Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben Schulen in Deutschland über 200.000 geflüchtete ukrainische Schüler*innen aufgenommen. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind derzeit an Schulen in Nordrhein-Westfalen (38.000), Bayern (29.000) und Baden-Württemberg (28.000). Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schüler*innen nahmen Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen die meisten Schüler*innen auf.Quelle
Wie werden die Schüler*innen unterrichtet?
Im März kündigten die meisten Bundesländer an, sogenannte Willkommensklassen einzurichten, in denen die Kinder und Jugendlichen zunächst getrennt von anderen Schüler*innen unterrichtet werden. Eine Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den Kultusministerien zeigt: Mittlerweile wird in vielen Bundesländern ein Teil der ukrainischen Schüler*innen in Regelklassen unterrichtet, andere in getrennten Klassen (etwa Willkommensklassen, Vorbereitungsklassen, Intensivklassen, Brückenklassen).
Neben den Vorgaben der Bundesländer hängt es auch von den Kapazitäten an den jeweiligen Schulen und der Zahl ukrainischen Schüler*innen ab, ob sogenannte Willkommensklassen eingerichtet werden. Hinzu kommt, dass mittlerweile viele ukrainische Schüler*innen aus den Willkommensklassen in die Regelklassen wechseln konnten, da sie ausreichend Deutsch können – etwa an Berliner Schulen bereits rund 2.500
In sechs Bundesländern lernen ukrainische Schüler*innen in diesem Schuljahr zusammen mit anderen Schüler*innen in Regelklassen. Dazu gehören Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Thüringen. In Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein werden die ukrainischen Kinder und Jugendlichen zunächst überwiegend getrennt von anderen Schüler*innen unterrichtet. Gemeinsamer Unterricht in Fächern wie Musik, Sport oder Englisch ist jedoch teilweise möglich. In Bayern, Berlin, NRW, Sachsen-Anhalt gibt es verschiedene Modelle. In Bayern kommen etwa Grundschüler*innen in die Regelklasse, später gibt es unter anderem sogenannte "Brückenklassen".
Willkommensklassen stehen immer wieder in der Kritik: Oft seien die Klassen schlecht in das Schulleben eingebunden, in manchen Bundesländern gebe es nach wie vor keinen festgelegten Lehrplan für die Klassen. Eine Studie des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung kam vor kurzem zu dem Ergebnis, dass der Bildungserfolg von geflüchteten Kindern im Grundschulalter sich deutlich verschlechtert, wenn sie eine Vorbereitungsklasse anstelle einer Regelklasse besuchen. Vor allem in den Fächern Deutsch und Mathematik macht sich das bemerkbar. Kinder aus Vorbereitungsklassen schafften mit geringerer Wahrscheinlichkeit den Sprung auf ein Gymnasium. Sie landeten häufiger in einer weiterführenden Schule mit einem hohen Migrant*innenanteil.Quelle
Gibt es ukrainischen Unterricht?
Die staatlichen Schulen bieten selbst keinen Unterricht an, der einem ukrainischen Lehrplan folgt. Das hat die Kultusminister*innenkonferenz im Juni beschlossen. Für Kinder , die sich länger als drei Monaten in Deutschland aufhalten, gilt die Schulpflicht.
Viele Schüler*innen nehmen aber nachmittags an Online-Unterricht aus der Ukraine teil, wie die Ministerien der Bundesländer dem MEDIENDIENST auf Anfrage bestätigen. Genaue Zahlen liegen dazu nicht vor. Bremen etwa gibt an, dass es ein Großteil der Schüler*innen sei.
In manchen Bundesländern gibt es Angebote, die sich an ukrainischen Schulen orientieren:
- In Berlin soll im nächsten Schuljahr eine Deutsch-Ukrainische Begegnungsschule starten. Der Unterricht wird auf Deutsch und Ukrainisch stattfinden und Schüler*innen können die Abschlüsse beider Länder erhalten. Gerade läuft eine Testphase an zwei Schulen.
