Gesetzesänderungen kommen in unterschiedlichen Tempi daher: Manche Vorhaben im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD werden erst für die nächste Legislaturperiode geplant, wie etwa der einheitliche Mindestlohn. In eigener Sache hat die Große Koalition dagegen schnell gehandelt: Die Diäten der Bundestagsabgeordneten wurden kürzlich um 10 Prozent erhöht und sollen in Zukunft automatisch angepasst werden. Insgesamt ist schon einiges passiert in den ersten 100 Tagen. Auch bei den Politikfeldern Integration und Migration, zu denen im Koalitionsvertrag konkrete Punkte stehen, wurde bereits debattiert und manches umgesetzt.
Thema Staatsangehörigkeit
Laut Koalitionsvertrag soll die umstrittene und vermutlich weltweit einmalige Optionspflicht abgeschafft werden. Im Vertrag heißt es auf Seite 106:
„Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert.“
Die rechtliche Umsetzung davon sorgte jedoch gleich zu Beginn für Streit. Denn legt man die Formulierung "in Deutschland geboren und aufgewachsen" wörtlich aus, stellt sich die Frage: Wann sind Kinder und Jugendliche weiterhin von der Optionspflicht betroffen? Der Bundes-Innenminister hat Anfang Februar einen Gesetzesentwurf in die Kabinettsabstimmung gegeben, der „geboren und aufgewachsen“ je nach Herkunft unterschiedlich interpretiert:
Für Menschen mit einer Staatsangehörigkeit von einem EU-Land und der Schweiz (!) reicht „geboren“ aus. Für Menschen mit einer Herkunft aus anderen Ländern bleibt: „Will der Deutsche nach Absatz 1 die deutsche Staatsangehörigkeit behalten, so ist er verpflichtet, den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Tritt dieser Verlust nicht vor Vollendung des 23. Lebensjahres ein, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren“.
In Absatz 4 ist anschließend die grundsätzlich vereinbarte Mehrstaatigkeit als Ausnahme geregelt, sofern ein Schulzeugnis vorliegt oder eine Bescheinigung, dass sich die Person über zwölf Jahre in Deutschland aufgehalten hat – davon mindestens vier Jahre zwischen dem 10. und dem 16. Lebensjahr.
Der bürokratische Aufwand würde also vergrößert werden, statt abgeschafft.
Was "aufgewachsen" bedeutet, bleibt weiterhin unklar. Schließlich geht es um Kinder von Eltern, die vor der Geburt des Kindes acht Jahre legal in Deutschland gelebt haben. Der Gegenentwurf der drei Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ignoriert das Kriterium "aufgewachsen". Er basiert auf der Bundesratsinitiative aus der letzten Legislaturperiode, der sich vor der Großen Koalition alle SPD-geführten Länder angeschlossen hatten. Es ist zur Zeit nicht abzusehen, wie die Koalition sich einigen wird.
Thema Asylpolitik
Ebenfalls schnell eingeleitet worden ist ein Gesetzentwurf für eine einschränkende Maßnahme im Bereich Asyl: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen in Zukunft als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden – wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Nun hat das Bundes-Innenministerium in seinem Entwurf laut Medienberichten auch Albanien und Montenegro hinzugefügt.
Nachdem die Asylbewerberzahlen 2008 mit weniger als 30.000 Schutzsuchenden auf einem Tiefstand waren, sind sie inzwischen wieder deutlich angestiegen. 2013 nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über 110.000 Erstanträge und weitere 17.000 Folgeanträge entgegen. Da das Personal inzwischen heruntergefahren war, baute sich seit 2008 zunehmend ein Bearbeitungsstau auf.

Prof. Dr. DIETRICH THRÄNHARDT ist Politikwissen-schaftler und Mitglied im "Rat für Migration" (RfM). Er ist Herausgeber der "Studien zu Migration und Minderheiten" und lehrt an der Universität Münster Vergleichende Regierungslehre und Migrationsforschung.
Auf Nachfrage erklärt das BAMF: Von den rund 2.100 Mitarbeitern des Bundesamts sind 280 Mitarbeiter als Asyl-Entscheider in den 22 Außenstellen des Bundesamts tätig. Weitere 400 Mitarbeiter unterstützen die Bearbeitung und Verwaltung der Asylverfahren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer von der Antragstellung bis zur Entscheidung betrage derzeit rund sieben Monate. Bei Antragstellern aus Afghanistan und Eritrea dauert es im Durchschnitt sogar über ein Jahr. Das BAMF ist zwar bemüht, aber der Stau bei den Asylverfahren ist im Januar 2014 noch einmal angewachsen: Ende Januar zählt es 99.999 unbearbeitete Anträge ("anhängige Verfahren").
Im Koalitionsvertrag wurde daher vereinbart:
„Wir werden das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge personell ausreichend ausstatten, damit [...] zügige und rechtsstaatliche Asylverfahren gewährleistet sind. [...] Die Verfahrensdauer bis zum Erstentscheid soll drei Monate nicht übersteigen.“
Im Haushalt 2014 hat das BMI bereits 300 neue Stellen für das Bundesamt beantragt, das ihm als nachgeordnete Behörde untersteht. Die Stellen müssen aber erst noch bewilligt und besetzt werden. Bis dahin bedeutet das für die Flüchtlinge Warten, Unsicherheit und Stilllegung der Eigeninitiative. Für das „Integrationsland Deutschland“ bedeutet das die Verschiebung der Integration. Für Länder und Kommunen entstehen hohe Kosten.
Zum Thema Flüchtlinge heißt es weiter im Koalitionsvertrag:
"Um lange in Deutschland lebenden geduldeten Menschen, die sich in die hiesigen Lebensverhältnisse nachhaltig integriert haben, eine Perspektive zu eröffnen, wollen wir eine neue alters- und stichtagsunabhängige Regelung in das Aufenthaltsgesetz einfügen. [...] Die räumliche Beschränkung (sogenannte Residenzpflicht), für Asylbewerber und Geduldete wird auf das jeweilige Land ausgeweitet."
Diese Maßnahmen sind in Vorbereitung. Bis wann man mit einer Umsetzung in geltendes Recht rechnen kann, ist jedoch unklar. Auch zur angekündigten Strategie für Migration und Entwicklung gibt es im Grunde noch keine neuen Initiativen. Die vielzitierte „Willkommenskultur" scheint im Bundes-Innenministerium noch wenig entwickelt zu sein.
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