Update 7.11.: Nach dem Bruch der Ampel-Koalition ist unklar, wann über den Haushalt 2025 entschieden wird.
Haushalt 2025: Integrationskurse könnten deutlich gekürzt werden
Laut Entwurf für den Haushalt 2025 will die Bundesregierung die Ausgaben für die Integrationskurse um die Hälfte kürzen, auf 500 Millionen Euro. Am 14. November steht noch die Bereinigungssitzung für den Haushalt an, dort werden die Mittel aller Voraussicht nach noch aufgestockt werden. Auch 2024 war im Regierungsentwurf zunächst weniger Geld eingeplant (880 Millionen Euro), nach der Bereinigung waren es 1,07 Millarden Euro.Quelle
Die tatsächlichen Ausgaben für die Kurse liegen 2024 aber höher, voraussichtlich bei 1,2 Milliarden Euro. Die Lücke vor der Bereinigungssitzung fällt deswegen nun besonders groß aus. Denn für 2025 werden laut BAMF auf Anfrage des MEDIENDIENSTES mit 326.000 Personen ähnlich viele neue Teilnehmer in den Kursen erwartet wie dieses Jahr (360.000).Quelle
In den letzten Jahren gab es deutlich mehr Teilnehmer in den Kursen. Nach einem Einbruch während der Corona-Jahre haben vor allem viele Geflüchtete aus der Ukraine einen Kurs begonnen. Deswegen sind auch die Ausgaben für die Kurse angestiegen.
Nicht gekürzt werden Ausgaben für Sprachkurse für Migrant*innen, die Arbeit suchen bzw. bereits arbeiten („Berufsbezogene Deutschsprachförderung“). Die bauen auf die Integrationskurse auf und werden über das Bundesarbeitsministerium finanziert. Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES teilte das Ministerium mit, dass der Haushaltsentwurf für 2025 die Kosten decke, die erwartet würden (wie 2024: 310 Millionen Euro).Quelle
Kürzungen stehen an: Kurse für Eltern und Frauen entfallen
Das Bundesinnenministerium legte Mitte Oktober einen Referentenentwurf zur Änderung der Integrationskursverordnung vor. Die sieht mehrere Kürzungen vor: Die Möglichkeit, Kurse zu wiederholen, soll größtenteils entfallen, Fahrtkosten zu den Kursen nur noch in Ausnahmen erstattet werden. Zudem soll es weniger Kurse geben: Spezielle Kurse für Jugendliche, Eltern und Frauen sollen gestrichen werden. Das Ministerium erhofft sich dadurch Einsparungen von rund 90 bis 165 Millionen Euro jährlich. (Experten-Einschätzung dazu unten).Quelle
Fallen die Einsparungen im Haushalt höher als diese Summe aus, könnten weitere Kürzungen bevorstehen und etwa keine neuen Kurse mehr beginnen, so das Bundesinnenministerium in einem internen Schreiben, das Medien vorliegt. Das könnte problematisch werden: Denn bestimmte Gruppen haben ein Anrecht auf Teilnahme. Wie damit umgegangen werden soll, beantwortete das Innenministerium auf Anfrage des MEDIENDIENSTES nicht.
Wie werden die Kurse finanziert?
Die Mittel für die Kurse sind im Etat des Bundesinnenministeriums angesiedelt und werden durch das BAMF verwaltet. Die Hälfte der Kosten zahlen die Teilnehmenden, die andere Hälfte übernimmt das BAMF. Erfolgreiche Teilnehmer können Kosten erstattet bekommen; Personen sind von den Kosten befreit, wenn sie etwa Bürgergeld oder Asylbewerberleistungen empfangen.Quelle
Wie viele Personen besuchen Integrationskurse?
Für 2024 rechnet das BAMF mit insgesamt 360.000 neuen Teilnehmenden in den Integrationskursen, für 2025 geht es von etwa 326.000 aus. Viele Geflüchtete aus der Ukraine dürften die Kurse nächstes Jahr abschließen, dann geht die Teilnehmerzahl voraussichtlich wieder zurück.Quelle
2023 kam rund die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus der Ukraine. Rund 10 Prozent waren Syrer*innen. Die Zusammensetzung der Kurse hat sich in den letzten Jahren stark verändert: 2014 kam knapp die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus EU-Staaten, danach kamen viele Personen aus Syrien und Afghanistan hinzu.Quelle
Berechtigt zur Teilnahme sind Personen, die dauerhaft in Deutschland leben, etwa anerkannte Geflüchtete oder EU-Bürger. Personen können etwa vom Jobcenter zur Teilnahme verpflichtet werden – das war 2023 bei rund zwei Drittel der Teilnehmer der Fall. Mehr zu den Kursen hier.
Was bringen die Integrationskurse?
