Schule
Rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Wie steht es um ihre Startbedingungen und Bildungschancen? Wie schneiden sie im Vergleich zu den Mitschülern ohne Migrationsbezüge ab?
Wie viele Schüler haben einen Migrationshintergrund?
Laut Mikrozensus 2023 hatten 41,6 Prozent der Schüler*innen an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland einen Migrationshintergrund (2022: 41,3 Prozent; 2021: 39 Prozent). Die Daten basieren nicht auf der amtlichen Schulstatistik, sondern auf der repräsentativen Befragung des Mikrozensus.Quelle
Einheitliche Daten zum Migrationshintergrund gibt es in der bundesweiten Schulstatistik nicht. Zwar hat die Kultusministerkonferenz schon 2005 beschlossen, den "Migrationshintergrund" aufzunehmen, doch bisher hat nur ein Teil der Bundesländer diesen Beschluss umgesetzt. Zudem wird der Migrationshintergrund in diesen Bundesländern unterschiedlich erfasst.Quelle
In der bundesweiten Schulstatistik gibt es nur Daten zu ausländischen Schüler*innen. Demnach hatten im Schuljahr 2023/2024 von den rund 11,2 Millionen Schüler*innen in Deutschland 1,7 Millionen einen ausländischen Pass. Das entspricht einem Anteil von 15 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr stieg ihre Zahl um 7 Prozent – vor allem wegen der zugewanderten Schüler*innen aus der Ukraine.Quelle
Schulabschlüsse von Schülern mit Migrationshintergrund
Zur Frage, welche Abschlüsse Schüler*innen mit "Migrationshintergrund" eines bestimmten Jahrgangs in Deutschland machen, liegen keine Daten vor. Zahlen gibt es zu folgenden zwei Fragen: 1. Welche Abschlüsse hat die Bevölkerung mit Migrationshintergrund? 2. Welche Schulabschlüsse erreichen ausländische Schulabgänger*innen?
Abschlüsse nach Migrationshintergrund
Hinweise zu den Schulabschlüssen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund liefert der Mikrozensus. Er zeigt, welches die höchsten Schulabschlüsse der Bevölkerung in bestimmten Altersgruppen sind.Quelle
Abschlüsse ausländischer Schüler*innen
Die Schulstatistik gibt an, mit welchem Abschluss Jugendliche mit und ohne deutschen Pass von der Schule abgehen:
Ausländische Schüler*innen erreichen seltener das Abitur und brechen die Schule häufiger ab als Mitschüler*innen mit deutschem Pass. Das schlechtere Abschneiden ist laut Fachleuten vor allem auf Benachteiligungen im Bildungssystem zurückzuführen: Zum einen sind die Ausgangsbedingungen von Menschen ohne deutschen Pass oft schlechter als die von deutschen Staatsbürger*innen. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn sie erst in der Schule Deutsch lernen. Zum anderen sind sie oft von Diskriminierung betroffen. Die zweite Generation schneidet in der Schule schon deutlich besser ab.Quelle
Entwicklung der Schulabschlüsse
Der Schulerfolg junger Menschen mit Migrationshintergrund hat sich in den letzten Jahren verbessert. Das zeigt der Lagebericht der Integrationsbeauftragten des Bundes. Der Bericht vergleicht Daten zu den Schulabschlüssen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus den Jahren 2017 und 2007. Die zeigen:
- Das Abitur oder die Fachhochschulreife hatten 2017 etwa 19 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund – eine Steigerung von elf Prozentpunkten im Vergleich zu 2007. Auch der Anteil von Jugendlichen mit mittleren Abschlüssen nahm zu.
- Demgegenüber hat die Zahl derjenigen, die einen Hauptschulabschluss haben, um rund 20 Prozentpunkte abgenommen.
- Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ohne Abschluss hat um 5 Prozentpunkte zugenommen. Ob das daran liegt, dass unter den Jugendlichen mehr Geflüchtete sind, die etwa erst Deutsch lernen müssen, ist dem Bericht zufolge noch nicht klar. Quelle
Der Anteil von Schüler*innen mit Migrationshintergrund an Gymnasien steigt. Das geht aus dem Bildungsbericht 2018 hervor. 2015 hatte an rund 36 Prozent der untersuchten Gymnasium mindestens jede*r vierte Schüler*in einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 war das nur an rund 14 Prozent der Gymnasien der Fall.Quelle
Chancengleichheit an deutschen Schulen
Kinder und Jugendliche aus Einwandererfamilien erzielen bei Tests wie PISA schlechtere Ergebnisse als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Oft wird das auf mangelnde Deutschkenntnisse zurückgeführt. Studien zeigen, dass für den Bildungserfolg in Deutschland besonders das Einkommen und Bildungsniveau der Eltern entscheidend sind. Kinder mit Migrationshintergrund kommen häufiger aus Familien mit geringem Einkommen. Laut Mikrozensus lebt rund ein Drittel der unter 18-Jährigen mit Migrationshintergrund in Familien, die von Armut gefährdet sind. Zum Vergleich: bei Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund sind es rund 12 bis 13 Prozent. Zudem ist der Anteil von Eltern ohne Schul- oder Berufsabschluss bei Kindern unter 20 Jahren mit Migrationshintergrund um ein Vielfaches höher als bei Kindern ohne.Quelle
In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischem ErfolgDas zeigte bereits die erste PISA-Studie und auch knapp zwanzig Jahre später hängt der Bildungserfolg in Deutschaland stärker mit der sozialen Lage der Eltern zusammen als in vielen anderen OECD-Staaten. stärker ausgeprägt als in vielen anderen OECD-Staaten. Soziale Unterschiede werden in Deutschland "weitervererbt": Nur 24,4 Prozent der jungen Erwachsenen erwerben einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern. Zum Vergleich: In anderen Industrieländern gelingt das im Schnitt 41,1 Prozent.Quelle
Eine wichtige Rolle in Bezug auf den Bildungserfolg von Schüler*innen mit Migrationshintergrund spielt das Schulsystem, das sich nur langsam interkulturell öffnet und auf Diversität – wie der Mehrsprachigkeit von Schüler*innen – einstellt. Die Leistungsunterschiede sind in der Grundschule noch vergleichsweise gering. Oft unterschätzen Lehrkräfte aber Fähigkeiten der Kinder und geben daher eher selten Gymnasialempfehlungen. Das kann unter anderem dazu führen, dass Schüler*innen weniger motiviert sind. Eine Studie 2022 ergab etwa, dass Lehramtsstudierende Schüler*innen mit Rom*nja-Hintergrund bei gleichen Leistungsergebnissen eher den Besuch einer Hauptschule empfahlen als Schüler*innen ohne Migrationshintergrund.Quelle
Weitere Informationen zu Diskriminerung im Bildungssystem finden Sie in unserer Rubrik "Diskriminierung".
