Wie sollen die vielen Flüchtlinge künftig integriert werden? Diese Frage beschäftigt längst alle Parteien. Die CDU will laut einem Beschluss von Dezember 2015 "verbindliche Integrationsvereinbarungen" zwischen Staat und Migranten einführen, die CSU will laut Medienberichten sogar eine "Integrationspflicht einfordern" und denkt an eine Verpflichtung zu Deutschkursen und einem Grundwerte-Bekenntnis.
Bislang gibt es allerdings keinerlei Anzeichen dafür, dass so eine Pflicht notwendig ist – sofern Asylbewerber Sprach- und Orientierungskurse besuchen können, tun sie das offenbar gern. Experten fordern deswegen längst von der Politik, den Zugang zu Sprachkursen zu verbessern: Laut einer Studie des "Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung" (IAB) sind Deutschkenntnisse die wichtigste Kompetenz für die frühzeitige Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Der Zugang zu Sprachkursen sollte deshalb schneller, flächendeckend und vor allem unkomplizierter möglich sein, fordern die Autoren der Studie.
Während es auf der einen Seite also notwendig erscheint, Sprachkurse so früh wie möglich, also beispielsweise schon in Erstaufnahmeeinrichtungen, zu beginnen, gibt es auf der anderen Seite weiterhin Bedenken. Die Bundesregierung will so wenig Geld wie möglich in Menschen investieren, die später ohnehin in ihre Heimatländer zurückkehren müssen. Denn viele der Asylbewerber dürfen nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Die Gesamtschutzquote lag von Januar bis Dezember 2015 laut Asylgeschäftsstatistik bei knapp 46 Prozent. Der „Abbau von Fehlanreizen“ und die „konsequente Rückführung“ von Menschen ohne Bleibeperspektive sei weiterhin ein wichtiges Anliegen, erklärte der Bundesinnenminister in einer Rede zum neuen "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" im Oktober.
Integrationskurse
Dieser Zwiespalt sorgt für Debatten: Wer darf einen Deutschkurs besuchen – und ab wann? Aktuell stellt sich diese Frage besonders bei den Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Sie sind das Hauptinstrument der staatlichen Sprachvermittlung für alle Einwanderer und werden in Kooperation mit verschiedenen öffentlichen und privaten Trägern durchgeführt. Die Kurse sind für manche Ausländer bereits jetzt verpflichtend und bestehen aus zwei Teilen:
- Einem Orientierungskurs mit 60 Unterrichtseinheiten zu Landeskunde und Fragen der deutschen Gesellschaft und Politik
- sowie einem Sprachkurs mit 600 Unterrichtseinheiten. Im besten Fall erreichen sie damit Stufe B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR), die Ausländer in Deutschland vorweisen müssen, um eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten.
Daneben gibt es noch eine Reihe von speziellen Kursen, zum Beispiel Alphabetisierungskurse für Einwanderer, die nicht lesen und schreiben können, oder gesonderte Angebote für Frauen oder Jugendliche.
Die Zahl der Flüchtlinge in den Kursen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Im ersten Halbjahr 2015 wurden laut BAMF-Statistik rund 6.000 Integrationskurse mit knapp 90.000 Teilnehmern begonnen – die größte Herkunftsgruppe stellten mit 16,6 Prozent syrische Staatsangehörige. Insgesamt rechnet das Bundesamt mit 190.000 Teilnehmern für 2015 und 300.000 Teilnehmern für 2016, wie ein Sprecher dem MEDIENDIENST auf Anfrage erklärte. Neben Flüchtlingen nehmen hier vor allem Einwanderer aus EU-Staaten und andere Migranten teil.
Während nun die Rede davon ist, Flüchtlinge für Integrationskurse zu verpflichten, war die Regelung bis vor wenigen Wochen noch genau gegenläufig: Asylbewerber durften im laufenden Asylverfahren nicht an den Integrationskursen teilnehmen. Bis Oktober 2015 standen die Kurse lediglich Flüchtlingen offen, denen bereits Asyl, ein Flüchtlingsstatus oder subsidärer Schutz zuerkannt worden war.
Um die Integrationsmöglichkeiten für Flüchtlinge zu beschleunigen, hat die Bundesregierung mit einer Gesetzesänderung reagiert: Seit Ende Oktober 2015 dürfen auch „Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive“ einen Integrationskurs besuchen. So sieht es das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vor, das im Oktober in Kraft trat. Menschen aus bestimmten Herkunftsländern können nun bereits an den Kursen teilnehmen, sobald sie einen Asylantrag gestellt und eine Aufenthaltsgestattung erhalten haben. (Das BAMF hat dazu ein FAQ-Papier veröffentlicht.)
