MEDIENDIENST: In ihrem Programmentwurf unterstreicht die AfD, dass die Partei nicht gegen Muslime ist, sondern gegen den Islam als „Ideologie“. Kann man beides wirklich so deutlich trennen?
Yasemin Shooman: Das ist eine geschickte rhetorische Strategie. In der Vorurteilsforschung spricht man dabei von „Umwegkommunikation“: Um den Vorwurf des Rassismus abzuwehren, tarnen Islamfeinde ihre Ressentiments als Religionskritik und versuchen damit, sie zu legitimieren. Deshalb bezeichnen sie sich auch gerne als „Islamkritiker“. Dabei handelt es sich um eine Wortschöpfung, die zeigt, dass nur der Islam herausgegriffen wird. Analoge Begriffe wie Christentumskritik oder Hinduismuskritik werden nicht bemüht.
Wird diese Strategie nur in Bezug auf den Islam angewandt?
Nein. Wir kennen diesen Mechanismus auch aus der Geschichte des christlichen Antijudaismus: Den Juden wurde vorgeworfen, dem grausamen und rachsüchtigen Gott des Alten Testaments zu huldigen. Dadurch wurden diese Charaktereigenschaften auf Juden übertragen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Bild, das Außenstehende sich von einer Religion machen und dem Bild, das sie von deren Anhängern haben. Und deshalb ist es mehr als fraglich, ob man „den Islam“ hassen und zugleich Muslimen gegenüber neutral sein kann. Die Aufteilung in ein „legitimes“ Ressentiment gegen die Religion und ein „illegitimes“ Ressentiment gegen die Anhänger dieser Religion wirkt künstlich. Am Ende geht es um Menschen, die diese Religion leben oder mit ihr assoziiert werden – auch wenn sie sich selbst vielleicht gar nicht damit identifizieren.
Dr. YASEMIN SHOOMAN leitet die Akademie-Programme des Jüdischen Museums Berlin und verantwortet dabei die Programme Migration und Diversität sowie das Jüdisch-Islamische Forum der Akademie. Zu ihren Schwerpunkten gehören Rassismus, Islamfeindlichkeit und Medienanalyse. Ihr Buch "»... weil ihre Kultur so ist« Narrative des antimuslimischen Rassismus" ist im Oktober 2014 im transcript Verlag erschienen. (Foto: Jüdisches Museum Berlin/Ernst Fesseler)
Unterscheiden sich die Forderungen der AfD von denen anderer Rechtspopulisten in Europa?
Die aktuelle Islamfeindschaft in Europa ist eine moderne Form des Rassismus, der sich gegen Menschen richtet, die früher als Gastarbeiter, Türken oder Araber stigmatisiert wurden. Jetzt sind sie im Diskurs zu „Muslimen“ geworden. Das Feindbild Islam und Muslime ist schon seit geraumer Zeit eine wichtige Bindekraft des Rechtspopulismus in Europa. Zum Teil hat es das Feindbild "Ausländer", wie etwa in der alten Parole „Ausländer raus“, ersetzt. Die Freiheitliche Partei Österreichs, der Front National in Frankreich, die Schwedendemokraten und die Freiheitspartei in den Niederlanden haben islamfeindliche Ressentiments genutzt, um Wählerstimmen zu gewinnen. Die AfD versucht, an die Wahlerfolge dieser Parteien anzuknüpfen – offenbar mit Erfolg.
In Ihrem Buch „... weil ihre Kultur so ist“ schreiben Sie, dass solche Debatten oftmals die Funktion haben, Muslimen bestimmte kulturelle Merkmale zuzuschreiben, um sie dadurch als „Andere“ zu markieren. Ist das auch bei der AfD der Fall?
Genau wie Thilo Sarrazin bedient sich auch die AfD der Strategie: „Wir haben ja nicht etwas gegen alle Migranten, sondern nur gegen bestimmte“. Indem man spezifische kulturelle Eigenschaften thematisiert, unterscheidet man Migrant von Migrant: So gelten Migranten aus europäisch-christlichen Ländern als gut intergrierbar, weil sie uns „kulturnah“ sind. Migranten aus dem Nahen Osten werden als „kulturfremd“ konstruiert und umso stärker ausgegrenzt.
Minarettbau, Muezzin-Rufe, Kopftuch: Laut dem Programm-Entwurf will die AfD vor allem gegen die sichtbaren Erscheinungsformen des Islams angehen. Welche Strategie steckt dahinter?
Das nennt man in der Forschung „Dominanzkonflikt“: Wenn ich schon nicht offen dafür eintreten kann, dass bestimmte Minderheiten das Land oder am besten gleich Europa verlassen sollten, dann fordere ich, dass sie sich wenigstens unterordnen müssen und setze mich dafür ein, den privilegierten Status der Mehrheitsgesellschaft aufrechtzuerhalten. Dazu gehört, die soziale Integration von Muslimen abzuwehren, die sich unter anderem in dem Bau repräsentativer Gebetsorte äußert. Denn diese weisen Muslime als im Stadtbild sichtbare Mitglieder der Gesellschaft aus. Dasselbe gilt für Kopftücher: Das Kopftuch stört bei der Putzfrau wenig, aber wenn Frauen mit Kopftuch in Akademikerberufen sozial aufsteigen , dann werden sie zum Problem. Ein wichtiger Aspekt des Rassismus war schon immer, Minderheiten materielle und symbolische Ressourcen zu verwehren.
Ist antimuslimischer Rassismus ein spezifisches Merkmal rechtspopulistischer Bewegungen oder gibt es ihn auch in weiteren Teilen der deutschen Gesellschaft?
Rechtspopulisten artikulieren ihn vielleicht unverhohlener. Aber sowohl die Ergebnisse von repräsentativen Meinungserhebungen in der Gesamtbevölkerung als auch die Analyse des politischen und medialen Diskurses zeigen: Der antimuslimische Rassismus ist keinesfalls ein Problem des rechten Rands der Gesellschaft. Ich würde sogar sagen, dass er im Moment – gemeinsam mit dem Rassismus gegen Sinti und Roma – zu den am weitesten akzeptierten Formen des Rassismus zählt.
Interview: Fabio Ghelli
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