Mehrsprachigkeit
Mehrsprachigkeit gehört zur Realität vieler Menschen in Deutschland. Immer mehr Kinder und Jugendliche wachsen mehrsprachig auf. Einige Bundesländer haben Mehrsprachigkeitskonzepte entwickelt, die meisten bieten herkunftssprachlichen Unterricht an. Doch das Bildungssystem sei noch nicht ausreichend auf Mehrsprachigkeit eingestellt, so Expert*innen. Eine Übersicht zum Thema Mehrsprachigkeit in Deutschland, darunter auch Informationen zu den Integrationskursen.
Wie viele Menschen in Deutschland sind mehrsprachig?
Wie viele Personen in Deutschland genau mehrsprachig leben, wird statistisch nicht erfasst. Seit 2017 erhebt das Statistische Bundesamt im Mikrozensus, welche Sprache Menschen überwiegend in ihrer Familie sprechen und ob sie Deutsch verwenden. Die Zahlen geben keine Auskunft darüber, wie viele Sprachen sie sprechen. Wenn Familien etwa angeben, dass sie überwiegend Polnisch sprechen, heißt das nicht, dass sie nicht auch weitere Sprachen zu Hause verwenden. Eine Befragung zeigte, dass Mitglieder des selben Haushalts unterschiedliche Sprachen als Hauptsprache angeben.Quelle
Laut Schätzungen des Mikrozensus sprachen 2022 in 84 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zu Hause nur oder überwiegend Deutsch. Bei Personen mit Migrationshintergrund sprechen rund 45 Prozent zu Hause nur oder überwiegend Deutsch, bei Personen mit Einwanderungsgeschichte – also die selbst oder deren Eltern beide zugewandert sind – ist das bei rund 38 Prozent der Fall. Weitere 40 Prozent sprechen Deutsch und eine weitere Sprache, häufig sind Russisch, Türkisch, Polnisch, Rumänisch, Arabisch und Englisch.Quelle
2018 führte das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine repräsentative Spracherhebung durch. Die ergab:
- Rund 88 Prozent der Befragten nennen Deutsch als ihre Muttersprache.
- Unter den anderen Sprachen waren die häufigsten Muttersprachen: Russisch (17 Prozent), Türkisch (16 Prozent), Polnisch (13 Prozent), Italienisch (9 Prozent), Englisch (7 Prozent), Spanisch (5 Prozent) und Griechisch (4 Prozent).
- In einer Teilstichprobe gab rund ein Fünftel der Befragten an, in ihrem Haushalt mehr als eine Sprache zu sprechen. Bei fast allen von ihnen war eine der im Haushalt gesprochenen Sprachen Deutsch
- Rund 38 Prozent geben an, eine weitere Sprache neben ihren Muttersprachen zu sprechen, rund 29 Prozent geben an, zwei weitere Sprachen zu sprechen, rund 16 Prozent sprechen keine weitere Sprache. Am häufigsten werden Englisch, Französisch und Russisch genannt.Quelle
Der Mikrozensus erscheint einmal jährlich mit Zahlen für das Vorjahr.
Wie viele Kinder sind mehrsprachig?