- In Hessen gibt es als freiwilliges Angebot "Sprach- und Kulturvermittlung in ukrainischer Sprache für schutzsuchende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine", welches von ukrainischen Lehrer*innen auf Ukrainisch gegeben wird und Materialien aus der Ukraine verwendet.
Herausforderung: Fehlende Lehrkräfte, Doppelbelastung
Das Fazit der zuständigen Ministerien fällt unterschiedlich aus. Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, und Rheinland-Pfalz geben an, dass die Integration der Schüler*innen reibungslos und ohne größere Probleme funktioniere. Aus Berlin heißt es, dass viele Schüler*innen schnell in die Regelklasse wechseln könnten, da viele früh Englisch gelernt hätten und die lateinische Schrift beherrschten, was auch für das Deutschlernen förderlich sei.
Für fast alle Bundesländer ist die größte Herausforderung, dass Lehrkräfte fehlen. Bereits vor dem Krieg war das ein großes Problem. Außerdem mangelt es vielerorts an Räumen in den Schulen. Teilweise fand Unterricht außerhalb der Schulen statt oder Klassen wurden aufgestockt. In Brandenburg wurden beispielsweise Jugendclubs angemietet, um zusätzlichen Platz zur Verfügung zu haben.
Ein weiteres Problem: In einigen Bundesländern sind die Kapazitäten so überlastet, dass geflüchtete Kinder noch nicht die Schule besuchen können. In Nordrhein-Westfalen warteten Ende Oktober noch gut 1.000 Kinder auf einen Schulplatz. Berlin fehlen Medienberichten zufolge 1600 Schulplätze.
Viele Kinder besuchen nachmittags zusätzlich ukrainischen Unterricht, was eine hohe Doppelbelastung für die Schüler*innen sei, berichten mehrere Länder. Zudem seien viele Kinder und Jugendliche psychisch durch den Krieg belastet und hätten Traumata.
Hinzu komme, dass es für viele Familien nicht klar sei, wie lange sie in Deutschland bleiben – oft herrsche noch der Wunsch zurückzukehren. Die Motivation, in Deutschland zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen, sei deshalb bei einigen Schüler*innen gering.
Wie steht es um ukrainische Lehrkräfte?
Mindestens 13.400 zusätzliche Lehrkräfte an Schulen seien nötig, um die neuen Schüler*innen zu unterrichten, so eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von Ende Mai. Alle Bundesländer haben neue Lehrer*innen und weiteres pädagogisches Personal eingestellt, darunter pensionierte Lehrer*innen oder Quereinsteiger*innen. Zudem haben rund 3.000 Personen aus der Ukraine mittlerweile eine Stelle an Schulen gefunden – das ergab die Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den Kultusministerien.
Meist unterrichten sie jedoch nicht als Lehrer*innen, sondern unter anderem als Sprachmittler*innen oder Lernbegleitung. Um als Lehrer*innen zu arbeiten, müssten sie den normalen Anerkennungsprozess durchlaufen. Die Hürden sind aber hoch: Viele können die nötigen Sprachkenntnisse (C1) nicht vorweisen oder ihnen fehlt ein weiteres Fach – ukrainische Lehrkräfte unterrichten oft nur ein Fach.
Wichtige Quellen
KMK (2022): "Abfrage der geflüchteten Kinder/Jugendlichen aus der Ukraine", Stand 27.11., LINK
Höckel und Schilling (2022): "Starting off on the right foot - Language learning classes and the educational success of immigrant children", LINK;
Karakayali et al. (2016): "'Willkommensklassen' in Berlin. Mit Segregation zur Inklusion?", Expertise für den MEDIENDIENST, LINK
Bertelsmann Stiftung (2022): "... Wir Lehrer wollen immer als Lehrer arbeiten", LINK
Von Cordula Eubel und Andrea Pürckhauer
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