Rund 113.000 Menschen sind derzeit in Deutschland „geduldet“, das heißt, sie haben keinen Aufenthaltsstatus, konnten aber nicht abgeschoben werden, weil sie keine Reisedokumente haben oder ihr Land sie nicht aufnehmen will beziehungsweise weil ihnen ihnen keine sichere Reisemöglichkeit zur Verfügung steht, da das Herkunftsland vom Krieg zerstört ist.
In vieler Hinsicht haben Geduldete in Deutschland die gleichen Rechte wie Asylsuchende: Sie haben einen eingeschränkten Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Integrations-Angeboten. Und wie Asylbewerber leben sie in der Ungewissheit, wie lange sie noch in der Bundesrepublik bleiben dürfen, denn alle sechs bis 18 Monate müssen sie eine Verlängerung der Duldung beantragen. Diese Situation kann mehrere Jahre dauern. Laut Bundesregierung leben etwa 27.000 seit mehr als acht Jahren als Geduldete in Deutschland.
Für viele Geduldete dürfte das neue Gesetz zu „Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung“ eine lang ersehnte Veränderung bringen. Mehrere zehntausend Menschen könnten davon profitieren, so das Bundesinnenministerium auf Nachfrage des Mediendienstes. Genauer lasse sich diese Zahl nicht beziffern. Allein 30.000 Menschen würden jedoch für ein humanitäres Bleiberecht nach dem neuen Paragraph 25b des Aufenthaltsgesetzes in Frage kommen.
- Wer acht Jahre in Deutschland gelebt hat und „sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat“, kann jetzt eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.
- Für Familien mit Kindern gilt das bereits nach sechs Jahren.
- Außerdem haben Jugendliche und Heranwachsende, die vier Jahre in der Bundesrepublik gelebt oder hier einen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben, Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Auch ihre Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner können in so einem Fall ein Bleiberecht bekommen.
Das Gesetz hatte einen Vorlauf von mindestens zehn Jahren. Bereits 2007 hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, welches Geduldeten, die länger als sechs Jahre in Deutschland lebten, einen Aufenthaltsstatus gewährte. Das damalige Gesetz bezog sich jedoch ausschließlich auf Menschen, die vor 2001 eingereist waren. 2013 hat dann der Bundesrat vorgeschlagen, Geduldeten ein Bleiberecht zu gewähren, das nicht von einem bestimmten Stichtag abhängig ist. Noch im selben Jahr hat dieser Vorschlag den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden.
Schon Anfang September soll das Gesetz in Kraft treten. Wie dies genau geschehen soll, ist im Moment noch unklar. Aufgrund wiederholter Überarbeitungen des Gesetzentwurfes konnten sich die Ausländerbehörden nur bedingt auf die Reform vorbereiten.
Nicht jeder Geduldete erhält nach acht Jahren automatisch eine Aufenthaltserlaubnis. Denn das Gesetz besagt, dass Antragstellende nur dann eine Aufenthaltserlaubnis für (maximal) zwei Jahre erhalten können, wenn sie eine "nachhaltige Integration" nachweisen können. Dazu zählt, dass sie
- sich zur demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik bekennen,
- eine Arbeit haben und dadurch ihrer Lebensunterhalt (zumindest überwiegend) bestreiten können,
- einfache Deutschkenntnisse nachweisen können,
- ihre Kinder nachweislich zur Schule schicken und
- nicht straffällig geworden sind.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert und – je nach individuellen Voraussetzungen – im Laufe der Jahre unbefristet werden.
Um diese Kriterien zu prüfen, benötigen jetzt die Mitarbeiter aller Ausländerbehörden in ganz Deutschland eine umfangreiche Schulung. „Die Umsetzungsschritte sind immens“, sagt der Leiter der Berliner Ausländerbehörde Engelhard Mazanke gegenüber dem MEDIENDIENST. Auch Dagmar Dahmer von der Ausländerbehörde Köln erwartet einen höheren Prüfungsaufwand. In beiden Städten leben geschätzt 1.000 bis 1.600 Langzeit-Geduldete, die einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben könnten.
Unklar ist auch, was mit denjenigen passieren soll, die zur Zeit ihrer Einreise falsche Angaben über ihre Identität gemacht haben – eine Situation, die sich bei irregulären Einwanderern sehr oft ergibt. Denn dem Gesetz zufolge sollten diese keine Aufenthaltserlaubnis bekommen. „Jeder Fall muss individuell geprüft werden“, sagt Dagmar Dehmer. Sowohl in Köln als auch in Berlin wird derzeit ein Konzept für die Umsetzung der neuen Regelungen erarbeitet.
Von Fabio Ghelli
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