Vor zehn Jahren, am 13. November 2012, schlossen drei islamische Religionsgemeinschaften und die Freie und Hansestadt Hamburg einen Vertrag ab, der die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den muslimischen Gemeinden regelte. Parallel dazu zeichnete die Stadt einen Vertrag mit der alevitischen Gemeinde. Hamburg war damit das erste Bundesland in Deutschland, das eine solche Vereinbarung – etwa zu Feiertagen, islamischen Bestattungen oder einem gemeinsam gestalteten Religionsunterricht – auf den Weg brachte.
Islamforschende wie Riem Spielhaus von der Universität Göttingen sehen dies als wichtigen Schritt zu einer rechtlichen Integration des Islam in Deutschland. Ähnliche Verträge hatte Hamburg zuvor bereits mit den großen Kirchen abgeschlossen, zuletzt mit der katholischen Kirche. Der Unterschied ist allerdings, dass die Kirchen in Deutschland Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) sind und damit vollständig als Religionsgemeinschaften anerkannt. Bei den muslimischen Religionsgemeinschaften ist das meist nicht der Fall. Der Hamburger Staatsvertrag formulierte für die muslimischen Dachverbände das Ziel, den Status als KdöR zu erlangen.
Für andere Bundesländer war Hamburg Vorbild: Nach dem Hamburger Vertragsabschluss begannen Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ebenfalls Verhandlungen mit muslimischen Gemeinden, setzten diese jedoch erst einmal aus. Rheinland-Pfalz startete im April 2020 einen neuen Anlauf mit einer so genannten "Zielvereinbarung", die unter anderem die Einrichtung einer Lehramtsausbildung in Islamischer Theologie an der Universität Koblenz beinhaltet.
Was waren die wichtigsten Verabredungen aus dem Staatsvertrag?
Der Vertrag zwischen der Stadt Hamburg und den muslimischen Gemeinden umfasst 13 Artikel. Manches wurde schnell umgesetzt, einzelne Punkte aber noch nicht angepackt.
Was hat der Staatsvertrag gebracht?
Auf der einen Seite wurden Kommunikationskanäle geschaffen, die es den Behörden einfacher machen, mit den Gemeinden Probleme zu besprechen. Zudem garantierten diese dem Staat Verfassungstreue. Aber auch für die Gemeinden selbst bringt der Vertrag den Vorteil, dass diese an Legitimation gewinnen, öffentlich stärker wahrgenommen werden und politisch teilhaben können, so der Anwalt Norbert Müller, damals Verhandler für SCHURA Hamburg.
Auch wenn viele der Artikel letztlich Grundrechte betreffen, stelle die vertragliche Festlegung eine bis dahin nicht vorhandene Verbindlichkeit dar und gebe den Gemeinden in einigen Teilbereichen zusätzliche Verantwortung, so Islamforscherin Spielhaus. Ähnlich sieht das Özlem Nas, stellvertretende Vorsitzende von SCHURA Hamburg. Sie sieht in dem Staatsvertrag eine Möglichkeit "für eine Versachlichung der Debatte rund um das Thema Islam und MuslimInnen und für ein Vorankommen im Bereich Vielfaltsakzeptanz".
Wo gibt es Defizite bei der Umsetzung?
Auch wenn schon einiges erreicht wurde, bleibt nach zehn Jahren noch einiges offen. Das betrifft vor allem die Artikel 7 bis 10:
- So wurden zwar Schritte getan, um möglichst umfassend Seelsorge im öffentlichen Bereich zu gewährleisten, jedoch fehlt es hier an Professionalisierung und Finanzierung.
- Die Einbindung der Gemeinden in das öffentliche Rundfunkwesen ist bis jetzt noch gar nicht vonstatten gekommen. Von den 58 Sitzen im Rundfunkrat des NDR ist keiner von einem Vertreter der muslimischen Vertragspartner besetzt.
- Auch beim Bau neuer Moscheen gab es im letzten Jahrzehnt keine Verbesserungen: Nach einer Untersuchung von 2013, in der bereits Platzmangel und fehlende Kooperation von staatlicher Seite kritisiert wurden, bestätigt der Ko-Autor der Studie Joachim Reinig, dass sich seitdem nichts grundlegend gebessert habe und auch ein städtischer Ansprechpartner für die Gemeinden fehle.
- Im Bestattungswesen ist durch den Vertrag zwar die Praxis institutionalisiert worden, Verstorbene nach islamischem Ritus bestatten zu können. Aber die Gemeinden können immer noch keine eigenen Friedhöfe betreiben, weil dafür der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nötig wäre.
Welche Konflikte gibt es?
Zum 10-jährigen Bestehen der Verträge wird vor allem die Kritik an einzelnen Vertragspartnern wieder lauter. Im Zentrum steht das „Islamische Zentrum Hamburg“ (IZH), das Vorstandsmitglied im islamischen Dachverband SCHURA Hamburg ist. Das IZH werde von der Regierung der Islamischen Republik Iran finanziert und kontrolliert, schreibt der Verfassungsschutz seit Jahren in seinen Berichten.
Der Druck auf den Dachverband wächst: So sagte beispielsweise Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), für sie sei eine Beteiligung des IZH an den Verträgen mit der Stadt nicht mehr vorstellbar. Anfang November musste der Vize-Chef des IZH nach seiner Ausweisung Deutschland verlassen. Die Hamburger Innenbehörde hatte ihm vorgeworfen, Terrororganisationen zu unterstützen. In einem offenen Brief sprechen sich mehrere Organisationen und Einzelpersonen mit Verweis auf die Proteste im Iran dafür aus, die Zusammenarbeit mit dem IZH zu beenden. Die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP fordern in einem Antrag die Bundesregierung auf, zu prüfen, "ob und wie das "Islamische Zentrum Hamburg" als Drehscheibe der Operationen des iranischen Regimes in Deutschland geschlossen werden" könne.
Auch in den Gemeinden wächst Kritik: Die SCHURA beriet am 20. November bei ihrer Mitgliederversammlung über den Ausschluss des IZH. Dieses gab seinen Austritt aus dem Dachverband bekannt. Anfang Februar war das IZH, Gründungsmitglied der SCHURA, bereits aus dem Vorstand ausgeschieden.
Expert*innen wie Riem Spielhaus weisen darauf hin, dass Abmachungen wie der Staatsvertrag innerhalb der Gemeinde den Druck erzeugen können, problematische Situationen wie die Rolle des IZH innerhalb der SCHURA überhaupt zu thematisieren. Staatliche Übereinkünfte könnten außerdem integrationsbereite Stimmen in innergemeindlichen Konflikten unterstützen.
Der Senat und die Religionsgemeinschaften wollen die im November 2012 geschlossenen Verträge in den nächsten Wochen miteienander auswerten, das Parlament wird ebenfalls eine Zwischenbilanz ziehen.
Von Reza Nazir
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