Die Schülerschaft in Deutschland wird immer vielfältiger. Bereits heute hat rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. In den Lehrerzimmern spiegelt sich diese Vielfalt jedoch noch nicht wider. 2017 hatten laut Statistischem Bundesamt nur rund acht Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland einen "Migrationshintergrund".
Immer wieder wird deshalb die Forderung laut, den Anteil der Lehrkräfte aus Einwandererfamilien zu erhöhen. Dahinter steckt die Annahme, Lehrer mit Migrationshintergrund verfügten qua Herkunft über besondere "interkulturelle Kompetenzen". Zudem wird von ihnen erwartet, Diskriminierung an Schulen zu mindern und sprachlich-kulturelle Vielfalt stärker anzuerkennen.
Potenziale von Lehrern mit "Migrationshintergrund"
Tatsächlich zeigen Studien, dass sich Lehrer mit Migrationshintergrund im Umgang mit Vielfalt in der Schule mehr zutrauen als ihre Kollegen. Bereits 2007 kam eine Untersuchung aus der Schweiz unter Primarschul-Lehrern zu dem Ergebnis: Aufgrund ihrer eigenen Biografie setzen sich Lehrer mit Migrationshintergrund stärker mit Vielfalt auseinander. Sie bringen eine höhere Empathiefähigkeit mit und verstehen sich als Vorbilder. Zudem tragen sie dazu bei, "Interkulturalität" im Kollegium und mit Schülern zu thematisieren.
PROF. DR. YASEMIN KARAKAŞOĞLU lehrt Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen. Sie ist Mitglied im Rat für Migration und forscht unter anderem zu Lehrkräftebildung in der Migrationsgesellschaft, zu transnationaler, interkultureller und differenz-kritischer Schulentwicklung.
Deutlich wurde in der Untersuchung jedoch auch, dass Lehrer mit sogenanntem Migrationshintergrund keinen Sonderstatus an ihrer Schule wollen. Sie möchten weder als Vertreter einer bestimmten Kultur verstanden werden, noch für alle Schüler aus Einwandererfamilien die Verantwortung tragen.
Eine Studie der Freien Universität Berlin von 2016 hat am Beispiel der Leistungen in Deutsch und Mathematik festgestellt: Der bloße Einsatz von Lehrkräften mit sogenanntem Migrationshintergrund hat wenig Einfluss auf die Schulleistungen von Kindern aus Einwandererfamilien. Der Perspektive, dass diese Lehrkräfte für den Schulerfolg der Kinder quasi gleicher Herkunft verantwortlich seien, wird damit der Boden entzogen.
Vielfalt an Schulen als Normalität verstehen
Vielmehr zeigen solche Studienergebnisse: Es wäre falsch, Lehrer mit Migrationsgeschichte auf eine qua Geburt angelegte "interkulturelle Kompetenz" zu reduzieren. Stattdessen muss Vielfalt an Schulen als Normalität verstanden werden. Dazu kann zum einen gehören, die Repräsentanz von Lehrern mit sogenanntem Migrationshintergrund zu erhöhen. Als Lehrer-Persönlichkeiten sind sie, wie auch ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund, Vorbild für alle – nicht nur für Schüler mit Migrationshintergrund und auch nicht nur aufgrund ihres Migrationshintergrundes.
Zum anderen gehört aber auch dazu, den Umgang mit Vielfalt und die Auseinandersetzung mit Diskriminierung zum zentralen Teil der Lehrerbildung zu machen. Faktisch sind wir noch weit von dieser Normalität entfernt. Sowohl Unterrichtsmaterialien als auch Ausbildungsgrundlagen der Lehrerbildung in Deutschland stellen Migration nahezu ausschließlich als gesellschaftliches Problem dar.
Lehrkräfte mit sogenanntem Migrationshintergrund sind kein Ersatz für die auch nach 60 Jahren Migrationsgeschichte fehlende grundlegende Ausrichtung von Schule darauf, dass Migration die Gesellschaft maßgeblich verändert. Das anzuerkennen ist eine Bildungsaufgabe für alle und kann nicht an "die Migranten" – wer auch immer sich mit dieser Zuschreibung als Berufsqualifikation identifizieren möge – delegiert werden.
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