Auch zu Kindern und Jugendlichen gibt es überwiegend Zahlen zur Frage, welche Sprachen sie überwiegend in ihrer Familie sprechen:
- Unter Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren sprachen 2022 rund 21 Prozent in der Familie vorrangig eine andere Sprache als Deutsch. Das zeigt die Kinder- und Jugendhilfestatistik. In den westlichen Bundesländern ist der Anteil deutlich höher als in den ostdeutschen und in Städten ist er höher als in ländlichen Gemeinden.Quelle
- Auf ähnliche Werte kommt die internationale Grundschulvergleichsstudie IGLU 2017. Der Anteil der befragten Viertklässler*innen, die zu Hause immer oder fast immer Deutsch sprechen, lag bei 83,4 Prozent.Quelle
- Eine Auswertung des SOEP vom Institut der Deutschen Wirtschaft zeigt für 2019: Rund 77 Prozent der Kinder unter 16 Jahren sprechen in der Familie vor allem Deutsch, 14 Prozent eine andere Sprache, 9 Prozent mehrere Sprachen. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es 38 Prozent, die vorrangig Deutsch zu Hause sprechen, rund 39 Prozent sprechen vorrangig eine andere Sprache, 23 Prozent mehrere Sprachen – wobei nicht klar ist, welche Sprachen darunter fallen.Quelle
- Eine Annäherung für Großstädte gibt eine Befragung 2016 für Hamburg unter Eltern mit ausländischer oder doppelter Staatsbürgerschaft. 64 Prozent der befragten Eltern gaben an, dass in den Familien (auch) Deutsch gesprochen wurde. Über die Hälfte der Familien gab an, zwei oder mehr Sprachen zu sprechen.Quelle
- Einzelne Bundesländer erheben für die Schulstatistik, wie viele Schüler*innen "nichtdeutscher Herkunftssprache" sind. So etwa Berlin: Dort sind es rund 42 Prozent der Schüler*innen. Darunter sind aber auch Schüler*innen, die (auch) Deutsch zu Hause sprechen. Bei wie vielen das der Fall ist, erfasst die Statistik nicht. In Sachsen waren es 2022/2023 an allgemeinbildenden Schulen 13,6 Prozent.Quelle
- Detaillierte Erhebungen für Mehrsprachigkeit an Schulen, die aber etwas älter sind, gibt es für einzelne Städte: So etwa für Hamburg (2003), Essen (2003) und Freiburg (2010).Quelle
Mehrsprachigkeitskonzepte
Einige Bundesländer haben in den vergangenen Jahren "Mehrsprachigkeitskonzepte" oder "Sprachenkonzepte" entwickelt. So arbeitet Brandenburg an einem Mehrsprachigkeitskonzept, das etwa die Verwendung von Polnisch oder Niedersorbisch in Kitas und Schulen stärken soll. Weitere Beispiele sind Bremen und das Saarland und Berlin. In Österreich gibt es seit 2011 ein Curriculum Mehrsprachigkeit für den Einsatz an Schulen.
Sprachförderung vor und in der Schule
Frühkindliche Sprachförderung
Rund ein Jahr der vor Einschulung wird in 14 Bundesländern – mit Ausnahmen von Thüringen und Sachsen-Anhalt – bei Kindern eine sogenannte Sprachstandserhebung durchgeführt. Dort wird festgestellt, wie ihre Deutschkenntnisse sind. Falls nötig, erhalten sie eine Deutschförderung. Für die Erhebungen gibt es viele unterschiedliche Verfahren, auch die Förderung sieht unterschiedlich aus.
In manchen Bundesländern werden alle Kinder getestet, in manchen nur bestimmte Gruppen, etwa Kinder nichtdeutscher Herkunft. In Bundesländern, in denen alle Kinder getestet werden, lag der Anteil der Kinder mit Förderbedarf 2018 zwischen 15 Prozent in Brandenburg und 41 Prozent in Bremen. Der Förderbedarf ist besonders abhängig vom Bildungsstand der Eltern und der in der Familie gesprochenen Sprache. Haben die Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss oder wird in der Familie vorrangig eine andere Sprache als Deutsch gesprochen, müssen rund 39 Prozent der Kinder gefördert werden, so der Bildungsbericht 2016.Quelle
Zur Frage, wie die Förderung wirkt, fehlt es bisher an Forschung. Es gibt immer wieder Forderungen, die Tests und die Förderung zu vereinheitlichen und sie bundesweit durchzuführen. Zudem fordern Expert*innen, dass die Erhebungen auch die Kenntnisse in Herkunftssprachen erfassen soll – teilweise ist das schon der Fall – um ein umfassendes Bild von der Sprachkompetenz der Kinder zu erhalten. So könnten sie besser gefördert werden.Quelle
Deutschförderung für Neuzugewanderte in der Schule
Neuzugewanderte Schüler*innen brauchen eine besondere sprachlichen Förderung, um Anschluss an die Regelklasse zu bekommen. Wie diese Förderung aussieht, unterscheidet sich stark von Bundesland zu Bundesland, und vom Alter der Neuzugewanderten. Teilweise lernen sie zunächst ganz getrennt von den Mitschüler*innen, teilweise ist nur der Deutschunterricht separat. Hier eine Übersicht von 2015.Quelle
In einer Expertise für den MEDIENDIENST schreiben die Bildungswissenschaftlerinnen Juliane Karakayali und Birgit zur Nieden zu Berliner "Willkommensklassen": Die separierte Beschulung produziert eine Reihe von organisatorischen Problemen – etwa durch eine hohe Fluktuation in den Klassen. Die Forscherinnen empfehlen, geflüchtete Kinder möglichst schnell in Regelklassen zu integrieren und separaten Deutschunterricht anzubieten.
