„Dem Verfassungsschutz kommt in der deutschen Sicherheitsarchitektur die Aufgabe zu, Erkenntnisse zum politischen Extremismus, zu Terrorismus und Spionage weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu generieren sowie im Bereich des Geheim- und Sabotageschutzes mitzuwirken“, heißt es in der Einleitung des Verfassungsschutzberichts. Rund 2.800 Bedienstete stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dafür zur Verfügung, etwa 206 Millionen Euro kostet es die Steuerzahler. Der jährliche Bericht fasst die wesentlichen Entwicklungen zusammen, die auf den Erkenntnissen beruhen, die das Bundesamt und die Landesämter gewinnen.
Einige Ergebnisse des aktuellen Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2014:
Politisch motivierte Kriminalität (PMK): Der "Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität" erfasst Straftaten und ordnet sie in linksextremistisch, rechtsextremistisch oder „politisch motivierte Ausländerkriminalität“ ein (weitere Informationen). Demnach ist die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent gestiegen: 990 Übergriffe zählte das BfV hier. Zudem registrierte es 512 „fremdenfeindliche“ Gewalttaten – so viele wie noch nie, seit die Kategorie „PMK“ im Jahr 2001 eingeführt wurde. Die tatsächliche Zahl könnte noch höher liegen – vielfach wurde kritisiert, dass Straftaten nur in seltenen Fällen als „fremdenfeindlich“ oder rechtsextremistisch eingestuft werden, selbst wenn sie von Rechtsextremisten begangen werden.
Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten gegen Polizei und Sicherheitsbehörden kann dagegen als gesichert gelten: Hier zählten die Behörden 623 gewalttätige Übergriffe und weitere 367 gegen Rechtsextremisten. Bei der „politisch motivierten Ausländerkriminalität“ sei die Zahl der Straf- und Gewalttaten besonders stark gestiegen – vor allem durch Auseinandersetzungen „zwischen Islamisten und Kurden/Jesiden“ während einiger Demonstrationen in Deutschland, die (vermutlich) von PKK-Anhängern gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ veranstaltet wurden.
„Jeder zweite Rechtsextremist als gewaltorientiert einzuschätzen“
Rechtsextremismus: Das geschätzte „Personenpotenzial“ rechtsextremistischer Organisationen liege „leicht rückläufig“ bei 21.000 Menschen. Dies sei jedoch „kein Grund zur Entwarnung“, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. Die Militanz und das Gewaltniveau seien weiterhin sehr hoch. Die Erfassung wurde hier übrigens neu angesetzt, auf Seite 20 im Bericht heißt es dazu: Die bisherige Beschreibung mit dem Begriff „gewaltbereit“ sei zu eng gefasst. Um die Gefahrenlage besser einschätzen zu können, müssten auch Personen erfasst werden, „die andere zu extremistischen Gewalttaten anstiften und Beihilfe leisten“. Mit dem aktuellen Verfassungsschutzbericht werde daher erstmals die Zahl des „gewaltorientierten Personenpotenzials“ angegeben. Und diese ist erschreckend hoch: „Jeder zweite Rechtsextremist ist als gewaltorientiert einzuschätzen.“ (Siehe Seite 9 in der Kurzzusammenfassung.)
Im Fokus der Rechtsextremisten stehen besonders Flüchtlinge und ihre Unterkünfte – übrigens nicht nur in den neuen Bundesländern, wie es in den Debatten manchmal den Anschein hat. So nennt der Verfassungsschutz hier auch explizit die Partei „Der III. Weg“, eine der prägenden Neonazi-Organisationen in Bayern, deren „aktueller Schwerpunkt die Agitation gegen Asylbewerber“ sei. Die bundesweite Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist von 55 im Jahr 2013 auf 170 in 2014 gestiegen. In diesem Jahr dürfte die Zahl erneut steigen: Bis Ende Juni 2015 zählten die Sicherheitsbehörden bereits 150 Anschläge und Übergriffe. „Hier herrscht der Versuch, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu verbreiten“, erklärt Thomas de Maizière. „Das dürfen wir nicht hinnehmen, hier müssen wir klare Kante zeigen.“ Es dürfe kein stilles Einverständnis geben, „jeder dieser Angriffe ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat.“
Doch auch bei dieser Statistik gilt zu berücksichtigen, dass die Dunkelziffer vermutlich höher liegt: Werden Straftaten zum Beispiel von Anwohnern aus der Nachbarschaft verübt, die ihre Motivation nicht als „fremdenfeindlich“ kenntlich machen, werden sie hier nicht erfasst. Dies kann der Fall sein, wenn sie ihre Taten mit Ängsten und Sorgen erklären. Nichtregierungsorganisationen wie die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) kritisieren das. Die AAS führt eigene Statistiken und kommt auf höhere Anschlagszahlen für das vergangene Jahr.
Islamismus / islamistischer Terrorismus: Der Verfassungsschutz zählt mit 43.190 Personen einen „leichten Anstieg im islamistischen Personenpotenzial“ und spricht von einer „anhaltend hohen Gefährdungslage“. Zwar seien derzeit keine Strukturen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Deutschland bekannt, doch die Zahl der Anhänger „salafistischer Bestrebungen“ wachse und Europa sei nach wie vor ein Ziel für islamistischen Terrorismus.
Jürgen Miksch vom "Deutschen Islamforum" kritisiert die Darstellung der Gefahrenlage durch Islamisten im neuen Verfassungsschutzbericht. Er leitet das Dialogprojekt „Arbeitskreis Muslime und Verfassungsschutz“ und erklärt, dass die Zahl der „Islamisten“ in Deutschland eigentlich zurückgegangen sei. Die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG), die mit ihren 31.000 Mitgliedern den Großteil der beobachteten Islamisten ausmacht, werde in den Verfassungsschutzberichten einiger Bundesländer bereits nicht mehr aufgeführt.
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, erklärte bei der Pressekonferenz, die IGMG sei nach wie vor eine Organisation, die „wesentliche tragende Elemente der Verfassungsordnung nicht für sich anerkennt“. Allerdings stelle der Verfassungsschutz tatsächlich einen Wandel fest und es könne sein, dass in einem späteren Verfassungsschutzbericht Milli Görüş nicht mehr aufgeführt wird. Damit würde die Zahl der Islamisten um zwei Drittel sinken.
Von Ferda Ataman
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