MEDIENDIENST INTEGRATION: In Sachen Asyl- und Integrationspolitik stehen die Behörden stark in der Kritik, etwa hinsichtlich der über 350.000 unbearbeiteten Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Für Schlagzeilen sorgen auch die dramatischen Zustände vor dem Lageso in Berlin: Berge unbearbeiteter Akten und Menschen, die vor der Behörde übernachten, um einen Termin zu bekommen. Versagt die deutsche Verwaltung angesichts der hohen Flüchtlingszahlen?
Prof. Dr. Hannes Schammann: Berlin steckt in einer besonderen Situation, von der man nicht auf andere Städte oder gar ganz Deutschland schließen sollte. Viele Flüchtlinge wollen gern in die Hauptstadt. Außerdem treffen in Berlin Politiker von Bund, Land und Kommune aufeinander und auch zahlreiche Journalisten, die für ein großes öffentliches Interesse sorgen.
Gibt es also gar keine "Verwaltungskrise"?
Ich sage nur, dass die Überforderung vor Ort häufig nicht so groß ist, wie man es aufgrund der Medienberichte annehmen könnte. Generell erlebe ich, dass die Grundstimmung sehr pragmatisch ist und die Behörden versuchen, gut zusammenzuarbeiten. Oft kümmert sich der Bürgermeister selbst um Fragen der Flüchtlingsversorgung. Das ist dann Chefsache und da wollen alle beteiligten Behörden natürlich ein gutes Bild abgeben.
In den meisten Bundesländern kümmern sich Kommunen darum, Flüchtlinge unterzubringen. Wie funktioniert das und welche Bereiche betrifft es?
Das stimmt, das BAMF ist zuständig für das Asylverfahren, die Versorgung der Flüchtlinge ist Aufgabe der Länder. Meistens nehmen die Kommunen diese Aufgaben im Auftrag der Länder wahr. Dazu gehört die Unterbringung, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs während und nach dem Asylverfahren. Außerdem ermöglichen die Kommunen den Asylsuchenden Arztbesuche oder Sprachkurse. Sie sind allerdings auch dafür zuständig, Asylablehnungen durchzusetzen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben kann sehr unterschiedlich organisiert sein.
Prof. Dr. HANNES SCHAMMANN ist Juniorprofessor für Migrations-politik an der Universität Hildesheim. Zuvor arbeitete er bei der Robert Bosch Stiftung und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Er forscht auf den Gebieten der Migrations-, Integrations- und Flüchtlingspolitik in Deutschland. Foto: Isa Lange
In einem Artikel haben Sie von einem "Flickenteppich" beim Zugang zu Sprachkursen gesprochen. Können Sie das näher erklären?
Asylsuchende mit einer guten Bleibeperspektive haben inzwischen ein Recht auf einen Integrationskurs. Für alle anderen hängt das vom Zufall ab: In Stuttgart erhalten Asylsuchende einen städtischen Kurs mit 200 Unterrichtsstunden. In Hamburg und Bayern sind es 300 Stunden, jeweils finanziert durch Landesmittel. Im Land Brandenburg erhalten Asylsuchende bis zu 600 Stunden, bezahlt aus EU- und Landesmitteln. Es hängt also von der Verteilung nach dem Königssteiner Schlüssel ab, wie hoch ihre Chancen auf einen Sprachkurs sind.
Warum ist die Versorgung für Flüchtlinge vor Ort so unterschiedlich?
Ein Grund mag bei manchen das fehlende Geld sein. Die Bundesregierung unterstützt die Länder mit einem festen Betrag pro Flüchtling. Das reicht aber in den wenigsten Fällen. Deshalb gibt es in manchen Kommunen zum Beispiel nur Sprachkurse von Ehrenamtlichen für Flüchtlinge. Es hängt davon ab, wie wichtig einer Kommune die Flüchtlingsintegration ist und ob sie dafür finanzielle Mittel bereitstellt.
Wie organisieren es die Kommunen, dass Flüchtlinge arbeiten können?
Obwohl auch in diesem Bereich der Bund die Rahmengesetze vorgibt, können Kommunen hier durchaus indirekt tätig werden. Ein Beispiel: In Köln hat die Ausländerbehörde versucht, jugendliche Geduldete gezielt in einen sicheren Status zu bringen. Sie hat aktiv an die lokalen Unternehmer kommuniziert, dass die Jugendlichen während der Ausbildung nicht abgeschoben werden. Ähnliches hat das Land Niedersachsen per Runderlass im Sommer 2015 getan. Die Unternehmer brauchen diese Sicherheit, um Ausbildungsplätze zu vergeben.
Sie haben jetzt viele positive Beispiele genannt. Wo gibt es denn Probleme?
In vielen Städten gibt es Probleme mit Wohnungen, weil dort generell bezahlbarer Wohnraum knapp ist. Hier müssen die Kommunen aufpassen, dass die Diskussion um Flüchtlinge nicht in eine Neiddebatte umschlägt, nach dem Motto: Flüchtlinge lassen die Mieten steigen. Aber auch hier haben manche Kommunen flexible Lösungen gefunden, zum Beispiel in der Stadt Münster. Dort sind die Behörden bereits vor Jahren eine Kooperation mit den örtlichen Wohnungsbaugsellschaften eingegangen. Sie garantieren den Vermietern, dass für Neubauten die Mieten anfangs von der Stadt gezahlt werden. Flüchtlinge werden dort dezentral untergebracht. Im Laufe der Zeit werden die Wohnungen dann zu Sozialwohnungen und später zu regulären Wohnungen. So wurde Flüchtlingspolitik mit einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik gekoppelt.
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) liegen inzwischen mehr als 350.000 unbearbeitete Asylanträge. Wenn von einer "Verwaltungskrise" gesprochen wird, ist sie "hausgemacht"?
Es ist normal, dass es bei einer so hohen Zahl an Flüchtlingen zu Engpässen in der Verwaltung kommt. Aber als 2005 das neue Zuwanderungsgesetz verabschiedet wurde und die Flüchtlingszuwanderung auf einem Tiefpunkt war, wurde Personal abgebaut oder für andere Aufgaben eingesetzt – insbesondere die Verwaltung der Integrationskurse. Gleichzeitig wurde versäumt, eine Reserve an anderweitig eingesetzten Beamten regelmäßig zu schulen. Flüchtlingszuwanderung verläuft in Wellen und darauf muss sich auch die Verwaltung einstellen. Wir brauchen flexible Konzepte.
Interview: Carsten Janke
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