Die Route über das Mittelmeer nach Italien ist für Menschen, die aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa gelangen wollen, zum zentralen Korridor geworden. Doch in Italien erwarten die meisten Flüchtlinge katastrophale Lebensbedingungen, wie in den letzten Jahren mehrere Studien dokumentierten. Das führte dazu, dass einige deutsche Gerichte die Abschiebung von Flüchtlingen stoppten, die im Rahmen der Dublin-Verordnung eigentlich an Italien zurück überstellt werden müssen.
Die meisten Flüchtlinge ziehen nach wenigen Tagen von den Erstaufnahme-Einrichtungen (CPSA) in eines der neun Aufnahmezentren für Asylbewerber (CDA oder CARA), die in verschiedenen Regionen verteilt sind. In diesen Einrichtungen sollen die Flüchtlinge nur so lange bleiben bis ihr Asylantrag bearbeitet wird – das kann allerdings zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauern. Daraus entsteht eine beinahe chronische Überbelastung der Strukturen: Die maximale Kapazität der CARA/CDA beträgt etwa 9.000 Plätze. Im Moment sind dort nach Angaben des Innenministeriums mehr als 11.000 Menschen untergebracht. Rechnet man die Zahl der Menschen dazu, die in privaten und öffentlichen Gebäuden wie Turnhallen, Schulen oder Kirchen untergebracht sind, kommt man auf ungefähr 50.000 Flüchtlinge, erklärte Innenminister Angelino Alfano während einer Pressekonferenz im August. Das Ministerium will nun einige leerstehende Kasernen als Sammelunterkünfte umbauen.
Die bereits bestehenden Aufnahmezentren (CARA) werden von privaten Trägern betrieben, die wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge nehmen, wie ein Bericht der Tageszeitung La Repubblica kürzlich offen legte. Menschenrechtsorganisationen wie Borderline Sicilia und Rete Antirazzista haben die mangelhaften Zustände in den CARA dokumentiert: Baufällige Strukturen, wenig Hygiene, kaum Betreuung. Zudem sollen die Träger aus dem aktuellen Notstand ein lukratives Geschäft gemacht haben: Für jeden Flüchtling zahlt die Regierung zwischen 30 und 34 Euro pro Tag. Die Flüchtlinge erhalten ein Taschengeld von 2,50 Euro. Der Rest geht direkt an die Träger, die die Flüchtlinge als Einkommensquelle sehen.
Die Regierung baut das Aufnahmesystem aus
Italien gewährt einem überdurchschnittlichen Anteil der Asylbewerber Schutz. Mit 61 Prozent ist die Schutzquote im europäischen Vergleich hoch. Was passiert allerdings nachdem die Flüchtlinge einen Aufenthaltstitel erworben haben? Früher wurden sie sich einfach selbst überlassen. Denn nach italienischen Gesetzen haben Asylsuchende das Recht, sich frei im Land zu bewegen und eine Arbeit zu suchen. Viele wohnen in besetzten Gebäuden oder improvisierten Zeltlagern und erhalten die meiste Unterstützung von freiwilligen Helfern. Nur wenige kamen in einer der Einrichtungen des so genannten SPRAR-Netzwerks unter. Denn das „Schutzsystem für Asylbewerber und Flüchtlinge“ (SPRAR) verfügte bis vor zwei Jahren über gerade einmal 3.000 Plätze.
Unter starken internationalen Druck hat die italienische Regierung vor ungefähr zwei Jahren begonnen, das Aufnahmesystem auszubauen. Im Moment gibt es im Land etwa 450 staatlich finanzierte Projekte, die ungefähr 14.000 Flüchtlinge unterbringen, berichtet der italienische Flüchtlingsrat. Die Zahl der Plätze soll mit Unterstützung des Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) in den nächsten drei Jahren auf 20.000 erhöht werden. In den Einrichtungen sollen die Flüchtlinge Zugang zu medizinischer Versorgung, sozialer und rechtlicher Beratung und Italienisch-Kursen erhalten.
Im Juli 2014 hat die italienische Regierung übrigens in Zusammenarbeit mit dem Kommunen-Verband ANCI einen Nationalplan für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge verabschiedet. Der Plan hat das Ziel, das Erstaufnahme-System auszubauen und die Bearbeitungszeit der Asylanträge deutlich zu verringern. Außerdem soll für besonders intensive Flüchtlingsbewegungen ein regionaler Verteilungsschlüssel nach dem Muster des deutschen Königsteiner Schlüssel eingeführt werden. Für den Ausbau des Aufnahme- und Schutzsystems für Flüchtlinge hat die Regierung 370 Millionen Euro bereitgestellt, 70 Prozent davon allein für die Verpflegung von unbegleiteten Minderjährigen.
Zum Informationspapier "Mittelmeer-Flüchtlinge: Woher kommen sie? Wo wollen sie hin?" gelangen Sie hier.
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