Mit dem Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" stieß der damalige Bundespräsident Christian Wulff vor zehn Jahren eine Grundsatzdiskussion an. Der Satz lenkte den Blick auch auf die Frage der rechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland. Schon seit Jahrzehnten versuchen Staat und Gemeinden Regelungen zu finden, etwa zur Bestattung, dem Recht an Feiertagen teilzunehmen oder zur religiösen Betreuung in Gefängnissen, Krankenhäusern und bei der Bundeswehr.
Welche Vereinbarungen wurden in den vergangenen zehn Jahren getroffen? Wo liegen aktuelle Herausforderungen? Das erklärt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus in einer Expertise für den MEDIENDIENST.
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2010 und Folgejahre: Neue Regelungen und Staatsverträge
Ab 2010 gab es viele Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung des Islams. So vereinbarten mehrere Bundesländern Regelungen zum gesetzlicher Schutz der Feiertage, zur Bestattung oder zum islamischer Religionsunterricht. In Hamburg, Berlin, Hessen und Baden-Württemberg etwa ist eine sarglose Bestattung nach islamischem Ritus möglich.
Ende 2012 und Anfang 2013 schlossen Hamburg und Bremen Verträge mit islamischen Organisationen. Darin sind Fragen der Religionspraxis sowie zur Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften geregelt. 2013 wird der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) zunächst in Hessen und später in Hamburg als erster islamischer Organisation der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) verliehen. Riem Spielhaus schreibt zum vielzitierten Satz von Wulff: "Im Hinblick auf die rechtliche Anerkennung des Islams traf Wulff einen Nerv."
Seit 2016 stagnieren die Verhandlungen
In den vergangenen vier Jahren gab es aber kaum noch Fortschritte bei den Verhandlungen um neue Staatsverträge. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz nahmen Gespräche über Verträge mit islamischen Religionsgemeinschaften auf. In beiden Ländern wurden die Verhandlungen jedoch mittlerweile auf Eis gelegt. Die Landesregierung befürchtete, dass die Türkei nach dem Putschversuch im Sommer 2016 Einfluss auf den türkischen Moscheeverband Ditib in Deutschland ausübt. Rheinland-Pfalz hat stattdessen im April 2020 sogenannte Zielvereinbarungen mit vier islamischen Verbänden getroffen. Darin verpflichten sich die Verbände, selbstständig und frei vom politischen Einfluss Dritter zu handeln. Das ist die Voraussetzung, um die Vertragsverhandlungen wieder aufzunehmen.
Aktuelle Herausforderungen
Die rechtliche Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften steht weiterhin vor Herausforderungen, schreibt Spielhaus: Trotz zahlreicher Bemühungen werde es weiterhin keinen gemeinsamen Ansprechpartner auf muslimischer Seite geben. Im Vergleich mit etablierten Religionsgemeinschaften verfügten islamische Organisationen zudem über wenig finanzielle und personelle Ressourcen.
Das religionsskeptische und zunehmend islamfeindliche Klima in Deutschland erschwere Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung des Islams, so Spielhaus. Auch Entwicklungen im islamistischen Extremismus behinderten ein Vorankommen.
Von Tomma Neveling
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