Das Bundesinnenministerium hat die Bilanz für die Aslyanträge im ersten Halbjahr bekannt gegeben: Demnach wurden in den ersten sechs Monaten rund 179.000 Asylanträge gestellt, das sind etwa 2,3 Mal so viele wie im selben Zeitraum 2014. Üblicherweise steigen die Asylanträge in der zweiten Jahreshäfte, weil wetterbedingt mehr Menschen über das Mittelmeer nach Europa gelangen. Deswegen ist anzunehmen, dass sich die bisherige Zahl bis Ende des Jahres mehr als verdoppelt. Somit könnten die Jahres-Prognose des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit 450.000 Anträgen tatsächlich erreicht werden. Das wären mehr, als Anfang der 90er Jahre.
Der Anstieg lässt sich auch in einigen anderen Ländern der EU erkennen: Obwohl derzeit aus einigen Mitgliedstaaten noch keine vollständigen Statistiken vorliegen, zeigen die aktuellen Angaben des Statistikamts der Europäischen Union, dass die Zahl der Asylanträge im EU-Raum in der ersten Hälfte von 2015 wahrscheinlich bei etwa 360.000 liegen wird. Damit wäre jeder zweite Asylantrag in der EU in Deutschland gestellt.
Es ist schwierig, genau vorherzusehen, ob sich der aktuelle Trend fortsetzen wird. Die Zahlen werden beispielsweise stark beeinflusst von unregelmäßigen Wanderungsbewegungen aus den Westbalkan-Ländern. Vor allem aus dem Kosovo kamen in den ersten vier Monaten 2015 mehr als 25.000 Asylsuchende nach Deutschland (Erstanträge), mehr als 18 Mal so viele wie im selben Zeitraum des Vorjahrs. So plötzlich wie sie gestiegen ist, ist die Zahl der Antragsteller aus dem Kosovo jedoch ab April wieder gesunken.
Auch die Zahl der Asylanträge von serbischen Bürgern ging leicht zurück. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sprach BAMF-Präsident Manfred Schmidt dabei von einer Folge des neuen Gesetzes zu den "sicheren Herkunftsstaaten": Seit November 2014 gelten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sicher. So werden alle Anträge aus diesen Staaten als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Bei Antragstellern aus Mazedonien und Bosnien-Herzegowina haben sich die Zahlen allerdings kaum geändert.
Rund 45 Prozent aller Asylanträge wurden von Menschen gestellt, die aus dem Westbalkan kommen. Ein besonders starker Anstieg ließ sich bei den Antragszahlen aus Albanien beobachten: Diese sind von rund 1.500 im Januar auf knapp 6.000 im Juni gestiegen. Albanien gilt zusammen mit dem Kosovo und Montenegro als Kandidat für eine zusätzliche Erweiterung der Liste der „sicheren“ Herkunftsstaaten.
Die Zahl der syrischen Flüchtlinge hat sich verdreifacht
Das Hauptherkunftsland für Asylbewerber bleibt jedoch Syrien: Rund 34.500 syrische Staatsbürger stellten in der ersten Hälfte des Jahres einen Asylantrag in Deutschland, das sind fast drei Mal so viel wie im Vorjahr.
Die Zahl der Asylanträge könnte in den nächsten Monaten jedoch weniger steigen, als angenommen. Ein Grund dafür sind die verstärkten Grenzschutz-Maßnahmen im Mittelmeer. Außerdem stellen immer weniger Menschen einen zweiten Asylantrag: Die Folgeanträge sind seit Anfang des Jahres von 3.300 auf rund 2.700 im Monat gefallen. Dies geschah noch bevor das neue Gesetz zum Bleiberecht verabschiedet wurde, welches vermeiden soll, dass Asylbewerber mehr als einen Folgeantrag stellen.
Mehr als ein Drittel aller Antragsteller (34,7 Prozent) haben dem BAMF zufolge einen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention erhalten. Das heißt jedoch nicht, dass die restlichen zwei Drittel abgelehnt wurden: Bei einem Viertel wurde eine sogenannte „formelle Entscheidung“ gefällt, entweder weil der Antrag zurückgenommen wurde oder – was am häufigsten vorkommt – weil nach der Dublin-Verordnung ein anderes EU-Land für den Antragsteller zuständig ist. Abgelehnt wurden lediglich rund 37 Prozent aller Antragsteller. Die "bereinigte" Schutzquote liegt somit bei 47 Prozent.
Über einen großen Teil der Asylanträge konnte das BAMF jedoch noch nicht entscheiden. Obwohl das zuständige Bundesamt in den letzten zwei Jahren 650 neue Stellen erhielt und obwohl ein Teil der Asylanträge derzeit im Eilverfahren bearbeitet wird, wächst der Bearbeitungsstau konstant: Lag die Zahl der unbearbeiteten Anträge im Januar bei rund 180.000 hat sie inzwischen fast 238.000 erreicht. Deshalb soll das BAMF in diesem Jahr 1.000 weitere Stellen erhalten.
Von Fabio Ghelli
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