Vor 15 Jahren wurde das Meldesystem der Polizei reformiert. Straftaten sollten damit einfacher registriert und verfolgt werden können – insbesondere solche, die aus einer Ideologie oder einem extremistischen Hintergrund heraus begangen werden. Dafür wurde die Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) eingeführt. Auch rechtsextremistische und "fremdenfeindliche" Delikte fallen darunter.
Doch hat die Reform wirklich zu einer Vereinfachung geführt? Mit dem PMK-System wurden viele verschiedene, sich teilweise überlappende Kategorien geschaffen, in die eine Straftat eingeordnet werden kann. Experten, Verbände und verschiedene Parteien kritisieren: Es sei zu kompliziert, schwer durchschaubar und insgesamt unzureichend, um rassistische Straftaten zu erfassen.
Wie geht die Polizei dabei vor? Die Straftaten werden zunächst von den Behörden vor Ort erfasst. Die Daten werden dann an die Landeskriminalämter und von diesen an das Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt. Dabei werden die Delikte verschiedenen "Phänomenbereichen" zugeordnet – je nachdem, ob sie politisch als "rechts", "links" oder durch einen anderen "extremistischen Hintergrund" motiviert eingestuft werden. Zudem gibt es die Kategorie "Ausländerkriminalität".
Als Unterkategorie der PMK wurde 2001 auch die sogenannte "Hasskriminalität" in das Meldesystem eingeführt. Der Begriff beschreibt Straftaten, bei denen ein Opfer in erster Linie wegen seiner Hautfarbe, Herkunft, Religion, Behinderung, sexuellen Orientierung oder seines sozialen Status' ausgesucht wurde. Auch wenn die Tat nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern gegen eine Einrichtung oder Sache verübt wird, erfolgt ihre Zuordnung zum Themenfeld „Hasskriminalität“, so die Bundesregierung.
Innerhalb der „Hasskriminalität“ wiederum wird zwischen "fremdenfeindlichen" und "antisemitischen Straftaten" unterschieden. Angriffe gegen Muslime und ihre Einrichtungen hingegen werden in der Kriminalitätsstatistik nicht systematisch als "islamfeindlich" erfasst. Verschiedene Parteien, Verbände sowie der NSU-Untersuchungsausschuss fordern, dies zu ändern.Quelle
Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen zu
Bei den von der Polizei registrierten rechtsextremistischen Straftaten handelt es sich häufig um "Propagandadelikte". Dazu gehört das Tragen von nationalsozialistischen Symbolen. Besonders schwerwiegende und gefährliche Delikte werden als Gewalttaten geführt, dazu zählen Tötungen und Körperverletzungen, aber auch Brandstiftungen oder Landfriedensbruch.
Für 2014 gibt es noch keine offiziellen Zahlen, die Analyse dauere noch an, wie das Bundesinnenministerium (BMI) dem MEDIENDIENST auf Nachfrage mitteilte. 2013 wurden dem BMI zufolge 3.248 "fremdenfeindliche Straftaten" registriert. Damit haben sich die Fallzahlen in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr um 11,2 Prozent erhöht. 97 Prozent dieser Straftaten wurden nach Angaben des BMI dem Bereich "Politisch motivierte Kriminialität rechts" zugeordnet. Auch die Zahl der "fremdenfeindlichen Gewalttaten" (478 Fälle, darunter drei versuchte Tötungsdelikte) hat 2013 im Vergleich zum Vorjahr mit einer Steigerung um 19,2 Prozent deutlich zugenommen.
Vergleicht man die vorläufigen Zahlen rechtsmotivierter, fremdenfeindlicher Straftaten von Januar 2015 mit denen aus dem Vorjahresmonat, zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Anstieg: Im Januar 2015 wurden der Bundesregierung zufolge 146 solcher Straftaten, davon 20 Gewalttaten, verübt. Ein Jahr später ist diese Zahl auf beachtliche 224 Straf- und 22 Gewalttaten angestiegen.
2013 wurden einer Sonderauswertung der PMK zufolge 58 Asylbewerberunterkünfte zum Ziel "fremdenfeindlicher Straftaten". 2014 ist im Vergleich zum Vorjahr ein drastischer Anstieg zu verzeichnen: Laut Bundesregierung wurden bereits rund 150 solcher Straftaten ermittelt.
Eine gemeinsame Dokumentation von Pro Asyl und der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) kommt auf deutlich höhere Zahlen: Für 2014 wurden insgesamt 221 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gezählt, darunter 35 Brandstiftungen. Zudem gab es 79 Übergriffe auf Flüchtlinge und mehr als 270 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen. Für das erste Quartal 2015 wurden bisher 25 Angriffe auf Unterkünfte von Asylbewerbern dokumentiert, davon 3 Brandanschläge.
Die unabhängigen Opferberatungsstellen in den neuen Bundesländern und Berlin veröffentlichen zudem Daten zu Gewaltdelikten, die von ihnen als rechts und rassistisch motiviert eingestuft werden. Auch hier ist ein Anstieg zu verzeichnen: Wurden für 2013 insgesamt 344 solcher Gewalttaten gezählt, stieg die Zahl 2014 auf 419 an. In der PMK wurden für 2013 – bezogen auf das gesamte Bundesgebiet – 478 rechts motivierte "fremdenfeindliche" Straftaten registriert.
Experten halten PMK-System für unzureichend
Im jüngsten Staatenbericht zum "Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung" (ICERD) dokumentiert die Bundesregierung, dass die Erfassung rassistischer Straftaten als unzureichend gilt. Auch nach Bekanntwerden des Ermittlungsversagens der Behörden bei der NSU-Mordserie würden immer wieder Fälle bekannt, bei denen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte rassistische Hintergründe nicht berücksichtigt haben. Wie vom NSU-Untersuchungsausschuss empfohlen, hat der Bundestag eine Änderung des Strafgesetzsbuches (§46 StGB) beschlossen. Demnach sollen "rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende" Beweggründe und Ziele künftig bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Das Gesetz muss jedoch noch den Bundesrat passieren.
Unklar bleibt zum einen, was der Unterschied zwischen "rassistischen" und "fremdenfeindlichen" Motiven ist. Vor allem aber bedarf es nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) einer Änderung der Dienstvorschriften sowie einer gezielten Aus- und Fortbildung der Beamten in Polizei und Justiz. Denn: "Ob der rassistische Hintergrund einer Straftat tatsächlich erkannt wird, liegt besonders im Verantwortungsbereich der Polizei. Sie wird zum Tatort gerufen, wenn es zu einer Straftat kommt. Daneben hat auch die Staatsanwaltschaft eine wichtige Rolle, da ihr die Leitung des Ermittlungsverfahrens obliegt", so das DIMR im kürzlich veröffentlichten Parallelbericht an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung.
Auch laut einem Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) liegen die Mängel in der Verfolgung von Hasskriminalität vor allem auf der Anwendungs- und weniger auf der Gesetzesebene. Die Empfehlungen: Die Erfassung von Straftaten aus dem Bereich "Hasskriminalität" sollte vereinheitlicht und vereinfacht, die Verwaltungsvorschriften für Polizei und Staatsanwaltschaft angepasst und die Aus- und Fortbildung der Beamten verbessert werden.Quelle
Von Rana Göroğlu und Jenny Lindner
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