Folgen der Corona-Pandemie für Schüler mit Migrationshintergrund
Eine OECD-Studie zeigt: Schulschließungen und Home-Schooling in der Corona-Pandemie wirken sich negativ auf die Teilhabechancen von Kindern mit Einwanderungsgeschichte aus. Denn sie kommen häufiger aus sozial benachteiligten Familien. Sie haben etwa zu Hause seltener einen ruhigen Platz zum Lernen oder Zugang zu Computern. Eltern von Kindern mit Einwanderungsgeschichte können diese weniger bei den Hausaufgaben unterstützen - etwa wegen Sprachbarrieren oder fehlender Zeit. Dies kann langfristige Auswirkungen für ihre Bildungschancen haben.Quelle
Rund 96 Prozent der Kinder über 15 Jahren ohne Migrationshintergrund in Deutschland haben laut OECD Zugang zu einem Computer oder zum Internet. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es mit 91 Prozent etwas weniger. Aktuelle Daten des Instituts für deutsche Wirtschaft zeigen, dass Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund seltener über ein eigenes Zimmer und Zugang zu Lernmaterialien verfügen.Quelle
Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung kommt zum Ergebnis, dass sich Lockdowns, Distanzunterricht und fehlende soziale Kontakte stark auf die psychische Gesundheit und den Lernerfolg junger Menschen mit Migrationshintergrund ausgewirkt haben: Der Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund mit depressiven Symptomen hat sich im ersten Lockdown der Pandemie verdreifacht (von 11 auf 33 Prozent). Im Vergleich: Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ist der Wert von 9 auf 21 Prozent gestiegen.Quelle
Eine repräsentative Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung 2022 zeigt: Die Lesekompetenz von Viertklässler*innen ist 2021 deutlich geringer als noch 2016. Grund dafür seien die Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Den Schüler*innen fehlt den Autor*innen zufolge etwa ein halbes Lernjahr. Die Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund hat dabei stärker gelitten, der Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte hat sich deutlich vergrößert - das Ergebnis sei aber statistisch nicht signifikant.Quelle
Zu etwas anderen Ergebnissen kommt der IQB-Bildungstrend 2021: Danach erreichen Viertklässler*innen aus zugewanderten Familien im Durchschnitt signifikant schlechtere Werte in den Fächern Deutsch und Mathe als Kinder ohne Migrationsgeschichte. Im Kompetenzbereich Zuhören fallen die Differenzen am größten aus, im Bereich Orthografie am geringsten. Am stärksten ausgeprägt sind die Unterschiede bei Kindern aus der ersten Generation, die nicht in Deutschland geboren, sondern mit ihren Eltern zugewandert sind. Aber auch bei Kindern aus der zweiten Generation waren in den Jahren zwischen 2016 und 2021 deutliche Kompetenzeinbußen zu beobachten. Die Forscher*innen vermuten, dass die ungünstigeren Lernbedingungen während der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben, aber auch der geringere sozioökonomische Status von Familien.Quelle
In ihrem Abschlussbericht "Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona" 2023 weist die Bundesregierung darauf hin, dass Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund stärker von gesundheitlichen Erkrankungen betroffen sind und häufiger "psychische Auffälligkeiten" aufweisen als Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund. Dies könne sich auf Bildungschancen sowie den Bildungserfolg der betroffenen Kinder auswirken. Der Effekt verstärke sich, wenn Faktoren wie ein niedriger Bildungsstand und ein schlechter Gesundheitszustand der Eltern sowie beengte Wohnverhältnisse hinzu kämen.Quelle
Die Situation von geflüchteten Kindern
Geflüchtete Kinder sind noch stärker von den Schulschließungen betroffen, da sie seltener ein ruhiges Lernumfeld und Zugang zu Computern haben. Eine Studie des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) zeigt: 2018 hat nur etwa ein Drittel der geflüchteten Kinder im Alter von 11 bis 17 Jahren in Privatwohnungen ein eigenes Zimmer, in Sammelunterkünften sind es nur 25 Prozent. 70 Prozent der geflüchteten Kinder in Privatwohnungen verfügen über einen eigenen Schreibtisch, in Sammelunterkünften sind es nur knapp ein Drittel. Nur 56 Prozent der Kinder in Sammelunterkünften haben Internetzugang und nur 40 Prozent Zugang zu einem Computer. Falls sie einen Computer haben, müssen sie ihn zum Beispiel mit ihren Geschwistern oder Eltern teilen.Quelle
Diskriminierung im Bereich Bildung
Soziale Herkunft, Wohnort und der Bildungsstand der Eltern spielen in Deutschland eine entscheidende Rolle beim Bildungserfolg. Auch Diskriminierungserfahrungen – wie schlechtere Leistungsbewertung – können zu ungleichen Bildungschancen führen. Eine Übersicht zu Studien zum Thema.Quellen
Weitere Informationen zu Chancengleichheit im Bildungsbereich finden Sie "hier".