Der Bildungsbericht erscheint alle zwei Jahre, zuletzt 2020.
Wie gehen Schulen mit Mehrsprachigkeit um?
Die Kultusministerkonferenz erkennt Mehrsprachigkeit als Ressource an, die gefördert werden soll. Einsprachigkeit gilt in Schulen aber oft noch als Normalfall, kritisieren Expert*innen. Das Schulsystem müsse sich besser auf Mehrsprachigkeit einstellen.Quelle
Forderungen sind unter anderem:
- Der Umgang mit Mehrsprachigkeit müsse zum einen in der Ausbildung der Lehrkräfte gefördert werden. Unter anderem müssten angehende Lehrer*innen die Möglichkeit haben, Sprachkenntnisse sowie Didaktik in mehr Sprachen vertiefen zu können – diese Möglichkeit gibt es für viele Herkunftssprachen nicht. Lehrer*innen müssten besser darin ausgebildet werden, andere Sprachen in den Unterricht einzubeziehen.
- Zum anderen müsste sich der Umgang mit Mehrsprachigkeit an Schulen ändern. Oft können Schüler*innen ihre Herkunftssprachen nicht zum Lösen von Aufgaben im Unterricht nutzen, zum Beispiel bei Recherchen für Referate. Unter anderem der Einsatz von digitalen Mitteln könnte hier helfen.
- Herkunftssprachen sollten besser gefördert und anerkannt werden: Der Unterricht in Herkunftssprachen ist oft nur freiwillig und Prüfungen können nicht in den Sprachen abgelegt werden. Als Abschlussfächer können meist nur europäische Fremdsprachen belegt werden. Quelle
Studien zeigen, dass es für mehrsprachige Kinder von Vorteil ist, wenn sie ihre Familiensprachen in der Schule verwenden können. Steht es Schüler*innen zum Beispiel frei, in ihrer "starken" Sprache zu recherchieren, können sie sich Inhalte besser erschließen, durchdenken und festhalten. Das kann das Lernen vereinfachen und zu einer höheren Motivation unter Schüler*innen führen. Darüber hinaus prägen sie auch das Gefühl von Anerkennung und Zugehörigkeit von Schüler*innen – etwa wenn sie besser am Unterricht teilhaben können und die Kenntnisse auch als Sprachkenntnisse, etwa im Zeugnis anerkannt werden.Quelle
Es gibt zahlreiche Projekte, die zum Ziel haben, Mehrsprachigkeit besser in den Unterricht einzubinden, wie B i SS – Bildung durch Sprache und Schrift, MIKS – Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld interkultureller Schulentwicklung oder Rucksack Schule.
Eine Übersicht über Modelle und Ansätze, wie Mehrsprachigkeit an Schulen verwendet und im Unterricht eingesetzt werden kann, hat das "Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache" in einem Faktencheck 2022 zusammengefasst.
In einer Expertise für den MEDIENDIENST haben Forscher*innen der Universität Bremen 2020 vorgestellt, wie Schulen in Kanada, den USA und Schweden mit Vielfalt und Mehrsprachigkeit umgehen. Ihr Fazit: In Deutschland könnte einiges anders laufen.
Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg
Mithin wird angenommen, dass Mehrsprachigkeit Kinder daran hindere, Deutsch zu lernen. Studien zeigen: Mehrsprachigkeit überfordert die Kinder nicht. Sie kann beim Erlernen anderer Sprachen helfen sowie die kognitive Leistungsfähigkeit (z.B. Erinnern) und die Aufmerksamkeit der Kinder fördern. Sie stellen sich auf das mehrsprachige Umfeld ein und sind mental flexibler. Das hilft etwa bei Aufgaben, die erhöhte Aufmerksamkeit erfordern.Quelle
Mehrsprachigkeit führt aber nicht automatisch zu Bildungserfolgen. Eine große Rolle spielt im deutschen Bildungssystem, wie sehr die Eltern ihre Kinder in der Schule unterstützen können. Das zeigen unter anderem Ergebnisse der Sprachstandserhebung. Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben, mussten öfter Sprachförderung in Anspruch nehmen als Kinder, deren Eltern einen höheren Bildungsabschluss haben. Eine Auswertung des SOEP vom Institut der Deutschen Wirtschaft zeigt, dass Kinder seltener ein Gymnasium besuchen, wenn beide Eltern keine oder wenige Deutschkenntnisse haben. Geringe Deutschkenntnisse fallen häufig mit einem niedrigen Bildungsstand zusammen.Quelle
Herkunftssprachlicher Unterricht
Im Schuljahr 2021/2022 gab es in vierzehn Bundesländern sogenannten herkunftssprachlichen Unterricht. Das geht aus einer Recherche des MEDIENDIENSTES hervor. Im herkunftssprachlichen Unterricht können Schüler*innen ihre Familiensprache lernen oder vertiefen. Er wird entweder von den Bundesländern oder den jeweiligen Konsulaten angeboten.
- Zwölf Bundesländer haben im Schuljahr 2021/2022 eigenen herkunftssprachlichen Unterricht angeboten. Nordrhein-Westfalen hat das breiteste Angebot mit Unterricht in 28 Sprachen, danach folgen Rheinland-Pfalz und Sachsen mit je achtzehn Sprachen.
- In neun Bundesländern organisieren Konsulate Unterricht an öffentlichen Schulen. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es nur Konsulatsunterricht und kein staatliches Angebot.
- In Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es keine Form von herkunftssprachlichem Unterricht.
Einige Bundesländer bauen ihr Angebot an staatlichem herkunftssprachlichem Unterricht aus. Ein Grund dafür ist die Kritik, insbesondere am türkischen Konsulatsunterricht, ideologischen Einfluss auf die Schülerinnen und Schüler zu nehmen. So hat etwa das Saarland den Konsulatsunterricht 2019 an öffentlichen Schulen abgeschafft.Quelle
Ein Großteil des herkunftssprachlichen Unterrichts findet an Grundschulen statt. An weiterführenden Schulen gibt es weniger Angebote – und meist nur als Wahlfach. Einige Bundesländer, darunter NRW, Rheinland-Pfalz und Berlin, verfolgen das Ziel, die Herkunftssprachen vermehrt als Fremdsprache und nicht mehr als Wahlfach anzubieten – gleichberechtigt zu Englisch oder Spanisch. Fachleute begrüßen die Entwicklung: Wenn die Sprachkenntnisse offiziell im Abschlusszeugnis stehen, bedeute das eine Anerkennung der Herkunftssprachen. Ein Problem sei aktuell, dass die Lehrkräfte für Herkunftssprachen fehlen, sie werden bisher in Deutschland kaum ausgebildet.
