MEDIENDIENST: Der Brand einer Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz hat das Thema Rassismus gegen Flüchtlinge ins Rampenlicht gerückt. Wie wirkt sich diese Debatte auf die Situation der betroffenen Flüchtlinge aus?
Timo Reinfrank: Die Debatte – zumindest so, wie sie derzeit geführt wird – hilft den Flüchtlingen nicht. Der Brandanschlag weckt Erinnerungen an die 90er Jahre, als Rechtsextreme mit ihren Gewalttaten Einfluss darauf nehmen konnten, wo Flüchtlinge untergebracht werden und wo nicht. Schaut man sich die Kommentare auf den Internetseiten heute an, merkt man: Viele Mitglieder der rechtsextremen Szene sehen den Brand in Tröglitz als Fortsetzung der damaligen Strategie, also eines Raumkampfs um mehr Einfluss. Wenn Politiker jetzt darüber diskutieren, ob man Asylbewerber in manchen Orten noch unterbringen kann, ist das für sie ein großer Erfolg. Eine weitere besorgniserregende Entwicklung ist, dass sich die Debatte ausschließlich um die Forderungen der Täter (also der Brandstifter) dreht und gar nicht um die Situation der Flüchtlinge.
Was bedeutet das für die Asylbewerber?
Timo Reinfrank: Ganz einfach: Die Perspektive der Betroffenen auf das Geschehen – ihre Erfahrungen, Ängste und Sorgen – wird völlig ignoriert. Nach der Bundestagswahl 2013 haben wir bemerkt, dass das Thema Asyl immer stärkere emotionale Züge annahm. Es ging oft darum, dass die lokale Bevölkerung wegen der steigenden Flüchtlingszahlen „besorgt“ oder „eingeschüchtert“ ist. Wie es dabei den Flüchtlingen ergeht, die aus Krisenregionen fliehen mussten und jetzt erneut Opfer von Gewalt zu werden drohen, wird in der Debatte nur selten berücksichtigt.
Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt befindet sich gerade in einer Zwickmühle: Wenn sie darauf besteht, dass die Asylsuchenden in Tröglitz untergebracht werden, liefert sie diese Menschen einer feindseligen Umgebung aus. Wenn sie sie woanders unterbringt, kapituliert sie de facto vor den Rassisten. Wie kommt man aus diesem Spagat raus?
TIMO REINFRANK ist Geschäfts-führer der Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Er berät NGOs, Politik und Verwaltung zu Rechts-extremismus und lebendiger Demokratie. Der Politikwissenschaftler engagiert sich als Vorsitzender des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e.V. und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD).
Timo Reinfrank: Zunächst durch einen Perspektivenwechsel. Anstatt sich zu fragen, wie man die lokale Bevölkerung besänftigen kann, sollte sich die Landesregierung fragen, was sie dafür tun kann, dass die Sicherheit der Asylsuchenden gewährleistet wird. Dann sollte man mit repressiven Mitteln gegen Rechtsextreme vorgehen. Der Burgenlandkreis, wo sich Tröglitz befindet, ist schon seit mehreren Jahren immer wieder wegen rechtsextremistischer Übergriffe und einer präsenten Naziszene in den Schlagzeilen. Darüber, wie sie jahrelang von Politikern ignoriert wurden, habe ich in den Medien wenig gelesen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass nicht nur Rechtsextreme Asylsuchende angreifen. Viele Flüchtlinge, mit denen wir gesprochen haben, berichten davon, dass sie beleidigt oder angespuckt wurden, und zwar von Menschen, die offenbar keiner politischen Organisation angehören.
Was also könnte man tun, um Asylsuchende in solchen Gegenden besser zu schützen?
Natalie Ofori: Wenn man die Betroffenen unterstützen will, muss man die Beratungsstellen für Opfer von rechtsextremer Gewalt stärken und ihnen ermöglichen, in engem Kontakt mit den Flüchtlingen zu arbeiten. Zudem muss die Politik dafür sorgen, dass geflüchtete Menschen nicht in die Isolation gedrängt werden. Es ist wichtig, dass Flüchtlinge in Einzelwohnungen und nicht in großen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Wenn eine Asylbewerber-Familie allerdings plötzlich in einer Wohnung am Rande eines Dorfes landet, in dem es eine angespannte Stimmung gegen Flüchtlinge gibt, besteht die Gefahr, dass die Familie sich immer mehr zurückzieht. Wir haben oft von Flüchtlingen gehört, die ihre Wohnung fast nie verlassen – aus Angst, auf der Straße angegriffen zu werden.
Ist rassistische Gewalt ein Phänomen, das sich auf bestimmte Regionen konzentriert?
Natalie Ofori: Nein. Wie wir in unserem Dossier über Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge verdeutlicht haben, gab es solche Vorfälle 2014 in fast allen Bundesländern. Allein in den ersten drei Monaten von 2015 gab es schon drei Brandanschläge, in Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt. Man kann allerdings sagen, dass die Übergriffe seltener in Regionen sind, in denen Vielfalt bereits zum Alltag gehört. Wir beobachten zudem eine hohe Konzentration an Gewalttaten und Anschlägen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das sind auch die Regionen, in denen sich in letzter Zeit eine Art „salonfähiger Rassismus“ entwickelt hat – zum Teil als Folge der Pegida-Bewegung.
Werden die Vorfälle in der Regel gemeldet?
NATALIE OFORI arbeitet als Koordinatorin für das Projekt "Aktion Schutzschild" bei der Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Die Aktion soll vor allem auf dem Land und in den neuen Bundesländern zivilgesellschaftliches Engagement für Flüchtlinge stärken. Die Kultur-wissenschaftlerin befasst sich mit Kritischer Rassismusforschung und rassistisch motivierter Gewalt gegen Schwarze Menschen.
Natalie Ofori: Nein. Für viele Flüchtlinge ist es schwierig, zur Polizei zu gehen, um einen Angriff zu melden. Viele Betroffene scheuen sich vor einem direkten Kontakt mit der Polizei. Es gibt wiederholte Berichte darüber, dass die Polizei die Anklagen von Asylsuchenden ignoriert und heruntergespielt hat. Deswegen werden Vorfälle meistens den Betreibern der Wohneinrichtungen gemeldet. Doch viele haben kein Interesse daran, dass die soziale Spannung um ihre Einrichtung wächst. Wir gehen davon aus, dass viele Übergriffe einfach vertuscht werden.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat im vergangenen Jahr eine Medientour durch Mecklenburg-Vorpommern organisiert, um die Aufmerksamkeit auf die Lebensbedingungen von Asylsuchenden vor Ort zu lenken. Wie hat sich dort die Lage entwickelt?
Timo Reinfrank: Leider nicht zum Guten. Viele Medien berichten derzeit über die Situation in Tröglitz. Dennoch gibt es Orte wie zum Beispiel Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern, wo mehrere bekannte Rechtsextremisten kürzlich eine Bürgerwehr „gegen Asylmissbrauch“ ins Leben rufen konnten, die düstere Erinnerungen weckt. Die Nachricht erreichte jedoch nur die lokalen Medien.
Interview: Fabio Ghelli
(Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt den MEDIENDIENST INTEGRATION finanziell.)
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