"Viele Schülerinnen und Schüler sind überfordert", sagt Muna Nasser vom Verein Schülerpaten. Sie hat Familien mit Migrationshintergrund während des Lockdowns begleitet. Zahlreiche Kinder verstehen Nasser zufolge die Aufgaben in den Schulbüchern nicht, haben keinen eigenen Schreibtisch, keine Ruhe zum Lernen und müssen dazu noch den kleinen Geschwistern Nachhilfe geben. Oft fehlen auch Tablets und Laptops.
Auch viele Eltern tun sich laut Nasser mit der neuen Situation schwer. Häufig reichen ihre Deutschkenntnisse nicht aus, um die Briefe und Anweisungen der Schule zu verstehen. Viele Eltern hätten zudem keine Zeit, mit ihren Kindern zu lernen.
"Es ist zu befürchten, dass das Homeschooling problematische, wenn nicht gar verheerende Auswirkungen auf die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern haben wird", sagt der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani. Denn Ungleichheiten nehmen zu, wenn die Schule nicht stattfindet, das wisse man aus Beobachtungen nach den Sommerferien. Im neuen Schuljahr werden Schüler*innen rund sechs Monate keinen geregelten Unterricht besucht haben. Das werde die Ungleichheiten verstärken, so der Bildungsforscher.
Was können Schulen im neuen Schuljahr tun?
El-Mafaalani plädiert dafür, möglichst schnell wieder umfassenden Unterricht anzubieten. Bis zu den Sommerferien sollten Schulen testen, wie sie das bestmöglich organisieren können. In den Sommerferien brauche es zudem Angebote für Kinder und Jugendliche, damit die Familien entlastet werden – zum Beispiel Fahrradtouren oder Ausflüge in den Wald.
Zu Beginn des neuen Schuljahres sei es dann wichtig herauszufinden, was die Schüler*innen in den letzten Monaten gelernt oder auch verlernt haben, so El-Mafaalani. Lehrkräfte müssten wissen, was sie bei den Schüler*innen voraussetzen können, um sie dann individuell fördern zu können. Dafür müssten die Schulen deutlich besser ausgestattet werden und Lehrkräfte zum Beispiel von Sozialarbeiter*innen unterstützt werden.
Gerade bei benachteiligten Schüler*innen könne man nicht davon ausgehen, dass sie den Stoff des letzten Halbjahres durchgenommen haben, sagt Oliver Döhrmann von der Bildungsinitiative RuhrFutur. Das heißt fürs neue Schuljahr: deutlich weniger Stoff durchnehmen, als im Lehrplan vorgesehen ist und dafür Inhalte nachholen und vertiefen. Es gebe aber nicht die eine richtige Lösung für alle Klassen.
Schulen müssen eng mit den Eltern zusammenarbeiten
Die Probleme im Bildungssystem seien nicht neu, sondern sind in der Corona-Krise sichtbarer geworden – und haben sich darüber hinaus verstärkt, sagt Oliver Döhrmann von der Bildungsinitiative RuhrFutur. Es sei natürlich wichtig, kurzfristig auf die Krise zu reagieren. Es braucht laut Döhrmann aber langfristige Reformen im Bildungssystem.
Dazu gehöre eine bessere digitale Ausstattung der Schulen, damit alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft Zugang zu technischen Geräten haben. Es reiche aber nicht, dass Schüler*innen Tablets und Drucker zur Verfügung stünden. Digitales Lernen funktioniere anders als der Präsenzunterricht. Ein Beispiel: Kinder sehen sich zu Hause Erklärvideos an, die die Fakten vermitteln. Im Unterricht wird das Erlernte dann vertieft und individuelle Fragen beantwortet. Lehrer*innen müssten wissen, wie sie den Unterricht digital durchführen können. "Wir haben in den letzten zwei Monaten Fortbildungen zum digitalen Unterricht angeboten, daran haben 1.400 Lehrkräfte teilgenommen, der Bedarf ist also enorm", so Döhrmann.
Schulen müssten darüber hinaus besser mit den Eltern zusammenarbeiten. Das sei gerade für benachteiligte Kinder wichtig. Viele Lehrer*innen seien in den letzten Monaten bei den Familien vorbeigefahren, haben den Eltern hinterher telefoniert. "Das war in der Ausnahmephase okay, aber es braucht Strukturen, wie das systematisch funktionieren kann", so Döhrmann. Während des Homeschoolings habe sich gezeigt, dass Schulen, die bereits vorher viel mit den Eltern gearbeitet hatten, in der Krise besser vorbereitet waren und sie besser abfedern konnten.
Von Andrea Pürckhauer
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