Die Integrationskurse sind der Ort, an dem Zugewanderte Deutsch lernen können und sind wichtig für ihre Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt:
Arbeitsmarkt
Eine Analyse aus dem Jahr 2024 zeigt: Integrationskurse können deutlich dazu beitragen, dass Geflüchtete ein Job finden. Besonders für Frauen steigen die Chancen, einen Job zu finden, so eine weitere Auswertung. Eine Analyse des IAB zu ukrainischen Geflüchteten zeigt: Solange Personen einen Kurs besuchen, stehen sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung – haben danach aber bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.Quelle
Sprachkenntnisse
Einer Studie der OECD 2024 zufolge sind die Integrationskurse effektiv: Die Sprachkenntnisse von Migrant*innen haben sich stärker verbessert als in anderen Ländern. Gerade Personen mit niedrigem Bildungsstand fällt es aber schwer, Deutsch zu lernen. Eine Studie des DIW zeigt: Besonders für Geflüchtete sind die Integrationskurse wichtig. Denn sie haben weniger Möglichkeiten, Deutsch über die Arbeit oder soziale Kontakte zu lernen. Trotz niedrigeren Ausgangsniveaus sprechen sie nach 4 Jahren ähnlich gut Deutsch wie andere Migrant*innen.Quelle
Diskussionen gibt es immer wieder um die Testergebnisse: Die Kurse verfehlten ihr Ziel, weil viele Teilnehmer das vorgegebene Sprachniveau B1 nicht erreichen (Mehr dazu hier). Forschenden zufolge liegt das auch an der Struktur der Kurse:
- Zu wenig Zeit: Einer Studie des Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache zufolge ist das Ziel B1 zu hoch gesteckt, A2 sei für die Kurse realistischer in der vorgegebenen Zeit.Quelle
- Zu heterogen: Manche Teilnehmer sind unter-, andere überfordert. Einer Evaluation des BAMF 2023 und Fachleuten zufolge ist es schwer, in den Integrationskursen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und den sehr unterschiedlichen Bildungsstand der Teilnehmer einzugehen. Gleiches gilt für die schwierige Situation, in der sich geflüchtete Kursbesucher befinden.Quelle
- Fehlende Ausstattung: Viele Lehrkräfte arbeiten als Honorarkräfte, laut Evaluation des BAMF fällt es vielen Kursträgern schwer, gute Lehrer zu finden. Gerade die Alphabetisierungskurse, in denen Personen erst die lateinische Schrift oder teilweise überhaupt eine Schrift lernen, seien nicht ausreichend ausgestattet, so eine Analyse von Forschenden.Quelle
Experteneinschätzungen zu möglichen Kürzungen
Prof. Dr. Christoph Schroeder
Professor für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache am Institut für Germanistik der Universität Potsdam, forscht seit mehreren Jahren zu den Integrationskursen und begleitet dafür auch Kurse in der Praxis
"Die Kürzungen sind hoch problematisch. Personen, die an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt teilhaben sollen, werden die Möglichkeiten dafür genommen. Die Integrationskurse sind schon jetzt nicht so ausgestattet, dass sie alle Teilnehmer mitnehmen und zum Erfolg führen. Es ist unrealistisch, die Wiederholungsmöglichkeiten so stark einzuschränken. Viele benötigen schlicht mehr Zeit, um Deutsch zu lernen. Die Streichung von Kursen für Eltern, Frauen und Jugendliche sind gleichzeitig sehr heikel. Dort sind Teilnehmer, die es besonders schwer haben und eine besondere pädagogische Betreuung und Unterstützung brauchen. Noch mehr Menschen werden dadurch zurückbleiben und es schwer haben, in der Gesellschaft anzukommen."
Dr. Niklas Harder
Co-Leiter der Abteilung Integration am DeZIM-Institut, Co-Autor einer Analyse zur Wirkung der Integrationskurse aus dem Oktober 2024
"Sprachkurse sind wichtig, damit Menschen Fuß fassen, soziale Kontakte und eine Arbeit finden können. In einer Analyse habe ich mit Kollegen festgestellt, dass sich Integrationskurse positiv auf die Beschäftigung von Geflüchteten auswirken – aber nur, wenn sie gut ausgestattet sind. Kurse, die ad hoc während der Fluchtzuwanderung 2015/2016 aufgebaut wurden, hatten diesen Effekt nicht. Gut ausgestattet heißt, dass es ausreichend Zeit für die Kurse gibt, gut qualifizierte Lehrkräfte dort unterrichten und sie einem standardisierten Lehrplan folgen. Auch ein Sprachzertifikat am Ende der Kurse ist wichtig – das ist oft die Eintrittskarte ins Berufsleben. Es ist schwierig, etablierte Kurse in Krisenzeiten wie jetzt zu reduzieren, denn man kann sie bei steigender Fluchtzuwanderung nicht einfach schnell wieder aufbauen."
Von Andrea Pürckhauer
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