Eine Umfrage unter Eltern mit Migrationshintergrund in Hamburg 2016 zeigt: Eine große Mehrheit der Eltern findet herkunftssprachlichen Unterricht wichtig, die meisten geben aber an, dass ihre Kinder solchen Unterricht nicht besuchen. Der wichtigste Grund dafür sind fehlende Angebote an den Schulen.Quelle
Konsulatsunterricht geht auf einen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1964 und eine Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zurück. Dahinter stand die Überlegung, Kinder auf die Rückkehr in das Heimatland ihrer Eltern vorzubereiten. Der Konsulatsunterricht hat sich seitdem kaum verändert: Der Unterricht wird von den Konsulaten oder Botschaften organisiert und finanziert. Neben der Sprache werden auch Inhalte zu Land und Kultur vermittelt. Für den Unterricht nutzen die Konsulate Räumlichkeiten von Schulen, ein Großteil des herkunftssprachlichen Unterrichts wird an Grundschulen durchgeführt. In manchen Bundesländern beteiligen sich die Ministerien oder Schulaufsichtsbehörden an den Lehrplänen und kontrollieren den Unterricht, andere Bundesländer überlassen den Unterricht vollständig den Konsulaten.Quelle
Deutschpflicht auf dem Schulhof
Immer wieder gibt es Berichte über Schulen, die ihren Schüler*innen untersagen, andere Sprachen als Deutsch zu sprechen.Quelle
Grundlage für die Deutschpflicht sind Regeln, die Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern einzelner Schulen freiwillig vereinbart haben. Es gibt keine gesetzlichen Verbote. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage sagte das Kultusministerium Baden-Württemberg 2017, dass es ein Verbot anderer Sprachen außerhalb des Unterrichts für verfassungswidrig und für einen Eingriff in die Grundrechte der Schüler*innen halte. Sie müssten frei entscheiden können, auf welcher Sprache sie sich unterhalten. Ein Verbot aus dem Juli 2020 stufte das Verwaltungsgericht Freiburg im Oktober 2022 als eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und somit als rechtswidrig ein. Eine Grundschülerin musste eine Strafarbeit schreiben, da sie auf dem Schulhof Türkisch gesprochen hatte.Quelle
Fachleute weisen darauf hin, dass Schulen mit den Verboten nicht anerkennen, dass viele Kinder mehrsprachig sind. Wenn Kinder eine andere Sprache sprechen, heißt es nicht, dass sie das daran hindere Deutsch zu lernen. Verbote würden die Sprachen und ihre Sprecher*innen abwerten und können die Lernmotivation der Kinder schwächen. Es sei wichtiger, die Sprachen zu fördern als sie zu verbieten. Zudem würden die Verbote nur bei manchen Sprachen greifen – etwa Türkisch. Verbote von Englisch gebe es hingegen nicht.Quelle
Exkurs: Deutschpflicht in Arbeitspausen
2019 bezog die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Stellung zu einem Fall, in dem ein Unternehmen den Angestellten verboten hatte, Türkisch in der Pause zu sprechen. Das Fazit: Sprachverbote in Pausenräumen stellt eine Diskriminierung dar. Die Pause diene der der Erholung und es gebe keine berechtigtes Interesse des/der Arbeitgeber*in, dass nur Deutsch gesprochen werde.Quelle
Was sind Integrationskurse?
Integrationskurse sind Kurse, die Deutschkenntnisse und Informationen zum deutschen Rechtssystem sowie zur Geschichte vermitteln sollen. Sie wurden 2005 eingeführt und bestehen aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs:
- Der Sprachkurs soll Kenntnisse bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) für Sprachen vermitteln. Der Kurs umfasst in der Regel 600 Unterrichtseinheiten und schließt mit dem "Deutsch-Test für Zuwanderer" (DTZ) ab.
- Der Orientierungskurs behandelt die Themen Rechtsordnung, Geschichte und Kultur. Er umfasst 100 Unterrichtseinheiten und schließt mit dem Test "Leben in Deutschland" ab.
Manche Integrationskurse sind auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet. Unter anderem gibt es Alphabetisierungskurse und Kurse für Frauen.Quelle
Wer darf an Integrationskursen teilnehmen?
