Die Grundpfeiler der gemeinsamen europäischen Einwanderungspolitik sind nicht neu. Vor 17 Jahren entwarf der Europäische Rat im Vertrag von Amsterdam einen rechtlichen Rahmen für asyl- und einwanderungspolitische Maßnahmen in allen EU-Ländern. Daraufhin verabschiedeten EU-Politiker vor allem "koordinierende Maßnahmen", wie gemeinsame Kriterien für die Aufnahme und Registrierung von Asylsuchenden oder eine verbesserte Abwehr von unerwünschten Migranten an den Grenzen.
Auch die Binnenmigration wurde neu geregelt: Mit der Freizügigkeitsrichtlinie beschloss der Rat 2004, dass Unionsbürger sich dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen dürfen und dabei „die gleiche Behandlung wie Inländer genießen“. Parallel dazu verabschiedeten die Politiker in Brüssel die Daueraufenthaltsrichtlinie und die Richtlinie zum Familienzusammenzug und signalisierten den Nationalstaaten, dass sie sich auch um die langfristige Integration von Drittstaatsangehörigen bemühen müssen.
Im Vertrag von Lissabon schrieben die europäischen Staats- und Regierungschefs 2007 fest, dass die EU im Bezug auf Migration aus Drittstaaten ausschließlich "koordinierend" und nicht "harmonisierend" wirken soll. Der Vertrag legt außerdem die vier Kernbereiche der EU-Migrationspolitik fest:
- Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen (Visa, Aufenthaltstitel, Familienzusammenführung),
- Festlegung der Rechte von Drittstaatsangehörigen,
- Bekämpfung der irregulären Einwanderung (Abschiebung und Rückführung),
- Bekämpfung des Menschenhandels.
Schritt für Schritt zur Migrations-Union
Trotz dieser Einschränkungen verabschiedete der Europäische Rat in den folgenden Jahren Beschlüsse mit dem Ziel, die gemeinsame Einwanderungspolitik zu stärken: Unter anderem die Vorschriften für ein gemeinsames europäisches Asylsystem sowie die Hochqualifiziertenrichtlinie und damit die Blaue Karte EU, mit der die Arbeitsmigration in EU-Länder geregelt wird.
„Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob der Vertrag von Lissabon die Einflussnahme der EU im Bezug auf Einwanderungspolitik auf eine koordinierende Funktion beschränkt hat“, schreibt Yves Pascouau, Migrationsexperte des European Policy Centre (EPC), in einem Essay. „Bei näherer Betrachtung sieht man allerdings, dass die EU die Mitgliedstaaten de facto durch eine Vielzahl an Verordnungen und Richtlinien dazu gezwungen hat, ihre Gesetzgebung zu harmonisieren."
Dies gelang zum Großteil auch durch die Anwendung von „Soft Law“-Dokumenten wie der Europäischen Integrations-Agenda, dem Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Stockholm. Solche Dokumente bestimmen zwar keine Normen, geben jedoch politische Richtlinien vor.
Umbruchphase in der Einwanderungspolitik
Wie die EU-Einwanderungspolitik in den kommenden Jahren aussehen wird, hängt auch vom Ergebnis der anstehenden Europawahl ab. Denn sollten rechtspopulistische Parteien besonders gut abschneiden, könnten die etablierten Parteien auch zu einer strengeren Einwanderungspolitik tendieren.
Europas Migrationspolitik befindet sich ohnehin in einer Umbruchphase, in der mehrere rechtliche Fragen noch offen sind: Zum einen packte die Union kürzlich mit der Saisonarbeiter-Richtlinie erstmals das Thema der zeitlich begrenzten Zuwanderung aus Drittstaaten an. Laut Innenkommissarin Cecilia Malström sei diese Richtlinie "ein gutes Beispiel für einen legalen Weg, den Zuwanderer nutzen können, um sicher nach Europa zu gelangen".
Zum anderen scheint die Integrationspolitik der EU immer weniger "inklusiv" und immer stärker "selektiv" zu werden. "Früher richtete sich die Politik der EU stärker nach dem Prinzip: Integration findet erst hierzulande statt", sagt Migrationsrechtler Kees Groenendijk. Denn nach den gemeinsamen Grundprinzipien soll die Eingliederung eines Einwanderers ein "dynamischer, in beide Richtungen gehender Prozess" sein. "Schaut man aber genauer hin, wird deutlich, dass sich in einigen Mitgliedstaaten inzwischen die Idee durchgesetzt hat, dass Integration eine Bringschuld der Einwanderer sei."
Ein Beispiel für diese Tendenz seien die Wissens- und Sprachanforderungen vor der Einwanderung in Deutschland, den Niederlanden und Österreich. Nach Groenendijks Meinung seien diese nicht nur ein Instrument, um den Integrationsprozess zu beschleunigen. "Viel mehr funktionieren sie als Filter", erklärt Groenendijk. "Die Ergebnisse der Sprachtests in den Niederlanden zeigen: Je nach Herkunftsland und Sozialstatus bewegen sich die Erfolgschancen zwischen 50 und 100 Prozent. Gut gebildete, wohlhabende Einwanderer haben kein Problem, den Sprachtest zu bestehen. Arme Einwanderer ohne Zugang zu Bildung fallen meistens durch."
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.