalls automatisch ab dem 24. Februar für 18 Monate verlängert.
- Arbeitsmarkt und Sozialsystem: Für ukrainische Flüchtlinge wurde im nationalen Registersystem (PESEL) eine neue Kategorie eingeführt. Die Nummer können Ukrainer*innen über kommunale Bürgerämter beantragen. Damit können sie z.B. ein Bankkonto eröffnen, sich beim Arzt oder Finanzamt registrieren und arbeiten. Nach Registrierung bekommen die Flüchtlinge einmalig 300 PLN (rund 60 Euro). Nach Erhalt der PESEL-Nummer können ukrainische Flüchtlinge auch Arbeitslosengeld beantragen und andere Sozialleistungen beziehen (z.B. Familiengeld und Kita-Zuschüsse). Arbeitgeber können ukrainische Angestellte unbürokratisch anmelden, wobei das Innenministerium Obergrenzen einführen kann, die sich u.a. nach dem lokalen Arbeitsmarkt richten.
- Finanzielle Unterstützung für Haushalte, die Flüchtlinge aufnehmen: Menschen in Polen, die Geflüchtete aus der Ukraine bei sich zu Hause aufnehmen, bekommen dafür bis zu zwei Monate lang umgerechnet 1.200 PLN monatlich (etwa 250 Euro).
- Finanzierung: Die polnische Staatsbank richtet einen Sonderfonds ein, um Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zu unterstützen. Bezirke (Wojwodschaften), die den Großteil der Maßnahmen koordinieren (beispielsweise die Erstaufnahmepunkte), können unbürokratisch Aufträge an zivilgesellschaftliche Organisationen vergeben.
- Gesundheitssystem: Das Sonder-Gesetzespaket sieht für ukrainische Flüchtlinge einen regulären Zugang zum polnischen Gesundheitssystem vor und ermöglicht ihnen auch staatlich finanzierte psychologische Unterstützung.
News Zum Thema: Ukrainische Flüchtlinge
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