Eine „gute Bleibeperspektive“ ist für das BAMF dann gewährleistet, wenn ein Mensch aus einem Herkunftsland stammt, das eine Schutzquote von über 50 Prozent aufweist. Die Liste der Länder, die das Kriterium erfüllen, wird dabei jährlich festgelegt. Für 2015 sind das Syrien, Irak, Eritrea und Iran.
Wie viele Asylbewerber bisher von dem neuen Gesetz tatsächlich profitieren konnten, ist noch unklar, da die Daten für das zweite Halbjahr 2015 dem BAMF noch nicht vorliegen. Fest steht lediglich: Das Gesetz macht den Zugang zu Integrationskursen für eine Reihe von Menschen leichter und schneller.
Einstiegskurse und andere Angebote
Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, kurzfristig achtwöchige Einstiegskurse für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive von der Bundesagentur für Arbeit (BA) fördern zu lassen. Diese reinen Sprachkurse können noch früher besucht werden – eine Aufenthaltsgestattung ist nicht notwendig. Die Mittel stehen allerdings nur bis Ende 2015 zur Verfügung, eine Verlängerung für 2016 sei bislang nicht geplant, teilte die BA dem MEDIENDIENST auf Anfrage mit. Außerdem erklärte ein Sprecher, dass bisher rund 88.000 Menschen einen solchen Kurs besucht haben: 64.900 davon syrische Staatsbürger, 11.000 Einwanderer aus dem Irak, 9.200 aus Eritrea und 3.200 aus Iran.
Neben den bundesweiten Programmen vom BAMF und der Bundesagentur für Arbeit gibt es noch eine Reihe von Länderprogrammen. Eine gute Übersicht bietet das Themendossier "Sprachvermittlung und Spracherwerb für Flüchtlinge" der "Robert Bosch Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik".
Es stellt sich nun die Frage, wie die neuen Regelungen in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden können. Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), lobt den schnelleren Kurszugang für Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive als wichtigen Schritt. „Allerdings bleibt der Ausbau der Sprachkursangebote bislang noch hinter der gestiegenen Nachfrage zurück. Eine zügige Umsetzung ist jetzt vordringlich!“
Im BAMF sieht man sich für die voraussichtlich 300.000 Integrationskurs-Teilnehmer im Jahr 2016 gewappnet. Um den rasant angestiegenen Antragszahlen zu begegnen, hat die Behörde unter anderem die Zulassungsvoraussetzungen für Lehrkräfte verändert. Auf Anfrage teilte das Amt mit, dass damit seit September 2015 allein 2.000 neue Lehrer gewonnen werden konnten. Bis Ende des Jahres stünden insgesamt 14.000 Lehrkräfte zur Verfügung.
Für das kommende Jahr hat der Bundeshaushalt außerdem 559 Millionen Euro für Integrationskurse zur Verfügung gestellt. Das ist die höchste Summe seit der Gesetzesreform und der Einführung der Kurse vor knapp elf Jahren.
Wer von den Sprachkursen ausgeschlossen bleibt
Die Oppositionsparteien kritisieren die Trennung von Integrationsangeboten nach guter und schlechter Bleibeperspektive: Die Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer (Bündnis 90/Grüne) schrieb etwa in einer Pressemitteilung, dass Asylsuchende aus Ländern wie Afghanistan, Somalia und Pakistan von Sprachkursen ausgeschlossen bleiben. Hier lägen die Anerkennungsquoten im mittleren Bereich, gleichzeitig dauerten die Asylverfahren bei Menschen aus diesen Ländern besonders lang.
Die Linke sieht die aktuellen Regelungen besonders in Bezug auf Afghanistan kritisch. Asylbewerber aus diesem Land stellen momentan die viertgrößte Gruppe, aktuell liegen laut Statistik rund 20.000 Anträge vor. Mit 44,9 Prozent liegt die Schutzquote hier nur knapp unter der Hürde. Die Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke" argumentiert in einer Drucksache zudem, dass die "bereinigte Schutzquote" im dritten Quartal 2015 bei über 86 Prozent liegt. Afghanische Staatsbürger hätten also de facto durchaus „gute Bleibeperspektiven“.
Eine weitere Einschränkung stellt die Dublin-Verordnung dar, wonach alle Flüchtlinge nur in dem EU-Staat asylberechtigt sind, dessen Boden sie zuerst betreten haben. Selbst mit guter Bleibeperspektive können Geflüchtete nur an Integrationskursen teilnehmen, „wenn geklärt ist, ob sie in ein anderes europäisches Land zurückgeschickt werden müssen oder nicht“, erklärte das BAMF auf Anfrage.
Von Dennis Yücel
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