MEDIENDIENST: In der MeTwo-Debatte haben viele Menschen berichtet, dass sie als Schüler Rassismuserfahrungen gemacht haben. Wie groß ist das Problem?
Karim Fereidooni: Ich gehe davon aus, dass die allermeisten Schülerinnen und Schüler, die nicht als weiß-deutsch angesehen werden, Rassismuserfahrungen machen. Der Rassismus kann von Mitschülern, Eltern, oder von Lehrern ausgehen.
Sie bilden an der Ruhr-Universität Bochum angehende Lehrer aus. Welche Konzepte gibt es, um sie für das Thema Rassismus zu sensibilisieren?
Rassismuskritik in der Lehrerausbildung ist ein zartes Pflänzchen. Es gibt in ganz Deutschland vielleicht fünf Professoren, die sich damit beschäftigen. In meinen Kursen lese ich mit angehenden Politiklehrern Texte zum NSU, zu Racial Profiling und zur AfD. Und wir behandeln die Frage, was Rassismus mit dem Leben aller Bundesbürger zu tun hat. Zuletzt erarbeiten wir Unterrichtsmaterialien zum Thema Rassismus. Lehrkräfte sind es gewohnt, immer über andere zu sprechen. In meinen Kursen beschäftigen sie sich aber zunächst mit sich selbst. Ich spüre bei den Studierenden eine große Offenheit, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Kürzlich gab es große Aufregung um ein Biologie-Buch in Sachsen. Darin war von „Rassekreisen“ die Rede. Ein Einzelfall?
Leider nein. Das zeigen etwa Studien zum Afrika-Bild in Schulbüchern. Zwar gibt es teilweise ein Umdenken bei Verlagen, doch viel zu oft werden biologistische Vorstellungen des klassischen Rassismus reproduziert. Es ist ein gutes Zeichen, dass man die Verwendung solcher Bücher nun problematisiert. In der Vergangenheit wurden Rassismen viel zu häufig einfach hingenommen.
Wie wirkt sich Rassismus auf die Schüler aus?
Er kann den Schulerfolg gefährden. Ein Beispiel: Es gibt in Nordrhein-Westfalen ein Netzwerk von Lehrkräften mit Migrationshintergrund. Das sind Menschen, die selbst im Bildungssystem erfolgreich waren und studiert haben. Wir haben vor einigen Jahren eine Umfrage unter 600 Lehrkräften im Netzwerk durchgeführt. Demnach haben 95 Prozent von ihnen nicht das Gymnasium besucht. Sie haben ihr Abitur auf der Gesamtschule oder über den zweiten Bildungsweg gemacht. Das ist ein Indikator für strukturelle Benachteiligung.
Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört Rassismus im Bildungswesen.
Nimmt Rassismus im Schulsystem eher ab oder zu?
Es gibt positive Entwicklungen. Heute besuchen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler of Color ein Gymnasium als vor zehn Jahren. Eine Studie hat sogar gezeigt, dass Schüler mit einem sogenannten Migrationshintergrund bei gleichem sozialen Status und denselben Noten sogar bessere Chancen haben, aufs Gymnasium zu kommen als ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund. Zugleich gibt es aber immer noch deutliche Belege für Rassismus im Bildungssystem. Eine Untersuchung der Universität Mannheim hat im vergangenen Jahr belegt, dass angehende Lehrkräfte bei Deutsch-Diktaten einen „Murat“ schlechter benoten als einen „Max“. In einem Experiment wurden Lehramtsstudierende in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt ein Diktat von einem fiktiven „Murat“, die andere Gruppe von einem „Max“. Die Diktate waren identisch. Obwohl die angehenden Lehrkräfte in beiden Diktaten gleich viele Fehler gefunden haben, wurde Murat im Schnitt schlechter benotet.
Interview: Mehmet Ata
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