Wird ein Antrag auf Asyl abgelehnt, erhält der oder die Geflüchtete eine Aufforderung, das Land zu verlassen. Das muss binnen 30 Tagen erfolgen – manchmal sogar binnen einer Woche, wenn Antragsteller aus "Sicheren Herkunftsländern" kommen. Viele abgelehnte Asylbewerber reisen dennoch offenbar nicht ab. Eine vielfach zitierte Statistik besagt, dass zum Stichtag 30. Juni 2015 rund 540.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland lebten – die überwiegende Mehrheit davon schon seit mehr als zehn Jahren. Nur gilt hier zu berücksichtigen: Die Zahl der „unmittelbar Ausreisepflichtigen“ – also der Menschen, die das Land umgehend verlassen müssen – lag lediglich bei rund 51.000.
Tatsache ist: Viele abgelehnte Asylbewerber können das Land nicht verlassen. Das kann mehrere Gründe haben: Einige von ihnen haben keine Reisedokumente und können sie auch nicht bei der Botschaft ihres Landes beantragen. Andere sind krank oder reiseunfähig. Sie erhalten dann eine sogenannte "Duldung". 2014 gab es in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung etwa 113.000 Geduldete. Etwa 30.000 von ihnen, die länger als acht Jahre in Deutschland leben, haben kürzlich die Möglichkeit erhalten, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.
Für das Jahr 2015 gilt: Von den etwa 200.000 Asylanträgen, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwischen Januar und Oktober entschieden hat, bekamen rund 82.000 eine positive Entscheidung, 77.800 wurden hingegen abgelehnt.
Angesichts der steigenden Zahl der Antragsteller plädieren zunehmend viele Politiker dafür, Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, konsequenter abzuschieben. So will die Bundesregierung durch das neue „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ einen Abschiebestopp nur im Fall „lebensbedrohlicher und schwerwiegender“ Erkrankungen zulassen. Psychologische Erkrankungen wie etwa eine posttraumatische Belastungsstörung, die laut Schätzungen von Experten bis zu 40 Prozent aller Antragsteller betrifft, zählen nicht dazu.
Die meisten Ausreisepflichtigen verlassen freiwillig das Land
Schon jetzt bemühen sich die Bundesländer darum, mehr abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. So gab der Koordinator für Flüchtlingspolitik des Bundeskanzleramts Peter Altmaier (CDU) kürzlich bekannt, dass die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die im Laufe des Jahres 2015 in die Heimat zurückgekehrt sind, im November bei mehr als 50.000 Menschen lag. Die zuständigen Behörden und Ministerien, würden ihre Aufgaben „jeden Tag besser lösen“, so Altmaier.
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Sind also wirklich mehr Abschiebungen nötig? Eine Umfrage des MEDIENDIENSTES bei den zuständigen Behörden der Bundesländer zeigt ein differenziertes Bild:
- Abgeschoben wurden zwischen Januar und November 2015 rund 17.000 Menschen.
- Knapp 40.000 Menschen haben das Land hingegen mithilfe eines Rückkehr-Programms freiwillig verlassen.
- Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Menschen, die die Bundesrepublik auf eigene Faust verlassen haben.
Die Daten zeigen außerdem: Die Möglichkeit, freiwillig auszureisen, wird je nach Bundesland unterschiedlich stark genutzt. So ist die Zahl der Abschiebungen in Sachsen zweimal so hoch wie die der freiwilligen Ausreisen. In Rheinland-Pfalz erfolgten hingegen 90 Prozent der Rückführungen durch freiwillige Ausreise.
Freiwillige Ausreisen finden mithilfe von Rückkehr-Programmen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) statt. Dazu zählt unter anderem das URA2-Programm, in dessen Rahmen abgelehnte Asylbewerber aus dem Kosovo Unterstützung und Beratung erhalten. Am meisten genutzt wird das Rückkehr-Programm REAG/GARP der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Es übernimmt die Reisekosten für die Ausreisepflichtigen und stellt ihnen auch eine finanzielle „Starthilfe“ im Herkunftsland zur Verfügung – diese beläuft sich zwischen 750 Euro pro Erwachsener für Menschen aus Afghanistan, Irak und Angehörige der Roma-Minderheit aus dem Kosovo sowie 300 Euro für andere Länder wie Ägypten, Ghana oder Syrien.
Etwa 26.800 Ausreisen wurden 2015 nach Angaben des BAMF auf Anfrage des MEDIENDIENSTES im Rahmen des IOM-Programms bewilligt. Rund 23.400 davon gingen in Richtung Westbalkan.
Von Fabio Ghelli und Carsten Janke
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