MEDIENDIENST: Wie verbreitet ist Rassismus an Kitas?
Seyran Bostancı: Es herrscht die naive Vorstellung, dass Kitas frei von Rassismus sind. Aber natürlich gibt es Rassismus auch in Kitas. Wie groß das Problem ist, lässt sich schwer sagen, weil es kaum Forschung dazu gibt.
In welcher Form äußert sich der Rassismus?
Zwischen Kindern und Erzieher*innen, Eltern und Kita; aber auch Kinder reproduzieren rassistische Einstellungen. Sie wollen nicht neben einem bestimmten Kind sitzen oder nicht vom gleichen Obstkorb essen. Viel passiert auch auf institutioneller Ebene: in Spielen, Liedern oder Büchern. Oft kommen darin nur Familien mit Vater, Mutter und Kind vor, die alle weiß sind. Benachteiligung zeigt sich auch darin, wie Kitas mit den Sprachen der Kinder umgehen: Englisch oder Spanisch gelten oft als gute und nützliche Sprachen, Türkisch und Arabisch eher nicht. Mir wurde von einer Familie berichtet, die Spanisch und Arabisch zu Hause spricht. Die Kita hat sie darum gebeten, zuhause mit dem Kind doch nur Spanisch zu sprechen, da das eine Weltsprache sei. Das ist paradox, Kitas fördern Mehrsprachigkeit immer mehr, aber das gilt nicht für alle Sprachen gleichermaßen.
Nehmen Kleinkinder das wahr?
Kinder nehmen natürlich wahr, dass sie alleine spielen müssen, weniger Freundschaften haben und nicht zum Geburtstag eingeladen werden. Oder wenn sie immer gesagt bekommen, weiß sei normal und schwarz nicht, oder Englisch sei gut und Arabisch schlecht. Sie können solche Botschaften bereits ab dem dritten Lebensjahr wahrnehmen. Aber sie haben keine Worte dafür und können sie nicht richtig einordnen.
Wie reagieren sie dann darauf?
Manche Kinder ziehen sich zurück, manche werden aggressiv. Für Kinder ist Zugehörigkeit sehr wichtig, auch um lernen zu können. Wenn sie ständig denken, sie gehören nicht dazu oder machen etwas falsch – etwa wenn sie ihre Familiensprache sprechen – kann das langfristige Folgen haben. Sie können eigensinnige Schlüsse ziehen und das Problem bei sich selbst suchen, deswegen ist es so wichtig, dass Erwachsene eingreifen. Wenn sie das nicht tun, denken die Kinder, dass es in Ordnung wäre, so miteinander umzugehen.
SEYRAN BOSTANCI ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften Humboldt Universität zu Berlin. Im Rahmen des Rassismusmonitors forscht sie im Projekt "Institutioneller Rassismus in Kindertageseinrichtungen im postmigrantischen Berlin". Sie arbeitet zudem als Referentin und Fortbildnerin zu vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung an Kitas.
Wie gehen Eltern damit um, wenn ihre Kinder Diskriminierung erleben?
Sehr unterschiedlich. Manche Eltern versuchen, in der Kita etwas zu verändern. Zum Beispiel Bücher mitzubringen, in denen auch Schwarze Kinder vorkommen. Oder die Kita auf die Vorfälle hinzuweisen und Vorschläge zu machen, wie die diskriminierende Praxis verändert werden könnte.
Sind sie damit erfolgreich?
Nur wenige Eltern haben mir von wirklichen Erfolgen berichtet. Sie haben viel versucht und hatten am Anfang viel Hoffnung, dass sich etwas ändert. Sie stoßen aber eher auf Blockaden von Seiten der Kita. Viele fühlen sich hilflos und resignieren. Sie versuchen dann zu Hause alles mögliche auszugleichen und das Kind außerhalb der Kita zu empowern. Einige Eltern spielen Rassismus auch herunter und blenden aus, was das Kind erlebt.
Was kommt denn häufiger vor?
Am häufigsten habe ich beobachtet, dass Eltern resignieren. Zudem wollen sie gegenüber der Kita nicht als anstrengend erscheinen und ein gutes Verhältnis zu den Erzieher*innen oder der Kitaleitung haben. Sie sind ja abhängig von den Kitas, gerade in Städten in denen Kitaplätze fehlen. Eltern erleben auch selbst Rassismus. Als muslimisch markierte Mütter haben mir erzählt, dass sie von der Kita immer wieder als rückständig behandelt werden. Wenn es etwa Personalengpässe gibt oder als in der Corona-Pandemie Kinder zu Hause bleiben mussten, ging die Kita davon aus, dass sie eh zu Hause oder arbeitslos sind. Und deshalb auf jeden Fall Zeit haben, die Kinder tagsüber zu betreuen.
Melden Eltern ihre Kinder auch von der Kita ab?
Oft erst, wenn andere Strategien gescheitert sind. Eigentlich erscheint es als logischer Schritt, aber Kita-Plätze sind schwer zu bekommen und Familien sind froh, dass sie überhaupt einen Platz haben. Das Kind von der Kita zu nehmen ist sehr aufwendig und stellt die Eltern vor neue Probleme.
Wie reagieren denn die Kitas?
Häufig fehlt es an institutionalisierten Regeln, wie mit Rassismus umgegangen werden soll. Kitaleitung und Erzieher*innen sind dann überfordert. Dabei werden Beschwerden von Eltern oft blockiert: Die Kitas weisen zurück, dass es einen rassistischen Vorfall an der Kita gab – und sagen etwa, dass sie doch "Drei Chinesen mit dem Kontrabass" singen, um kulturelle Vielfalt einzubringen. Dabei ist das Lied sehr problematisch.
Spielt Rassismuskritik in der Erzieher*innenausbildung eine Rolle?
Nein, wenn dann gibt es das nur im Wahlbereich. Dabei wäre es sehr wichtig, dass Erzieher*innen zum Beispiel hinterfragen, wie ihr Kulturverständnis ist oder wie sie die Familien betrachten. Falls Kitas gegen Diskriminierung vorgehen, ist das oft auf einzelne Einrichtungen oder Fachkräfte zurückzuführen, die sich engagieren.
Was müsste sich ändern?
Wichtig ist: Eltern dürfen die Verantwortung nicht alleine tragen. Es wäre wünschenswert, wenn Kitas besser mit den Eltern zusammenarbeiten. Familien sollten von den Erfahrungen ihrer Kinder berichten können und wissen, dass sie etwas verändert können. Zudem müssen Kitas reflektieren, wie sie mit Vielfalt und Mehrsprachigkeit umgehen. Für Berlin gibt es im Bildungsprogramm schon eine gute Grundlage und Materialien dafür, wie das funktionieren kann. Zum Beispiel allen Sprachen mit Respekt zu begegnen und Eltern zu ermutigen, die Sprache mit den Kindern zu sprechen, in der sie sich am wohlsten fühlen. Kitas müssen das natürlich noch flächendeckend umsetzen. In Kitas sind Veränderungen leichter umzusetzen als an Schulen, denn es gibt keine Lehrpläne, die den Alltag stark strukturieren. Wenn eine Kita-Leitung, das Team oder der Träger etwas verändert will, kann das auch passieren.
Interview: Andrea Pürckhauer
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