Diskriminierung an Kitas
Bisher gibt es wenig Forschung zu Diskriminierungserfahrungen an Kitas. Die Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zeigen, dass bereits Kleinkinder rassistische Diskriminierung erfahren, zum Beispiel bei der Vergabe von Kita-Plätzen oder in der Betreuung.Quelle
Eine Studie zeigt, dass Kinder von Familien mit türkischem Namen seltener Rückmeldungen bei einer Bewerbung auf einen Kita-Platz erhalten.Quelle
Im Rahmen einer qualitativen Studie des DeZIM-Instituts an Berliner Kitas berichten Familien von fehlender Sensibilität und Strategien im Umgang mit Diversität, es gebe wenig diverse Kinderbücher oder Spielmaterialien. Wie Eltern damit umgehen, erläutert die Forscherin Seyran Bostancı im MEDIENDIENST-Interview.Quelle
Diskriminierung an Schulen
Umfassende empirische Studien zu rassistischer Diskriminierung an deutschen Schulen gibt es nicht. Einzelne Befunde zeigen, dass Schüler*innen verschiedene Diskriminierungserfahrungen machen:
- Laut Afrozensus 2020 erleben Schwarze und PoC-Schüler*innen regelmäßig Mobbing und rassistische Diskriminierung wegen ihrer Hautfarbe oder aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse.Quellen
- Diskriminierung zeigt sich auch in der Leistungsbewertung: Lehrkräfte unterschätzen häufig die Fähigkeiten von Kindern mit Migrationshintergrund und sprechen seltener eine Gymnasialempfehlung aus.Quelle
- Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von 2024: Schüler*innen mit Migrationshintergrund einer 9. Klasse erhielten in allen fünf untersuchten Fächern schlechtere Zeugnisnoten als ihre Mitschüler*innen ohne Zuwanderungsgeschichte, obwohl sie in objektiven Leistungstests gleiche Ergebnisse erzielt hatten. Quelle
- Muslimische Schüler*innen berichten von negativen Zuschreibungen, zum Beispiel weil sie ein Kopftuch tragen, aber auch wegen ihrer Namen.Quelle
- In einer Studie berichten jüdische Eltern und junge Erwachsene von Erfahrungen mit Antisemitismus an Schulen, darunter angedrohte körperlicher Gewalt, Beschimpfungen und antisemitischen Kommentaren. Sie schildern zudem die Überforderung der Lehrkräfte, angemessen mit antisemitischen Vorfällen umzugehen.Quelle
- Diskriminierung kann auch durch schulische Strukturen erfolgen: Lehrpläne und Schulbücher sind Studien zufolge wenig sensibel für Diversität und bilden Vielfalt nur unzureichend ab. 2023 forderte etwa ein Bündnis, Schulordnungen an Berliner Schulen wegen diskriminierender Vorgaben anzupassen, darunter die Pflicht, ausschließlich Deutsch auf dem Schulgelände zu sprechen oder ein pauschales Verbot der Religionsausübung.Quellen
Auch Lehrende berichten von Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen, auch im Kollegium. Laut Afrozensus führt das zur Isolation der betroffenen Lehrkräfte.Quelle
Hochschule
Diskriminierungserfahrungen machen auch Studierende an deutschen Hochschulen – etwa aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit. In einer Befragung 2022 gaben 10 Prozent der befragten Studierenden an, mindestens einmal rassistische Diskriminierung an ihrer Universität erlebt zu haben.Quelle
In einer Befragung 2021 berichten 26 Prozent der Studierenden von Diskriminierung. Gleichzeitig beobachteten 46 Prozent der Befragten Diskriminierung von anderen Studierenden, zum Beispiel aufgrund ihres Migrationshintergrundes (24 Prozent), der religiösen Zugehörigkeit (14 Prozent) oder wegen der Sprache (24 Prozent).Quelle
Folgen: Stress, schlechtere Leistungen, Schulwechsel
Eine Metaanalyse mit 68 Studien zu mehreren Ländern, darunter vor allem die USA und auch Deutschland, zeigt die Folgen für Betroffene: Schüler*innen leiden unter anderem an chronischen Depressionen sowie Verhaltensauffälligkeiten und erbringen schlechtere schulische Leistungen, wenn sie Diskriminierung erfahren. Quelle
Zudem mindert sich ihr Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit. Stress und Angstzustände können zu schlechteren Leistungen bis hin zum Schulwechsel führen. Die Folgen erschweren letztlich einen erfolgreichen Schulabschluss oder die Aufnahme einer Lehre, wodurch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sinken.Quelle
Auch bei Studierenden wirkt sich erlebte Diskriminierung negativ auf die Studienzufriedenheit aus und führt häufig zu erhöhtem Stress.Quelle
Schutz vor Diskriminierung an Schulen
2023 erreichten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) 553 Beratungsanfragen im Bereich Bildung, das sind etwa 7 Prozent aller Anfragen. Die ADS ist aber zuständig für Fälle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG) – und das enthält nicht den Schutz vor Diskriminierung in Bildungseinrichtungen. Aktuell fördert die ADS den Aufbau einer bundesweiten Fachstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen.Quelle
Bisher hat Berlin als einziges Bundesland ein Landesgesetz, das vor Diskriminierung in Bildungseinrichtungen schützt. Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) gibt Betroffenen die Möglichkeit, gegen die Diskriminierung vorzugehen. In Berlin gibt es auch eine unabhängige Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS).
