Was macht einen Staat „sicher"? Und warum sollte ein Mensch, der aus Senegal flieht, weniger in Gefahr sein als jemand, der aus Japan kommt? Die deutsche und europäische Gesetzgebung zu Asyl bezieht sich hier auf eine allgemeine Definition von „Sicherheit":
So ist ein Herkunftsland laut EU-Asylverfahrensrichtlinie dann "sicher", wenn dort "keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung" stattfindet. Mit der Ausnahme von Italien und Schweden nutzen alle europäischen Staaten die Möglichkeit, einige Länder gesetzlich als "sichere Herkunftsstaaten" zu verankern.
Nach dem deutschen Grundgesetz sind Staaten sicher, „bei denen [...] gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet." Es genügt also, dass die Länder sicher zu sein scheinen, um als sicher eingestuft zu werden. Das Asylverfahrensgesetz besagt, dass der Antrag eines Asylbewerbers aus einem entsprechend eingestuften Staat als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden kann – es sei denn, der Bewerber kann beweisen, dass ihm im Herkunftsland politische Verfolgung droht.
Eine sich ständig ändernde Liste
Der Begriff "sichere Herkunftsstaaten" entstand im Zuge der Asyldebatte in den frühen 90er Jahren. Der Gesetzgeber stand damals vor der Frage: Welche Länder sollten als sicher eingestuft werden? 1993 erklärte die Bundesregierung dazu: „Es sollten nur Länder in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden, bei denen es nach allen Abwägungen zweifelsfrei sei, dass dort die Menschenrechte beachtet und die vorausgesetzten Kriterien eingehalten würden.“
Nach einem langen Tauziehen, bei dem es vor allem darum ging, ob auch die Türkei in die Liste der sicheren Staaten soll, einigte sich die damals regierende CDU und schlug schließlich zehn "sichere Herkunftsstaaten" vor: Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumänien, Senegal, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Indien. Diese Liste, betonte der Innenausschuss, basierte auf Empfehlungen des Ausschusses für „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“ des Auswärtigen Amtes.
Indien wurde noch vor der Bundestagsdebatte aus der Liste genommen und 1993 beschlossen Bundestag und Bundesrat, die neun übrigen Länder als "sichere Herkunftsstaaten" zu definieren. Im Laufe der Zeit wurde die Liste wieder kürzer. 1995 wurden Gambia und Senegal gestrichen. Ein Jahr später wurde Senegal trotz vehementer Kritik von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wieder aufgenommen. Heute führt Deutschland nur noch zwei Staaten als sichere Herkunftsländer: Senegal und Ghana. Der Grund: 2004 traten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn der Euopäischen Union bei und wurden Teil des gemeinsamen Asylsystems. 2008 folgten auch Rumänien und Bulgarien.
Warum 1993 ausgerechnet jene neun Staaten ausgewählt wurden, geht aus dem Gesetzestext nicht hervor. In der Begründung heißt es lediglich: „Ziel der Reform [muss sein], den wirklich politisch Verfolgten weiterhin Zuflucht zu gewähren, aber die Personengruppen von einem aufwendigen Asylverfahren auszuschließen, die des Schutzes der Bundesrepublik Deutschland deswegen nicht bedürften, weil sie überhaupt nicht oder nicht mehr aktuell gefährdet seien.“ Damit waren vor allem Asylbewerber aus Osteuropa gemeint, deren Zahl zur Zeit der Debatte bei rund 280.000 lag. Die Anzahl der Antragsteller aus den afrikanischen Staaten, die auch in die Liste aufgenommen wurden, war deutlich geringer: Aus Afrika kamen 1993 insgesamt 37.000 Flüchtlinge.Quelle
Die Formulierung im aktuellen Gesetzentwurf zu "sichere Herkunftsstaaten", die zunächst vom Bundestag und nun auch vom Bundesrat angenommen wurden, lauten ähnlich wie damals: „Durch die zahlreichen, zumeist aus nicht asylrelevanten Motiven gestellten Asylanträge werden Bund, Länder und Kommunen mit erheblichen Kosten für die Durchführung der Verfahren und für die Versorgung der sich in Deutschland aufhaltenden Asylsuchenden belastet.“ Der Gesetzgeber vermengt demnach zwei Themenbereiche: Die Gefährdung der Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland und die Belastung, die diese für die deutschen Staatskassen darstellen.
Von Fabio Ghelli und Ricarda Wiese
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