Zwar ist Migration in der Europäischen Union Ländersache und die EU hat dabei nur eine "koordinierende Funktion". Der Europäische Rat hat in den letzten Jahren aber einige Richtlinien beschlossen, die gemeinsame Kriterien für die Migrations- und Flüchtlingspolitik festlegen sollen. Mitte Mai einigte sich die EU-Kommission vor dem Hintergrund der erneuten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer zudem auf eine Europäische Migrationsagenda.
Diese sieht einen Notfallplan vor, um "eindeutig schutzbedürftige Menschen" vorübergehend nach einem Quotenprinzip auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Ende Juni einigte sich der Europäische Rat darauf, dass insgesamt 60.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Zum Vergleich: das entspricht einem Zehntel aller Menschen, die 2014 einen Asylantrag in der gesamten EU gestellt haben. Offen blieb dabei jedoch, welches Land, wie viele von ihnen aufnimmt.
Dabei geht es um 40.000 Menschen, vor allem aus Syrien und Eritrea, die sich bereits in Italien und Griechenland befinden. Beide Länder, in denen die meisten Flüchtlinge über das Mittelmeer ankommen, sollten entlastet werden. Darüber hinaus sollen 20.000 Menschen aus Auffanglagern nahe der syrischen Grenze nach Europa geholt werden. Weil sich die Innenminister nicht auf eine verpflichtende Quote einigen konnten, entscheidet nun jedes Land für sich, wie viele Flüchtlinge es freiwillig aufnimmt. Dabei konnte nun im zweiten Anlauf zumindest eine Teillösung erreicht werden: Bei einem Sondertreffen in Brüssel einigten sich die EU-Innenminister auf eine Aufnahme von insgesamt 54.760 Hilfesuchenden.
Die ursprünglich anvisierte Zahl von 60.000 wurde damit verfehlt: Von den geplanten 40.000 Asylbewerbern, die sich derzeit in Italien und Griechenland befinden, konnten nur 32.256 verteilt werden. Erfolgreich war hingegen der sogenannte "Resettlement"-Plan für 20.000 Vetriebene, die "unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen", wie es in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Ende Juni heißt. Hier wurde sogar beschlossen, mehr Menschen aufzunehmen, als ursprünglich geplant, nämlich 22.500. Das geht aus einer Pressemitteilung der luxemburgischen Regierung hervor. Die Umsetzung soll im Oktober beginnen.
Wer nimmt wie viele Flüchtlinge auf?
Die Aufnahmebereitschaft der einzelnen Mitgliedsländer fällt sehr unterschiedlich aus, wie eine vom Europäischen Rat veröffentlichte Tabelle verdeutlicht: Deutschland will mit 12.100 mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufnehmen (davon 1.600 von außerhalb der EU und 10.500 aus Griechendland und Italien). Das etwas kleinere Nachbarland Frankreich will insgesamt rund 9.130 Menschen Schutz gewähren, Großbritannien 2.200, Polen 2.000 Menschen. Lettland will lediglich 250, Ungarn hingegen gar keine Flüchtlinge aufnehmen. Dabei bleiben einige Länder weit unter den in der EU-Migrationsagenda vorgeschlagenen Verteilungsquoten, während andere diese sogar übertreffen.
Während Staaten wie Deutschland, Frankreich, Griechenland und Italien die Vorschläge der Kommission also begrüßen, stehen andere der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen weiterhin skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dazu gehören Tschechien, Ungarn, Polen und die baltischen Staaten, aber auch Portugal und Spanien hatten sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gewehrt. Großbritannien und Dänemark nutzten dabei sogar die sogenannte "Opt Out" Klausel, die es einigen Mitgliedstaaten erlaubt, bestimmte Beschlüsse der EU-Gremien nicht umzusetzen.
Kritik an der Weigerung einiger Länder, einen gerechten Beitrag zur Aufnahme der Flüchtlinge zu leisten, kommt sowohl von Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl oder amnesty international als auch von Politikern und Amtsträgern europaweit. Die Hauptkritik galt der geringen Zahl der Flüchtlinge, die vom Notfallplan profitieren würden: Länder wie die Türkei und Libanon nehmen gerade 1,2 bis 1,6 Millionen Menschen auf.
Die Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten in dieser Angelegenheit zeigt erneut, wie schwierig es ist, eine europäische Verteilungsquote für Flüchtlinge einzuführen. So bleibt das umstrittene Dublin-System bestehen, das Flüchtlinge an das erste Land bindet, das sie in Europa betreten. Dabei heißt es selbstkritisch in der EU-Migrationsagenda, dass das System in seiner heutigen Form zu einer ungleichmäßigen Belastung einzelner Staaten führe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte im Sommer-Interview mit der ARD, dass das Dublin-Abkommen nicht mehr den Gegebenheiten entspreche "wie wir sie mal hatten".
De facto greift die Dublin-Verordnung nur noch in seltenen Fällen: Von den rund 27.000 Asylsuchenden, die Deutschland 2014 deswegen an andere europäische Länder überstellen hätte müssen, wurden laut dem zuständigen Bundesamt lediglich 4.772 abgeschoben.
Von Rana Göroğlu
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