Wie viele Flüchtlingskinder gehen in die Schule?
Die Schulpflicht in Deutschland gilt auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche. In einigen Bundesländern (Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein) setzt die Schulpflicht mit dem Asylantrag ein. In anderen hingegen beginnt sie nach drei (wie in Bayern und Thüringen) oder sechs Monaten (wie in Baden-Württemberg). Oft gilt die die Schulpflicht erst, wenn die Kinder die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen haben und einer Kommune zugewiesen wurden. In manchen Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten die Kinder gesonderten Unterricht. Unabhängig davon gilt das Recht auf einen Schulbesuch nach Artikel 28 UN-Kinderrechtskonvention.Quelle
Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele geflüchtete Kinder und Jugendliche eine Schule besuchen. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) schätzt, dass rund 130.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche zwischen Januar 2015 und März 2018 neu in das Schulsystem eingetreten sind.Quelle
Aus einer Kurzanalyse des BAMF geht hervor, dass 93 Prozent der 6- bis 10-jährigen Geflüchteten eine Schule besuchen, unter gleichaltrigen ohne Fluchthintergrund sind es 98 Prozent. Unter den 15- und 16-Jährigen sind es 87 Prozent der Geflüchteten und 98 bis 99 Prozent der Jugendlichen ohne Fluchthintergrund.Quelle
Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe 2021 warten geflüchtete Kinder im Durchschnitt 7,1 Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland darauf, am Schulunterricht teilzunehmen. Sie werden öfter in nicht-altersgemäßen Klassenstufen unterrichtet: 40,2 Prozent der 15-Jährigen mit Fluchterfahrung besuchen die Klassenstufen 6-8. Unter den 15-Jährigen ohne Flucht- oder Migrationshintergrund sind es 6,5 Prozent. Für geflüchtete Jugendliche hängt viel davon ab, an welchen Schulen die "Zuwandererklassen" stattfinden, die sie auf den Übergang in andere Klassen vorbereiten sollen. Finden sie an Haupt- oder Realschulen statt, schaffen sie es seltener, ans Gymnasium zu wechseln.Quelle
Eine Studie des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung kommt 2022 zum Ergebnis, dass der Bildungserfolg von geflüchteten Kindern im Grundschulalter sich deutlich reduziert, wenn sie eine Vorbereitungsklasse anstelle einer Regelklasse besuchen. Insbesondere in den Fächern Deutsch und Mathematik sind Unterschiede sichtbar, aber auch in Englisch und den Naturwissenschaften. Außerdem schafften Kinder in Vorbereitungsklassen mit geringerer Wahrscheinlichkeit den Sprung auf ein Gymnasium. Sie landeten häufiger in einer weiterführenden Schule mit einem hohen Migrant*innenanteil. Für die Untersuchung analysierten die Forscherinnen Daten aus den Jahren 2013 bis 2019 aus Hamburg.Quelle
In einer Expertise für den MEDIENDIENST schreiben die Bildungswissenschaftlerinnen Juliane Karakayali und Birgit zur Nieden 2016 zu Berliner "Willkommensklassen": Die separierte Beschulung produziert eine Reihe von organisatorischen Problemen – etwa durch eine hohe Fluktuation in den Klassen. Die Forscherinnen empfehlen, geflüchtete Kinder möglichst schnell in Regelklassen zu integrieren und separaten Deutschunterricht anzubieten.
Bildungsteilhabe von Sinti*zze und Rom*nja
RomnoKher-Studie: Bildungsteilhabe
Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland sind im Bildungssystem stark benachteiligt. Das geht aus Studien der Arbeitsgemeinschaft "RomnoKher" hervor. Für die aktuelle, 2021 erschienene Erhebung wurden Interviews mit über 700 zugewanderte und nicht-zugewanderte Sinti*zze und Rom*nja aus allen Bundesländern geführt und ausgewertet.Quelle
Das Ergebnis: Der Anteil der Befragten, die keinen Schulabschluss erreicht haben, ist deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Ebenso der Anteil derjenigen, die über keine formelle berufliche Qualifikation verfügen. Der Anteil der Abiturient*innen und Studierenden ist erheblich geringer als in der Gesamtbevölkerung.
Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Generationen:
- So liegt der Anteil der über 50-Jährigen ohne Schulabschluss bei über 50 Prozent, bei den 30- bis 50-Jährigen ist es knapp ein Drittel, bei den unter 30-Jährigen sind es nur noch 15 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind es unter 5 Prozent.
- Das Abitur als Schulabschluss haben etwa 2 Prozent der befragten über 50-Jährigen erreicht, 10 Prozent der 30- bis 50-Jährigen, bei den unter 30-Jährigen sind es bereits 15 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind es 40 Prozent.
