In ihrem neuen Koalitionsvertrag erkennen CDU, CSU und SPD an, dass Deutschland qualifizierte Fachkräfte benötigt und dass dieser Bedarf in den kommenden Jahren steigen wird. Die Parteien wollen deshalb ein Gesetz zur „Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt“ erarbeiten. Es soll bestehende Regelungen zusammenfassen, transparenter machen und – wo nötig – effizienter gestalten. Mit Fachkräften sind nicht nur Hochschulabsolventen gemeint, sondern auch Einwanderer mit einer abgeschlossenen Ausbildung oder mehrjährigen Arbeitserfahrungen.
Ob jemand einwandern darf, soll laut Koalitionsvertrag vom Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt abhängen sowie vom Alter, der Sprache und den Qualifikationen der Bewerber. Zudem müssen Zuwanderer nachweisen, dass sie einen Arbeitsplatz in Deutschland haben und ihren Lebensunterhalt selbst sichern können. Darüber hinaus soll die sogenannte Vorrangprüfung in der Regel entfallen. Sie sieht vor, dass deutsche Arbeitnehmer, EU-Bürger und bestimmte andere Drittstaatsangehörige – wie zum Beispiel anerkannte Flüchtlinge – zuerst Anrecht auf eine Stelle haben.
Die Formulierungen im Koalitionsvertrag tragen die typischen Züge eines Kompromisses. Zwar steht an prominenter Stelle, dass nur Fachkräfte einwandern sollen – ein Anliegen, das der Union wichtig war. Doch der Begriff "Fachkräfte" wird großzügig definiert, indem erstmals auch Arbeitserfahrungen anerkannt werden. Der Kompromiss wird auch an anderer Stelle deutlich: Die SPD hatte im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen ein sogenanntes Einwanderungsgesetz gefordert. Im Koalitionsvertrag wird dieser Reizbegriff jedoch vermieden.
Ein solcher Kompromiss lässt viele Gestaltungsoptionen offen. Für den Erfolg eines neuen Gesetzes wird entscheidend sein, ob sich die Parteien auf konkrete inhaltliche Änderungen einigen können.
Was müsste ein neues Gesetz beinhalten?
Es gibt drei Möglichkeiten, die Einwanderung von Fachkräften zu erleichtern: die Einführung eines Punktesystems, die Liberalisierung bestehender Vorschriften und die Gewährung eines sicheren Aufenthalts. Ein neues Gesetz könnte alle drei Aspekte miteinander verknüpfen, aber auch getrennt voneinander aufgreifen.
1. Punktesystem
In Deutschland wird oft diskutiert, ein Punktesystem einzuführen, wie es beispielsweise in Kanada existiert. Dort werden ausländische Arbeitskräfte nach bestimmten Kriterien wie Sprachkenntnissen oder Berufserfahrungen bewertet. Je mehr Kriterien sie erfüllen, desto mehr Punkte erhalten sie und desto höher sind ihre Chancen, einwandern zu können. Kanada legt für diese Art der Zuwanderung jährlich ein Kontingent fest.
2. Liberalisierung bestehender Vorschriften
Man kann die Einwanderung von Fachkräften aber auch erleichtern, indem man bereits geltende Regelungen großzügiger gestaltet. Reformbedürftig wäre vor allem Paragraf 18 im Aufenthaltsgesetz, der regelt, wer als Arbeitskraft nach Deutschland einwandern darf: Die Bedingungen für eine Einreise sind so streng formuliert, dass in der Praxis meist nur Hochqualifizierte einwandern können. Der Paragraf müsste daher angepasst werden, um auch Menschen mit anderen Berufsqualifikationen die Einreise zu ermöglichen. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag, den Begriff „Fachkräfte“ weiter zu fassen, geht somit in die richtige Richtung.
Prof. Dr. Thomas Groß ist Rechtswissenschaftler an der Universität Osnabrück. Seit 2011 hat er dort den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung inne. Seit 2015 ist er Mitglied im Vorstand des "Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien" (IMIS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das Ausländer- und Asylrecht.
Wichtig wäre auch, die Rolle der Bundesagentur für Arbeit (BA) neu zu definieren. Aktuell ist die BA dazu verpflichtet, eine „Arbeitsmarktprüfung“ durchzuführen, bevor Stellen an ausländische Bewerber vergeben werden. Dafür muss sie nicht nur prüfen, ob andere Arbeitnehmer zuerst Anrecht auf die Stelle haben, sondern auch, ob ausländische Bewerber unter denselben Bedingungen arbeiten würden wie Deutsche. In der Praxis stellen diese zwei Prüfungen oft eine große Hürde dar. Immerhin ist im Koalitionsvertrag angekündigt, künftig außer in Ausnahmefällen auf die Vorrangprüfung zu verzichten.
Ein neues Gesetz müsste aber auch Erleichterungen für Migranten schaffen, die noch keinen Arbeitsplatz in Aussicht haben, sondern zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen möchten. Zudem sollte das Gesetz den sogenannten Spurwechsel erlauben – also die Möglichkeit für Asylsuchende oder Geduldete, aus dem Asylverfahren beziehungsweise dem Duldungsstatus in den Arbeitsmarkt zu wechseln.
3. Gewährung eines sicheren Aufenthalts
Für die Attraktivität eines Einwanderungslandes ist entscheidend, ob sich Migranten darauf einstellen können, dauerhaft zu bleiben. In Kanada erhalten Einwanderer in der Regel sofort ein unbefristetes Aufenthaltsrecht, das nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder bei einer längeren Abwesenheit entzogen werden kann. Zudem können Einwanderer bereits nach drei Jahren die kanadische Staatsangehörigkeit beantragen. In Deutschland sind diese beiden Schritte an deutlich längere Fristen gebunden. Ein neues Gesetz müsste Migranten schon früher in Aussicht stellen, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Auch flankierende Maßnahmen sind wichtig
Neben solchen möglichen Elementen eines Einwanderungsgesetzes kommt auch flankierenden Regelungen und Maßnahmen eine wichtige Rolle zu. Dazu zählt insbesondere, den Familiennachzug großzügiger auszugestalten und die doppelte Staatsangehörigkeit generell zu ermöglichen. Denn ausländische Arbeitskräfte werden eher geneigt sein, nach Deutschland zu kommen, wenn sie ihre Familien mitnehmen dürfen und deutsche Staatsbürger werden können, ohne ihren „alten“ Pass zu verlieren. Darüber hinaus bräuchte Deutschland ein offensives Migrationsmarketing, um weltweit bekannt zu machen, welche Einwanderungsmöglichkeiten es gibt.
Botschaften und Ausländerbehörden haben oft Nachholbedarf in Sachen Kundenfreundlichkeit. Sie müssten ihre Beratungsangebote besser auf die Bedürfnisse von Drittstaatsangehörigen zuschneiden und sich stärker darum bemühen, Anträge zügig zu bearbeiten. Schließlich müsste die Sprachförderung weiter ausgebaut werden – denn für die meisten Segmente des Arbeitsmarktes sind gute Deutschkenntnisse nach wie vor unverzichtbar.
Der Gastbeitrag erschien zuerst am 15.02.2018.
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