Berechtigt zur Teilnahme sind ausländische Staatsbürger*innen, die auf Dauer oder schon länger in Deutschland leben – etwa anerkannte Geflüchtete – Menschen aus EU-Staaten und Spätaussiedler*innen. Asylbewerber*innen (unabhängig von ihrer Bleibeperspektive), Personen mit einer Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3, sowie Personen im Chancen-Aufenthalt haben zwar keinen Anspruch auf die Kurse, können aber teilnehmen falls Kurzplätze verfügbar sind. Nach Auskunft des BAMF an den MEDIENDIENST waren 2023 immer Plätze verfügbar, kein Antrag wurde abgelehnt. Gleiches gilt für deutsche Staatsbürger*innen, die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Personen können auch zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet werden.Quelle
Wie viele Personen an den Kursen teilnehmen und wie viele sie abschließen, finden Sie hier.
Wie viele Personen nehmen an Integrationskursen teil?
Wie Integrationskurse aufgebaut sind und wer zur Teilnahme berechtigt ist, finden Sie hier.
Wie viele Personen nehmen an Integrationskursen teil?
In den letzten zwei Jahren haben deutlich mehr Menschen einen Integrationskurs begonnen als in den Jahren zuvor, 2023 waren es rund 363.000. Das liegt zum einen an niedrigeren Teilnahmezahlen während der Corona-Pandemie sowie daran, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine einen Kurs begonnen haben. Insgesamt wurden 2022 rund 575.000 Berechtigungen oder Verpflichtungen zur Teilnahme an den Kursen ausgestellt, etwa 9 Prozent weniger als im Vorjahr.Quelle
Woher kommen die Teilnehmenden?
2023 kam rund die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus der Ukraine. Rund 10 Prozent waren Syrer*innen. Rund 8 Prozent kamen aus Afghanistan, rund 4 Prozent aus der Türkei. Die Zusammensetzung der Kurse hat sich in den letzten Jahren stark verändert: 2014 kam knapp die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus EU-Staaten.Quelle
Wie viele legen den "Deutsch-Test für Zuwanderer" ab?
2023 haben rund 294.372 Personen einen "Deutsch-Test für Zuwanderer" abgelegt – mehr als doppelt so viele wie 2022. Rund 56 Prozent erreichten dabei das Niveau B1 ("ausreichende Deutschkenntnisse") des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER), 33 Prozent das Niveau A2 ("hinreichende Deutschkenntnisse"), 11,2 Prozent lagen darunter. Quelle
Fachleute kritisieren, dass sich die Integrationskurse nicht ausreichend an die unterschiedlichen Bedürfnisse der neuen Kursteilnehmenden angepasst hätten. Unter anderem seien die Lerngruppen zu groß. Personen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenem Bildungsstand lernen in den Kursen zusammen. In den vergangenen Jahren sind die Kurse noch heterogener geworden, darunter leide die Qualität – manche Teilnehmer*innen sind in den Kursen unter-, andere überfordert. Gerade Geflüchtete lernen unter schweren Bedingungen, u.a. fern von ihrer Familie in Gemeinschaftsunterkünften.
Forscher*innen des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache und des Goethe-Instituts sagen in einer Studie: Das Ziel der Integrationskurse sei mit B1 zu hoch gesteckt. A2 würde sich besser als Kursziel eignen.Quelle
Gerade bei den Alphabetisierungskursen gebe es viele Herausforderungen: Die Ausrichtung der Kurse an den Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens berücksichtige nicht, dass Personen erst eine Schrift erlernen müssen. Der Rahmen soll deshalb erweitert werden. Zudem werden andere Sprach- und Schriftkenntnisse der Teilnehmenden kaum im Unterricht einbezogen.Quelle
Das BAMF veröffentlicht einmal im Jahr die Integrationskursgeschäftsstatistik. Vorläufige Zahlen gibt es in der Statistik für das erste Halbjahr.