- Knapp 80 Prozent der über 50-Jährigen und etwa 40 Prozent der 18- bis 50-Jährigen hat keinen beruflichen Abschluss.Quelle
Als Ursachen für die Benachteiligung nennen die Autor*innen fehlende explizite Fördermaßnahmen, aber auch Diskriminierungserfahrungen: So gaben etwa 40 Prozent der Befragten mit Kindern an, dass ihre Kinder Diskriminierung in der Schule erfahren haben. Zwei Drittel der Befragten gaben zudem an, wegen ihrer Zugehörigkeit diskriminiert worden zu sein. Viele von ihnen im Bildungssystem. Vorurteile können dabei eine Rolle spielen: Eine andere Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass Lehramtsstudierende den Schüler*innen, die als Rom*nja gelesen wurden, bei gleichen Leistungsergebnissen eher den Besuch einer Hauptschule empfahlen als Schüler*innen ohne Migrationshintergrund.Quelle
Die Studie der Arbeitsgemeinschaft "RomnoKher" zeigt auch: Die weit überwiegende Mehrheit der Befragten betrachtet schulische Abschlüsse als wichtig oder sehr wichtig. Über 70 Prozent weisen der schulischen Bildung zudem eine hohe Bedeutung für das Ansehen in der Gesellschaft zu. Der Mythos, Sinti*zze und Rom*nja hätten kein Interesse an schulischer Bildung, lässt sich demnach nicht empirisch belegen.Quelle
2011 führte RomnoKher die umfangreiche Bildungsstudie erstmals durch. Damals gaben über 80 Prozent der Befragten an, persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung und Beleidigung zu haben - besonders in der Schule.Quelle
Weitere Studien: Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja in der Bildung
Einer Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2022 zufolge diskriminieren angehende Lehrkräfte Kinder mit Sinti- oder Roma-Hintergrund bei Schulempfehlungen: Sie sprachen ihnen trotz gleicher Leistungen im Vergleich zu türkischstämmigen Kindern oder Schüler*innen ohne Migrationsgeschichte am häufigsten eine Hauptschulempfehlung aus.Quelle
In einer Studie im Auftrag der Hildegard Lagrenne Stiftung und der Freudenberg Stiftung aus dem Jahr 2016 wurden zudem die Bildungsbiographien erfolgreicher Frauen aus Sinti*zze und Rom*nja-Familien untersucht. Die befragten Frauen berichteten von Diskriminierungen in der Schule – besonders schwer erweist sich der soziale Aufstieg für Frauen mit unklarem Aufenthaltsstatus (Duldung oder irregulärer Aufenthalt in Deutschland). Entscheidend für den Bildungserfolg war die Unterstützung der Familie und der Einfluss starker weiblicher Vorbilder. Die Autorinnen der Studie fordern gezielte Fördermaßnahmen für den Bildungsaufstieg von Sinti*zze und Rom*nja.
Wie viele Lehrer haben einen Migrationshintergrund?
Wie viele Lehrer*innen haben einen Migrationshintergrund?
2022 hatten schätzungsweise rund 13 Prozent aller Lehrer*innen an allgemeinbildenden Schulen einen Migrationshintergrund. Von ihnen hatten etwa 70 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit. Zum Vergleich: Unter den Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen hatten im selben Jahr 41 Prozent einen Migrationshintergrund.Quelle
Warum gibt es vergleichsweise wenige Lehrer*innen mit Migrationshintergrund?
Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass Studienberechtigte mit Migrationshintergrund seltener eine Lehramtsausbildung wählen als Studienanfänger*innen ohne Migrationshintergrund. Gründe sind der Studie zufolge die eingeschränkten beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und das als gering wahrgenommene Ansehen des Berufs.Quelle
Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen sowie fehlende Vorbilder während der eigenen Schulzeit können auch dazu führen, dass Menschen nicht selbst als Lehrer*in arbeiten wollen.Quelle
Das Anerkennungsverfahren für ausländische Lehrkräfte bildet eine große Hürde, da es lange Bearbeitungszeiten der Anträge gibt und hohe Sprachkenntnisse erwartet werden. Im Ausland erworbenen Abschlüsse werden oft nicht anerkannt, weil sie Anforderungen nicht erfüllen. Viele zugewanderte Lehrkräfte müssen daher eine Ausgleichsmaßnahme – wie das Nachstudieren eines zweiten Unterrichtsfachs – durchführen.Quelle
Umgang mit Vielfalt an Schulen
Lehrer*innen mit Migrationshintergrund wird oft zugeschrieben, dass sie aufgrund ihrer eigenen Biographie besser mit Schüler*innen mit Migrationshintergrund und deren Eltern sowie mit Vielfalt an Schulen umgehen könnten. Sie sollen bei der „interkulturellen Öffnung“ der Schulen helfen.Quelle
Studien zeigen, dass sie sich beim Umgang mit Vielfalt mehr zutrauen und etwa ihre Empathiefähigkeit ausgeprägter sein kann als bei Kolleg*innen ohne Migrationshintergrund. Forschungsergebnisse deuten zudem darauf hin, dass sie sich wegen ihrer Biografie stärker für die Themen verantwortlich fühlen. Jedoch wollen sie keinen Sonderstatus, sondern ein „selbstverständlicher Bestandteil des Kollegiums" und sowohl für die Kinder mit als auch die ohne Migrationshintergrund verantwortlich sein.Quelle
Wissenschaftler*innen betonen, dass der Umgang mit Vielfalt eine Aufgabe der Bildungspolitik sowie der gesamten Schulen sei und nicht auf einzelne Lehrkräfte übertragen werden sollte. Dazu gehöre, dass bereits in der Lehrer*innenbildung Migration nicht als Bedrohung oder gesellschaftliches Problem thematisiert wird, sondern als Normalität. Zudem müssten angehende Lehrer*innen besser im Umgang mit Rassismus ausgebildet werden.Quelle
Welchen Einfluss haben sie auf den Lernerfolg ihrer Schüler*innen?
- Eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es keine signifikante Verbesserung der Leistungen von Schüler*innen in den Fächern Mathematik und Deutsch gab, nur weil sie von Lehrer*innen mit Migrationshintergrund unterrichtet wurden.Quelle
- Eine andere Studie ergab, dass die Lesekompetenz von Schüler*innen mit Migrationshintergrund an einer Hauptschule signifikant besser war, wenn sie von einer Lehrkraft mit Migrationshintergrund unterrichtet wurden. Die Autorin der Studie argumentiert, dass zweisprachig aufgewachsene Lehrer*innen mit Migrationshintergrund sprachspezifische Kompetenzen besäßen. Diese wirkten sich förderlich auf den Sprachunterricht aus, sowohl für Schüler*innen mit als auch für die ohne Migrationshintergrund.Quelle
- Zudem sei ein Vorbildeffekt zu beobachten: Demnach würden sich Schüler*innen mit Migrationshintergrund eher von Lehrkräften mit Migrationshintergrund verstanden und unterstützt fühlen als von jenen ohne Migrationshintergrund.Quelle
Diskriminierungserfahrungen von Lehrer*innen mit Migrationshintergrund
Studien zeigen, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund Diskriminierung an Schulen erfahren, etwa aufgrund ihres Akzents. Im Rahmen einer Befragung von 159 Referendar*innen und Lehrkräften mit Migrationshintergrund berichteten 60,4 Prozent, dass sie mindestens einmal selbst Rassismus am Arbeitsplatz erlebt haben. 65,5 Prozent von ihnen gaben an, dass die Diskriminierung von Personen aus dem eigenen Kollegium ausging. Mehr als ein Viertel (27,8 Prozent) der Diskriminierungen ging von Schüler*innen und deren Eltern aus.Quelle
Wie gehen Schulen mit Mehrsprachigkeit um?
Die Kultusministerkonferenz erkennt Mehrsprachigkeit als Ressource an, die gefördert werden soll. Einsprachigkeit gilt in Schulen aber oft noch als Normalfall, kritisieren Expert*innen. Das Schulsystem müsse sich besser auf Mehrsprachigkeit einstellen.Quelle
Forderungen sind unter anderem:
- Der Umgang mit Mehrsprachigkeit müsse zum einen in der Ausbildung der Lehrkräfte gefördert werden. Unter anderem müssten angehende Lehrer*innen die Möglichkeit haben, Sprachkenntnisse sowie Didaktik in mehr Sprachen vertiefen zu können – diese Möglichkeit gibt es für viele Herkunftssprachen nicht. Lehrer*innen müssten besser darin ausgebildet werden, andere Sprachen in den Unterricht einzubeziehen.
- Zum anderen müsste sich der Umgang mit Mehrsprachigkeit an Schulen ändern. Oft können Schüler*innen ihre Herkunftssprachen nicht zum Lösen von Aufgaben im Unterricht nutzen, zum Beispiel bei Recherchen für Referate. Unter anderem der Einsatz von digitalen Mitteln könnte hier helfen.
- Herkunftssprachen sollten besser gefördert und anerkannt werden: Der Unterricht in Herkunftssprachen ist oft nur freiwillig und Prüfungen können nicht in den Sprachen abgelegt werden. Als Abschlussfächer können meist nur europäische Fremdsprachen belegt werden. Quelle
Studien zeigen, dass es für mehrsprachige Kinder von Vorteil ist, wenn sie ihre Familiensprachen in der Schule verwenden können. Steht es Schüler*innen zum Beispiel frei, in ihrer "starken" Sprache zu recherchieren, können sie sich Inhalte besser erschließen, durchdenken und festhalten. Das kann das Lernen vereinfachen und zu einer höheren Motivation unter Schüler*innen führen. Darüber hinaus prägen sie auch das Gefühl von Anerkennung und Zugehörigkeit von Schüler*innen – etwa wenn sie besser am Unterricht teilhaben können und die Kenntnisse auch als Sprachkenntnisse, etwa im Zeugnis anerkannt werden.Quelle
Es gibt zahlreiche Projekte, die zum Ziel haben, Mehrsprachigkeit besser in den Unterricht einzubinden, wie B i SS – Bildung durch Sprache und Schrift, MIKS – Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld interkultureller Schulentwicklung oder Rucksack Schule.
Eine Übersicht über Modelle und Ansätze, wie Mehrsprachigkeit an Schulen verwendet und im Unterricht eingesetzt werden kann, hat das "Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache" in einem Faktencheck 2022 zusammengefasst.
In einer Expertise für den MEDIENDIENST haben Forscher*innen der Universität Bremen 2020 vorgestellt, wie Schulen in Kanada, den USA und Schweden mit Vielfalt und Mehrsprachigkeit umgehen. Ihr Fazit: In Deutschland könnte einiges anders laufen.
Herkunftssprachlicher Unterricht
Im Schuljahr 2021/2022 gab es in vierzehn Bundesländern sogenannten herkunftssprachlichen Unterricht. Das geht aus einer Recherche des MEDIENDIENSTES hervor. Im herkunftssprachlichen Unterricht können Schüler*innen ihre Familiensprache lernen oder vertiefen. Er wird entweder von den Bundesländern oder den jeweiligen Konsulaten angeboten.
