Viele ukrainische Geflüchtete sind in der psychischen Ausnahmesituation, wenn sie nach Deutschland kommen. Oft brauchen sie professionelle Hilfe, um mit Krisen und alltäglichen Herausforderungen umzugehen. Im Fachjargon: Sie brauchen eine psychosoziale Beratung. Ob sie auch eine Psychotherapie brauchen, wird erst Monate später klar. Belastungsstörungen zeigen sich erst mit zeitlicher Verzögerung.
Für die psychosoziale und psychotherapeutische Betreuung von Schutzsuchenden sind die Psychosozialen Zentren in Deutschland da. Doch deren Kapazitäten sind begrenzt. Anspruch auf kassenärztliche Behandlungen, also auch Psychotherapien, hatten bislang nur Geflüchtete mit einem positiven Asylbescheid. Im Fall der ukrainischen Geflüchteten ist das aber anders: Sie erhalten ab dem 1. Juni Zugang zum regulären Sozialhilfesystem und damit zu Psychotherapien. Viele Probleme bleiben aber.
Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine benötigen psychologische Hilfe?
Die Nachfrage ist groß, sowohl nach psychosozialer Hilfe als auch nach Therapien. Frühere Forschungen zu Kriegsflüchtlingen haben ergeben: Mehr als ein Drittel könnten eine Behandlung benötigen. Das wären aktuell mehr als 200.000 Menschen aus der Ukraine.
Gibt es genug Hilfsangebote?
Nein. Die psychosozialen Zentren in Deutschland waren schon vor dem Ukraine-Krieg überlastet. Jährlich können sie nur 25.000 Patient*innen behandeln. Viele Ukrainer*innen werden die benötigte Hilfe also nicht erhalten. Bei Refugio München erhält zum Beispiel mehr als ein Drittel der Geflüchteten, die nach psychosozialer und -therapeutischer Hilfe suchen, eine Absage. Die Kapazitäten reichen nicht aus, sagt Heike Martin von dem Beratungs- und Behandlungszentrum für traumatisierte Menschen mit Fluchterfahrung. "Die zusätzlichen Anfragen durch Menschen aus der Ukraine verschärfen die Situation deutschlandweit.", so Martin.
Wie wird das Angebot ausgebaut?
Als Folge des Kriegs in der Ukraine haben einige Bundesländer angefangen, die Angebote der pychosozialen Hilfe für Geflüchtete zu erweitern. Eine Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den Gesundheitsministerien hat ergeben:
- In den psychosozialen Zentren in Sachsen-Anhalt wurde zusätzliches Personal eingestellt – unter anderem russisch- und ukrainischsprachige Psycholog*innen und Sozialpädagog*innen.
- Nordrhein-Westfalen hat in einem ersten Schritt Fördermittel in Höhe von 200.000 Euro zum Ausbau der Beratungsangebote zur Verfügung gestellt.
- Als Teil eines neuen Aktionsprogramms mit einem Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro will Schleswig-Holstein psychosoziale Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche fördern.
- In Baden-Württemberg finden derzeit zahlreiche Inforveranstaltungen und Seminare zum Umgang mit traumatisierten Geflüchteten statt.
Was bedeutet es, dass ukrainische Geflüchtete Zugang zu kassenärztlichen Leistungen erhalten?
Dass sie Anspruch auf eine Therapie durch Kassenärzt*innen erhalten. Das hat Vorteile und Nachteile, sagt Lukas Welz, Geschäftsleiter des Bundesverbands der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF): Einerseits müssen Geflüchtete nicht mehr jahrelang auf einen Therapieplatz warten. In der Regel hätten aber Psychotherapeut*innen außerhalb der psychosozialen Zentren wenig oder gar keine Erfahrung mit der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kriegsflüchtlingen.
Von Jule Klopke und Yasemin Kamisli
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