Update: Dieser Artikel gibt den Stand von März 2022 wieder. Inzwischen hat ein Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund sein Amt abgegeben (Toni Vetrano, Kehl). Damit sind es aktuell vier von 337 Oberbürgermeister*innen in Deutschland (1,2 Prozent), die einen Migrationshintergrund haben.
Eine Recherche des MEDIENDIENST INTEGRATION zeigt: Nur fünf von 337 Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern (OB) in Deutschland haben einen Migrationshintergrund Das entspricht rund 1,5 Prozent. Zum Vergleich: In der Bevölkerung haben knapp 27 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund.Quelle
Zahl der OBs mit Migrationshintergrund gesunken
2020 hatte der MEDIENDIENST erstmals erhoben, wie viele Oberbürgermeister*innen mit Migrationshintergrund es in Deutschland gibt. Damals regierten bundesweit sechs Oberbürgermeister mit Einwanderungsgeschichte. In der Zwischenzeit wurde aber der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) abgewählt. Damit haben nur noch Hannover, Kehl, Görlitz, Rostock und Landshut Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund. Frauen mit Migrationshintergrund gibt es nach wie vor nicht im Amt.Quelle
Begriff Oberbürgermeister*in
Der Begriff "Oberbürgermeister*in" wird in Deutschland nicht einheitlich benutzt. Die meisten größeren und kreisfreien Städte nennen ihre Stadtoberhäupter so. Zu diesen 332 Städten wurden noch 5 Städte hinzugenommen, die eigene Bezeichnungen verwenden (Berlin, Hamburg, Bremen, Lübeck, Wismar).
Zum Ablauf der Recherche
Für die Recherche hat der MEDIENDIENST bei den Landesverbänden der Parteien angefragt und eine Liste der 337 OBs in Deutschland verwendet. Hinweise auf einen Migrationshintergrund wurden mit Biografien auf Websites, Interview-Aussagen, Medienberichten oder Anfragen bei den Büros der Oberbürgermeister*innen abgeglichen. Die Liste der Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Bald könnte die Zahl der Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund weiter sinken: Der Kehler OB Toni Vetrano (CDU) tritt nicht erneut an, seine Amtszeit endet am 30. April 2022.
Oft fehlen Kontakte in die Kommunalpolitik
"Bürgermeister sind wie Direktkandidaten im Bundestagswahlkampf", sagt Deniz Nergiz, Geschäftsführerin vom Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI). Sie brauchen einen guten Draht zu den Wählerinnen und Wählern und ein breites Netzwerk an Kontakten. Auf Kommunalebene entstehen diese Netzwerke oft früh, zum Beispiel durch familiäre Verbindungen in politiknahe Kreise wie Kirchen oder Gewerkschaften.
"Meine Elterngeneration hatte solche Kontakte nicht", erzählt Toni Vetrano (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Kehl. Das erschwere vielen Menschen mit Migrationshintergrund den Einstieg in die Politik und verschlechtere ihre Aufstiegschancen. Zusätzlich spielten Vorurteile eine Rolle: "Bei Bürgermeisterwahlen fragen sich viele: 'Ist das einer von uns?'", erzählt der OB. Andere fragten ihn, ob er nur die Interessen der italienischen Community vertrete.
Was Parteien tun können
"Es gibt genügend migrantische Kandidat*innen, die Parteien müssen sie nur aufstellen", sagt Cihan Sinanoğlu vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Aus der Forschung wisse man, dass es viele engagierte Kommunalpolitiker*innen mit Einwanderungsgeschichte gebe, aber Parteien sie noch zu selten für Spitzenämter nominieren. Die letzte Bundestagswahl zeige auch, dass migrantische Direktkandidat*innen durchaus erfolgreich sind, etwa in Frankfurt und Hannover.
Eine Quote für Parteien würde dieses Problem schnell beheben, so Aimie Bouju, die ebenfalls am DeZIM forscht. Die sieht sie aber in naher Zukunft nicht kommen. Laut der Parteienforscherin sollten daher migrantische Arbeitsgruppen wie die AG Migration und Vielfalt (SPD) oder das Netzwerk Integration (CDU) gestärkt werden. Sinnvoll wäre, sie stärker in Personalentscheidungen einzubinden, so Bouju.
Parteien müssten zudem Wege finden, ihre Kandidat*innen vor rassistischen Anfeindungen zu schützen, sagt Nergiz vom BZI. Der Fall des grünen Kandidaten Tareq Alaows, der seine Bundestagskandidatur nach rassistischen Drohungen zurückgezogen hatte, hat hier den ersten Anstoß gegeben, so die Sozialwissenschaftlerin. Die Grünen haben beispielsweise eine Anlaufstelle gegen Rechts eingerichtet, die betroffene Parteimitglieder berät. Die Partei unterstützt auch dabei, Hasskommentaren zur Anzeige zu bringen.
Von Joe Bauer und Tomma Neveling
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