Mehrsprachigkeit im Beruf
Neben Fremdsprachen bringen viele Erwachsene ihre Herkunftssprachen im Beruf ein. Personen mit Migrationshintergrund brauchen im Beruf deutlich häufiger nichtdeutsche Sprachkenntnisse als Personen ohne Migrationshintergrund, so eine Studie 2012.Quelle
Gerade im sozialen und medizinischen Bereich sind Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund häufig sprachliche Mittler*innen in Gesprächen mit Patient*innen, Eltern oder Kindern. Eine Studie ergab 2008, dass in einem Viertel der befragten Kitas Angestellte regelmäßig als Dolmetscher*innen tätig sind. Auch in gewerblichen Berufen mit Kund*innenkontakt, etwa in Banken oder Behörden, übersetzen oft Angestellte mit Migrationshintergrund.Quelle
Für die Studie wurden zudem Unternehmen mit Geschäftskontakten in die Türkei und nach Russland befragt. Das Ergebnis: Nur wenige Unternehmen setzen Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen in nennenswertem Umfang ein. Mehr als ein Viertel der Unternehmen gab an, dass Mitarbeit*innen oft übersetzen. Meist sind das Angestellte, die Muttersprachler*innen sind.Quelle
Obwohl es in vielen Berufen unerlässlich ist, das Mitarbeiter*innen ihre Herkunftssprachen einsetzen, gibt es bisher wenige Aus- und Fortbildungsprogramme, die das fördern. In Berufsschulen können Herkunftssprachen selten belegt werden. Die fehlende Qualifizierung kann zu Belastung der Sprecher*innen führen. Eine weitere Belastung ist, dass sie Aufgaben übernehmen müssen, für die sie eigentlich nicht zuständig sind.Quelle
Minderheitensprachen in Deutschland
In Deutschland gibt es sieben offiziell anerkannte und geschützte Minderheitensprachen: Dänisch, Romanes, Nord- und Saterfriesisch, Niederdeutsch sowie Ober- und Niedersorbisch.Quelle
- Obersorbisch sprechen rund 20.000 Personen in Deutschland, Niedersorbisch rund 5.000.Quelle
- Saterfriesisch sprechen etwa 1.500 bis 2.500 und Nordfriesisch rund 10.000 Menschen.Quelle
- Etwa 50.000 Personen gehören der dänischen Minderheit an. Die große Mehrheit (98-99 Prozent) spricht Dänisch.Quelle
- Nieder- bzw. Plattdeutsch sprechen rund 2 bis 2,5 Millionen Menschen.Quelle
- Es gibt keine Zahlen zu aktiven Sprecher*innen von Romanes.Quelle
1992 trat Deutschland der "Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprache" bei, in der sich die Unterzeichner dazu verpflichten, "Praktiken entgegenzutreten, die den Gebrauch von Regional- oder Minderheitensprachen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen oder sozialen Tätigkeiten behindern sollen".
News Zum Thema: Mehrsprachigkeit
MEDIENDIENST-Recherche Wo gibt es herkunftssprachlichen Unterricht?
Einige Bundesländer bauen ihre staatlichen Angebote zum herkunftssprachlichen Unterricht weiter aus. Das zeigt eine Recherche des MEDIENDIENSTES. Doch auch der Konsulatsunterricht wird vielerorts weiterhin stark nachgefragt.
Dossier Mehrsprachigkeit in Deutschland
Mehrsprachigkeit gehört zur Realität vieler Menschen in Deutschland. Immer mehr Kinder und Jugendliche wachsen mehrsprachig auf. Das Bildungssystem sei noch nicht ausreichend darauf eingestellt, so Expert*innen. Die wichtigsten Zahlen und Fakten zum Thema gibt es in unserem aktualisierten Dossier.
Schule Wie verbreitet ist herkunftssprachlicher Unterricht?
Die Bundesländer bauen eigene Angebote zum herkunftssprachlichen Unterricht weiter aus. Gleichzeitig besuchen weniger Schüler*innen den Konsulatsunterricht als in den Jahren zuvor. Das zeigt eine Recherche des MEDIENDIENSTES.