Seit 1997 legt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jährlich einen Bericht vor, der Daten zur Migration in den 34 Mitglieds-Ländern auswertet, um die Lage von Migranten auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Migrationspolitik zu untersuchen. Der "International Migration Outlook 2013" zeigt: Deutschland ist eines der attraktivsten Einwanderungsländer und liegt mit seiner Wanderungsbilanz von 300.000 Neu-Einwohnern im Jahr 2011 auf Platz fünf.
Insgesamt wanderten 2011 lediglich vier Millionen Menschen dauerhaft in die OECD-Staaten ein. Nur die USA, Spanien, Großbritannien und Italien ziehen weiterhin mehr Menschen an als Deutschland. Dieser hohe Wert relavitiert sich jedoch, wenn die Neueinwanderung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von 80 Millionen Einwohnern betrachtet wird. Dann liegt sie mit knapp 0,4 Prozent noch immer unter dem OECD-Schnitt von 0,6 Prozent.
Die OECD-Studie räumt mit dem verbreiteten Vorurteil auf, dass Einwanderer überdurchschnittlich den Sozialstaat belasten. So stellt sich für den OECD-Durchschnitt heraus, dass Einwandererfamilien zwar weniger an Steuern und Sozialabgaben in die Staatskasse einzahlen als inländische Familien. Sie beziehen aber auch weniger oft Sozialleistungen. Auch für Deutschland ergibt sich eine positive Bilanz – allerdings nur, wenn man die Renten herausrechnet. Dies ist wegen der besonderen Altersstruktur der Einwanderer in Deutschland sinnvoll - weil hier beispielsweise viele ältere Spätaussiedler leben. (s. Grafik unten)
OECD-Experte Thomas Liebig begrüßte, dass Deutschland inzwischen für klarere Regeln bei der Einwanderung sorge. Doch zusätzlich zur Einführung der Blauen Karte der EU für Hochqualifizierte und der ab Juli gültigen neuen Beschäftigungsverordnung für Fachkräfte müsse deutlich mehr getan werden. So müssten etwa die „Mittelqualifizierten“ in den Blick genommen werden.
Laut dem OECD-Bericht stieg die Beschäftigungsquote für Migranten in Deutschland von 2008 bis 2012 um fünf Prozentpunkte. Im Rest der Bevölkerung waren es dagegen 1,5 Prozentpunkte. Die Quote entwickelt sich damit weit positiver als in anderen Ländern. Hier hat Deutschland laut Liebig in den vergangenen zehn Jahren „aufgeholt“. Es liege nun etwa gleichauf mit den USA und knapp hinter Australien und Kanada.
Dennoch sehen die OECD-Experten noch erhebliches Entwicklungspotenzial auch für Deutschland.
Hohe Diskriminierungsrate schadet den Ländern selbst
Beim Thema Arbeitsmarkt empfehlen sie, Einwanderern den Zugang zu erleichtern. Laut OECD-Studie würde ein bessere Integration in den Arbeitsmarkt finanzielle Vorteile bringen. Hätten Eingewanderte die gleichen Chancen auf einen Arbeitsplatz, wie der Rest der Bevölkerung, würden die Nettoeinnahmen der Staaten erheblich wachsen. Beispiel Deutschland: Die potenziellen Mehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen lägen demnach bei über 3,5 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr, wenn Hochqualifizierte besser integriert würden.
Allerdings sind die Chancen auf einen Job für viele zugewanderte Gruppen in den OECD-Ländern deutlich geringer, als für Personen ohne Migrationserfahrung. Als Beispiel nennt der Bericht Belgien: Dort haben im Lande geborene Nachfahren türkischer Zuwanderer eine fünfmal so große Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu sein, wie vergleichbare Belgier ohne Migrationshintergrund. Für Deutschland existiert diese Berechnung für die Nachfahren der beiden größten Migrantengruppen: Türken und Ex-Jugoslawen. Während Männer mit türkischem Hintergrund knapp doppelt so häufig mit Arbeitslosigkeit rechnen müssen, ist der Unterschied für Kinder von Ex-Jugoslawen kaum messbar.
Laut OECD-Bericht ist das Ausmaß der Diskriminierung „höher als gemeinhin angenommen“. In den europäischen OECD-Ländern seien es vor allem die Nachfahren von Migranten, die sich diskriminiert fühlen: Rund ein Viertel dieser Personengruppe rechnet sich selbst zu einem Kreis, der diskriminiert wird. Unter den Zuwanderern der ersten Generation sind es dagegen nur 15 Prozent. In klassischen Einwanderungsländern wie den USA ist es laut Experte Liebig umgekehrt: Dort nehme das Diskriminierungsgefühl in der zweiten Generation deutlich ab. Deshalb ist es laut OECD wichtig, „Vorurteilen den Kampf anzusagen und eine ausgewogene, faktenbasierte Diskussion über Migrationsthemen zu führen“.
Liebig erkennt spezifische Defizite bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und empfiehlt eine bessere Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen, „Brückenangebote“ zur nachträglichen Qualifizierung, mehr Sprachförderung sowie „Diversity-Berater“ für Betriebe.
Von den rund vier Millionen in die OECD-Staaten Eingewanderten stammen 275.000 aus den europäischen Krisenländern. Ein Drittel davon ging nach Großbritannien. Deutschland war für Migranten aus Südeuropa, Island und Irland das zweitwichtigste Ziel, rund ein Viertel (78.000) ließ sich hier nieder. Viele Menschen, die aus den Krisenländern kommen, kehren Deutschland jedoch bald wieder den Rücken. So hat sich in den vergangenen Jahren nur jeder zweite Grieche und sogar nur jeder dritte Spanier länger als ein Jahr hier aufgehalten.
Von Hans-Hermann Kotte
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