Jedes Jahr gibt das Statistische Bundesamt die Ergebnisse des Mikrozensus heraus, eine repräsentative Befragung von einem Prozent der deutschen Bevölkerung. Sie ist eine der wichtigsten Datenquellen, wenn es um die Struktur und Lebensverhältnisse der Einwohner geht. Laut der neuesten Untersuchung lebten 2014 hierzulande rund 81 Millionen Menschen in über 40 Millionen Haushalten.
Der Mikrozensus enthält detaillierte Angaben zu "Personen mit Migrationshintergrund", die erst seit 2005 in den Blick genommen werden. Vor dieser Zeit wurde allein zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden. Um erkennen zu können, wie sich die Einwanderungsgesellschaft entwickelt, sollten jedoch auch Eingebürgerte und Nachkommen von Migranten mit deutschem Pass statistisch sichtbar sein. Deswegen wurde mit dem Mikrozensusgesetz von 2005 erstmals der sogenannte Migrationshintergrund eingeführt.
"Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund besteht aus den seit 1950 nach Deutschland Zugewanderten und deren Nachkommen sowie der ausländischen Bevölkerung", definiert das Statistikamt. Auch Eingebürgerte gehören dazu, ebenso wie alle Deutschen mit mindestens einem zugewanderten oder ausländischen Elternteil.
Die Ergebnisse des Mikrozensus 2014:
- Rund neun Prozent der Bevölkerung sind Ausländer (7,2 Millionen). Davon haben 1,3 Millionen "keine eigene Migrationserfahrung", weil sie in Deutschland geboren sind.
- Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland auf 20,3 Prozent gestiegen (16,4 Millionen). Allerdings gilt die Aussage "jeder Fünfte hat einen Migrationshintergrund" schon seit einigen Jahren.
- Mit 9,2 Millionen hat die Mehrheit der "Migrationshintergründler" einen deutschen Pass (56 Prozent).
- 10,9 Millionen Menschen in Deutschland haben eine "eigene Migrationserfahrung", sind also zugewandert. Fast jeder Zweite davon ist deutscher Staatsbürger (46 Prozent).
"Zahl der Zuwanderer in Deutschland so hoch wie noch nie", lautete die Überschrift in der Pressemitteilung zu den aktuellen Zahlen. Die Rekordankündigung ist überraschend, da die gleiche Anzahl von Zuwanderern (10,9 Mio.) bereits für das Jahr 2012 gemeldet wurde. Außerdem stellt sich die Frage, bei wie vielen davon es sich wirklich um Zuwanderer handelt – also um Menschen, die nur vorübergehend nach Deutschland kommen – oder um Einwanderer, die dauerhaft hier bleiben wollen.
Denn von den im Mikrozensus erfassten "Zuwanderern" leben über 80 Prozent länger als sechs Jahre in Deutschland, die Mehrheit sogar schon mindestens 20 Jahre. Mit anderen Worten: Viele der statistischen Zuwanderer haben nahezu ihr ganzes Leben hier verbracht. Die wenigsten sind erst kürzlich nach Deutschland gekommen. Die Aussage in der Überschrift ist also irreführend.
Zahl der Migrationshintergründler gestiegen oder gesunken?
Ein Vergleich der aktuellen Zahlen mit früheren Mikrozensus-Ergebnissen zeigt aber auch, wie kompliziert die Erfassung von Bevölkerungsdaten ist. Im ersten Satz der Pressemitteilung heißt es: "Im Jahr 2014 hatten rund 16,4 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. ... dies [entsprach] einem Anteil von 20,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung und einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr." Diese Aussage wurde von zahlreichen Medien so wiedergegeben.
Doch ein Blick in die Pressemitteilung zum Mikrozensus 2013 vom Statistischen Bundesamt bestätigt das nicht. Dort heißt es: "Im Jahr 2013 lebten rund 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland." Das entspreche einem Bevölkerungsanteil von 20,5 Prozent.
Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund ist von 2013 auf 2014 demnach um 0,2 Prozentpunkte gesunken – wie also kommt das Statistische Bundesamt auf einen "Zuwachs von drei Prozent"?
Eine Sprecherin des Bundesamts erklärt dem MEDIENDIENST auf Nachfrage, wie es zu dem Widerspruch kommt: "Die Zahlen zu den Personen mit Migrationshintergrund im Jahr 2014 beziehen sich auf die Definition des Migrationshintergrunds im engeren Sinne. Die in der Pressemitteilung zu 2013 beziehen sich dagegen auf die Definition des Migrationshintergrunds im weiteren Sinne." Da der "weitere Sinn" nur alle vier Jahre mit Zusatzfragen erhoben werde, seien die Angaben vom Mikrozensus 2014 nicht ohne weiteres mit denen von 2013 vergleichbar.
Ob jemand zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund im engeren oder weiteren Sinne gehört, hängt von den Personen ab, die mit im Haushalt leben. Erschwerend kommt hinzu: Mit der jüngsten Volksbefragung, dem "Zensus 2011", wurde die Bevölkerungsfortschreibung auf eine neue Grundlage gestellt. Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer wurde seither um über eine Millionen nach unten korrigiert und steigt nun wieder. Auch das erschwert einen Vergleich der Ergebnisse der letzten Jahre. "Die Definitionen von Personen mit Migrationshintergrund sind leider recht komplex", räumt die Sprecherin des Bundesamts ein.
Von Ferda Ataman
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