- Zwölf Bundesländer haben im Schuljahr 2021/2022 eigenen herkunftssprachlichen Unterricht angeboten. Nordrhein-Westfalen hat das breiteste Angebot mit Unterricht in 28 Sprachen, danach folgen Rheinland-Pfalz und Sachsen mit je achtzehn Sprachen.
- In neun Bundesländern organisieren Konsulate Unterricht an öffentlichen Schulen. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es nur Konsulatsunterricht und kein staatliches Angebot.
- In Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es keine Form von herkunftssprachlichem Unterricht.
Einige Bundesländer bauen ihr Angebot an staatlichem herkunftssprachlichem Unterricht aus. Ein Grund dafür ist die Kritik, insbesondere am türkischen Konsulatsunterricht, ideologischen Einfluss auf die Schülerinnen und Schüler zu nehmen. So hat etwa das Saarland den Konsulatsunterricht 2019 an öffentlichen Schulen abgeschafft.Quelle
Ein Großteil des herkunftssprachlichen Unterrichts findet an Grundschulen statt. An weiterführenden Schulen gibt es weniger Angebote – und meist nur als Wahlfach. Einige Bundesländer, darunter NRW, Rheinland-Pfalz und Berlin, verfolgen das Ziel, die Herkunftssprachen vermehrt als Fremdsprache und nicht mehr als Wahlfach anzubieten – gleichberechtigt zu Englisch oder Spanisch. Fachleute begrüßen die Entwicklung: Wenn die Sprachkenntnisse offiziell im Abschlusszeugnis stehen, bedeute das eine Anerkennung der Herkunftssprachen. Ein Problem sei aktuell, dass die Lehrkräfte für Herkunftssprachen fehlen, sie werden bisher in Deutschland kaum ausgebildet.
Eine Umfrage unter Eltern mit Migrationshintergrund in Hamburg 2016 zeigt: Eine große Mehrheit der Eltern findet herkunftssprachlichen Unterricht wichtig, die meisten geben aber an, dass ihre Kinder solchen Unterricht nicht besuchen. Der wichtigste Grund dafür sind fehlende Angebote an den Schulen.Quelle
Konsulatsunterricht geht auf einen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1964 und eine Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zurück. Dahinter stand die Überlegung, Kinder auf die Rückkehr in das Heimatland ihrer Eltern vorzubereiten. Der Konsulatsunterricht hat sich seitdem kaum verändert: Der Unterricht wird von den Konsulaten oder Botschaften organisiert und finanziert. Neben der Sprache werden auch Inhalte zu Land und Kultur vermittelt. Für den Unterricht nutzen die Konsulate Räumlichkeiten von Schulen, ein Großteil des herkunftssprachlichen Unterrichts wird an Grundschulen durchgeführt. In manchen Bundesländern beteiligen sich die Ministerien oder Schulaufsichtsbehörden an den Lehrplänen und kontrollieren den Unterricht, andere Bundesländer überlassen den Unterricht vollständig den Konsulaten.Quelle
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland
In elf Bundesländer gibt es an öffentlichen Schulen einen islamischen Religionsunterricht beziehungsweise islamische Religionskunde. Das geht aus einer Recherche des MEDIENDIENSTES 2023 hervor. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle:
- In Berlin wird islamischer Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung eines islamischen Landesverbands erteilt. Religionsunterricht ist in Berlin weder ordentliches Unterrichtsfach, noch verpflichtend.
- In Niedersachsen gibt es islamischen Religionsunterricht als reguläres Angebot. Organisiert wird die Zusammenarbeit zwischen Staat und religiösen Gemeinden durch ein Beiratsmodell.
- In Hessen wird ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetz Art. 7 Absatz 3 in Kooperation mit islamischen Verbänden angeboten. Die Lehrpläne werden dabei von den Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen gemeinsam entwickelt. Hessen beendete die Zusammenarbeit mit Ditib wegen fehlender Unabhängigkeit vom türkischen Staat zum Schuljahr 2020/21. Nachdem der Verband erfolgreich dagegen klagte, findet seit 2022/23 wieder von Ditib verantworteter Unterricht statt. Als Alternative führte die hessische Regierung im Schuljahr 2019/20 das Fach "Islamunterricht" in staatlicher Verantwortung ab der siebten Klasse probeweise ein.Quelle
- Rheinland-Pfalz und das Saarland erproben islamischen Religionsunterricht in Modellprojekten. Islamische Verbände oder lokale Moscheegemeinden werden dabei auf unterschiedliche Weise einbezogen. In Rheinland-Pfalz gibt es drei lokale Partner. Das Land hat erst kürzlich (Frühjahr 2023) wieder die Verhandlungen mit vier größeren islamischen Gemeinden über einen Staatsvertrag aufgenommen. Dieser könnte die Basis für eine flächendeckende Einführung sein. Im Saarland gibt es sechs Kooperationspartner, teilweise sind dies größere Verbände, teils lokale Akteure. Der Unterricht findet hier lediglich an vier Grundschulen statt.Quelle
- In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wird islamischer Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit islamischen Partnern angeboten. Nordrhein-Westfalen hat dafür im Mai 2021 eine ständige Kommission eingerichtet, in der sechs islamische Verbände vertreten sind. In Baden-Württemberg wurde 2019 unter dem Dach des Landes eine Stiftung gegründet. Hier sind auch islamische Gemeinden vertreten, zugleich muss der Staat bei drei der fünf Kommissionsmitglieder und der Besetzung der Schiedskommission zustimmen.Quelle
- In Bayern, Schleswig-Holstein und seit 2021 auch in Hessen wird das Fach "Islamkunde" in staatlicher Verantwortung angeboten. Bayern hat das Fach seit 2009 als Modellprojekt erprobt. Seit dem Schuljahr 2021/2022 wird es als Wahlpflichtfach angeboten. Hessen hat seinen Schulversuch 2023 um drei Jahre verlängert. Islamische Gemeinden kritisieren diese Praxis.Quelle
- In Bremen wird Religionsunterricht generell als Religionskunde, also staatlich erteilt. Das Bremer Modell ist konfessionsübergreifend.
