Rechtspopulistische Parteien in Europa konnten zuletzt etliche Wahlsiege feiern. Dabei gab es vieler dieser Parteien vor wenigen Jahren noch nicht. Ihre Vorgänger waren lose vernetzte Gruppen islamfeindlicher Aktivisten. Politische Erfolge konnten sie erzielen, als sie ihr Themenspektrum erweiterten: vom eindimensionalen Fokus auf den Islam hin zu einer grundsätzlichen Kritik am „Establishment“.
Vernetzung über Online-Blogs
Erste islamfeindliche Netzwerke entstanden im Jahr 2004: Auf Online-Foren wie „Politically Incorrect“ in Deutschland oder „EuropeNews“ in Dänemark tauschten sich Blogger über islamkritische Texte aus. Zudem teilten sie Medienberichte, die als Beweis für eine angebliche Islamisierung dienen sollten: etwa Artikel über Betreiber öffentlicher Kantinen, die aus "falsch verstandener" Rücksicht auf Muslime Schweinefleisch von der Speisekarte genommen hätten.
Ab 2007 fingen die Blogger an, sich auch „offline“ zu treffen. Unterstützt wurden sie von islamfeindlichen Thinktanks aus den USA, die versuchten, ihren Einfluss auf Europa auszuweiten. Das „Centre for Security Policy“ (CSP) etwa initiierte die Gründung der „International Civil Liberties Alliance“, die von 2007 bis 2012 sogenannte Counterjihad-Treffen in europäischen Großstädten organisierte. Das CSP steht in enger Verbindung zur konservativen Tea-Party-Bewegung in den USA. Donald Trump berief sich kürzlich auf eine Studie des Thinktanks, als er ein Einreiseverbot für Muslime forderte.
Auch in Deutschland fanden erste Vernetzungstreffen statt. 2007 versammelten sich Aktivisten zum „1. Deutschen Islamkritikertreffen“ in Wertheim bei Würzburg. Die Organisatoren – darunter auch der ehemalige FAZ-Journalist Udo Ulfkotte – schlossen sich ein Jahr später zum Verein „Bürgerbewegung Pax Europa“ zusammen, der die Aktivitäten islamfeindlicher Gruppen in Deutschland fortan maßgeblich koordinierte und strukturell unterstützte.
Vom Internet- zum Straßenprotest
In den folgenden Jahren wurde der Austausch weiter intensiviert. 2010 gründeten Mitglieder der „Bürgerbewegung“ zusammen mit anderen Aktivisten die Partei „Die Freiheit“ nach dem Vorbild des niederländischen Pendants von Geert Wilders. 2012 kamen zwei weitere Gruppen hinzu: die „German Defence League“ und die „Identitäre Bewegung Deutschland“ – beides Zusammenschlüsse von Rechtsextremisten, die sich nach britischem und französischem Vorbild gegründet hatten.
OLIVER WÄCKERLIG ist Doktorand am Religions-wissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich. In seiner Dissertation untersucht er, wie sich islamfeindliche Gruppen in Europa und den USA vernetzen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Islamfeindlichkeit, Religionssoziologie und Netzwerkanalyse.
Jede dieser Gruppen hatte sich zum Ziel gesetzt, die islamfeindlichen Proteste aus dem Internet auf die Straße zu tragen. Ihre ersten Versuche scheiterten jedoch, da sie nicht genügend Teilnehmer mobilisieren konnten. Auch gemeinsam organisierte Kundgebungen blieben zunächst erfolglos. Erst als es gelang, verschiedene rechte Hooligan-Gruppen einzubinden, wurden die Demos größer. 2014 konnten die „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) immer mehr Anhänger um sich scharen. Im Oktober führten sie in Köln die erste islamfeindliche Großveranstaltung durch, an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen.
Gleichzeitig begannen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida), in Dresden zu demonstrieren. Nach ersten Erfolgen gab es Nachahmer in ganz Deutschland. Pegida wurde zu einer neuen Protestform, die Aktivisten mit unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Interessen unter einem Dach vereinte. Alte Protestgruppen kleideten sich dabei im neuen Gewand: In Bayern waren Mitglieder der „Bürgerbewegung Pax Europa“ und der „Freiheit“ an den Kundgebungen beteiligt, in Thüringen mischten organisierte Rechtsextreme mit. Die Heterogenität der Bewegung spiegelt sich auch in den Informationskanälen wider: Pegida-Anhänger kommunizieren nicht nur über islamfeindliche Blogs, sondern auch auf verschwörungstheoretischen Online-Foren, neurechten Medien und pro-russischen Nachrichtenportalen.
Politische Erfolge durch Kritik am „Establishment“
Mit den Kundgebungen von Hogesa und Pegida war der Schritt vom Internet- zum Straßenprotest geschafft. Doch darauf folgte die nächste Hürde: der Transfer des mobilisierten Protest-Potentials in politischen Einfluss. In anderen europäischen Ländern war das bereits gelungen: In England etwa hatten islamfeindliche Netzwerke schon 2009 große Straßenproteste organisiert. Politische Erfolge folgten aber fünf Jahre später, als die rechtspopulistische „UK Independence Party“ Themen wie Migrations- und EU-Politik in ihr Programm mit aufnahm. Auch Geert Wilders musste sein islamfeindliches Konzept ausweiten, um weiterhin erfolgreich zu sein. Rechtspopulisten in Europa verfolgen dieselbe Strategie: eine Anti-Islam-Haltung und die Kritik am "Establishment".
Islamfeindliche Proteste gingen also erst in politische Erfolge über, als die Kritik am Islam mit anderen Themen vermengt wurde. Das könnte auch die große Resonanz der Pegida-Demos erklären, denn: Mit Slogans wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ bringen die Anhänger nicht nur ihre Ablehnung gegenüber dem Islam zum Ausdruck, sondern auch und vor allem ihre Kritik am bestehenden System.
Symbol für diese "Systemkritik" ist die sogenannte Wirmer-Flagge. Sie wurde 1944 von Josef Wirmer entworfen, der das geplante Hitler-Attentat durch Wehrmachts-Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg unterstützte und hoffte, die Flagge könnte nach Kriegsende zum neuen Nationalsymbol werden. Heute führen Pegida-Anhänger die Flagge bei ihren Kundgebungen mit. Ihre Überzeugung: Ebenso wie Stauffenberg damals gegen das NS-Regime Widerstand leistete, müssten sie heute gegen das politische „Establishment“ vorgehen, das sie belüge, hintergehe und unterdrücke. Die Erinnerung an den Holocaust dagegen weisen sie als „Schuldkult“ zurück.
Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) scheint das Konzept islamfeindlicher Gruppierungen von hinten aufzuzäumen. Anfangs stand die Euro- und Flüchtlingspolitik im Zentrum der Parteistrategie. Der Islam war ein untergeordnetes Thema. Inzwischen positioniert sich die Partei jedoch zunehmend islamkritisch. Damit schließt sie sich dem Kurs ihrer rechtspopulistischen Kollegen in Europa an.
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