- In Hamburg gibt es den "Religionsunterricht für alle" (RUfa). Der RUfa ein weltanschaulicher Unterricht. Verschiedene religiöse Gemeinden und Gemeinschaften verantworten diesen gemeinsam. Die Kooperation zwischen Staat und muslimischen Gemeinden basiert hier auf einem Staatsvertrag. Zum Schuljahr 2023/24 wird dieser flächendeckend eingeführt.Quelle
Zur vollständigen Recherche mit mehr Informationen über die einzelnen Modelle hier (PDF).
In fünf Bundesländern gibt es keinen islamischen Religionsunterricht.
- In den fünf östlichen Bundesländern Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt es kein Angebot für muslimische Schüler*innen. Als Alternative zum christlichen Religionsunterricht stehen dort Fächer wie Ethik, Lebenskunde oder Philosophie zur Auswahl.
Wie viele Schüler*innen nehmen am islamischen Religionsunterricht teil?
Im Schuljahr 2022/23 nehmen bundesweit knapp 70.000 Schüler*innen an über 900 Schulen am islamischen Religionsunterricht teil. Im Schuljahr 2015/16 waren es nach einer Auswertung der Kultusministerkonferenz noch rund 42.000 Schüler*innen gewesen.
Die Nachfrage nach islamischem Religionsunterricht ist damit bei weitem nicht gedeckt: Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) kam bereits 2011 zu dem Ergebnis, dass etwa 580.000 Schüler*innen im Alter von 6 bis 18 Jahren einen islamischen Religionsunterricht besuchen würden. Stand 2023 sind über eine Million Schüler*innen in Deutschland muslimischen Glaubens.Quelle
Migration und Integration in Schulbüchern & Lehrplänen
Lehrpläne
Die "Lehrplanstudie Migration und Integration" des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) 2021 ergab: Die Themen Migration und Integration finden immer mehr Einzug in die Lehrpläne. Die Realität der Einwanderungsgesellschaft spiegeln sie aber nicht systematisch wider. Wichtige Migrationsphasen, wie die der Gastarbeiter*innen oder Spätaussiedler*innen werden kaum erwähnt. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Das Thema Vielfalt und Fragen nach Identität und Zugehörigkeit werden in Lehrplänen nur selten aufgegriffen. Es gibt aber deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten Bundesländern: In NRW etwa geht es besonders wenig um Migration und migrationsbedingte Vielfalt.
- Migration und Integration wird vor allem mit Krisen in Verbindung gebracht:
- Im Fach Geografie etwa mit Landflucht, globaler Ungleichheit und Bevölkerungswachstum.
- Im Fach Geschichte etwa mit Vertreibung, Krieg, Kolonialismus; Rassismus und Antisemitismus werden vor allem im Zusammenhang mit der NS-Herrschaft erwähnt.
- Wichtige Migrationsphasen nach Deutschland - wie die Zuzäge von Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, von Gastarbeiter*innen in den 1950ern und 1960ern oder von Spätaussiedler*innen in den 1990ern - werden kaum thematisiert.
- Wenn Migration und Integration nicht als Themen im Lehrplan vorgesehen sind, werden sie auch selten im Unterricht behandelt.
- Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Lehrplankommissionen deutlich unterrepräsentiert.Quelle
Schulbücher
Schulbücher bilden die Vielfalt in der deutschen Bevölkerung bisher nur unzureichend ab. So kommt die 2015 veröffentlichte "Schulbuchstudie Migration und Integration" im Auftrag der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung zu folgenden Ergebnissen:
- Migration wird meist als Problem und Herausforderung dargestellt.
- Integration gilt als unbedingt notwendig für den sozialen Zusammenhalt, erscheint aber vor allem als Anpassungsleistung, die Menschen mit Migrationshintergrund zu erbringen hätten.
- In den Texten und Aufgaben wird die Vielfalt in der Gesellschaft fast nie als Normalität abgebildet.
- Zwar wird Deutschland als Einwanderungsland beschrieben, doch dabei geht man weiterhin von einer homogenen (deutschen) Gesellschaft aus, in die Menschen einwandern. Die Aufnahmegesellschaft wird nicht multikulturell dargestellt.
- Schüler mit Migrationshintergrund werden meist als "Andere" markiert. So lautet beispielsweise eine Aufgabe: "Fragt eure ausländischen Mitschüler, was für sie Integration bedeutet."
- Begriffe wie "Migrant", "Migrationshintergrund", "Fremder" oder "Ausländer" werden oft synonym und unkommentiert benutzt.Quelle
Dies bestätigt die Befunde aus vorangehenden Untersuchungen: Einwanderer würden meist mit Ausländern gleichgesetzt und vor allem auf ihren Nutzen für die deutsche Wirtschaft reduziert. Muslime würden als außereuropäische "Andere" markiert, der "Islam" und das "moderne Europa" würden als unvereinbar dargestellt, wie eine Studie des Georg-Eckert-Institutes aus dem Jahr 2011 zeigt.
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