Seit mehr als einem Jahr ist Syrien das Hauptherkunftsland von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Allein in diesem Jahr wurden rund 244.000 syrische Flüchtlinge im EASY-System registriert – nicht alle konnten bislang einen Asylantrag stellen. In den vergangenen zwei Monaten kam demnach jeder zweite Geflüchtete in Deutschland aus dem Bürgerkriegsland.
Fast alle Syrer, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, bekommen hier Schutz: Die "bereinigte" Schutzquote – also der Anteil der Antragsteller, denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine positive Antwort erteilt – liegt für syrische Flüchtlinge bei 99 Prozent. Die meisten von ihnen bekamen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
In diesem Fall erhalten sie nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre und dürfen unmittelbar arbeiten, eine Ausbildung machen oder die Schule besuchen. Aufgrund der dramatischen Situation in Syrien und wegen des hohen Bearbeitungsstaus bei Asylanträgen hat das BAMF im November 2014 beschlossen, syrischen Flüchtlingen im Eilverfahren Schutz zu gewähren – das heißt ohne persönliches Anhörungsgespräch. Auch wird bei syrischen Antragstellern seit vergangenem Oktober darauf verzichtet, die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats im Rahmen der Dublin-Verordnung zu prüfen.
Jetzt fordert eine wachsende Gruppe von Politikern aus CDU und CSU, diese Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Konkret stehen drei Forderungen im Raum:
- Einzelprüfungen für syrische Antragsteller sollen wieder eingeführt werden.
- Statt Schutz nach der Genfer Konvention sollen syrische Flüchtlinge künftig einen sogenannten "subsidiären" Schutz erhalten.
- Außerdem wurde am 21. Oktober 2015 die Zuständigkeits-Prüfung nach der Dublin-Verordnung wieder eingeführt, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber Medien erklärte.
Subsidiär Schutzberechtigte sind Menschen, die laut EU-Qualifikationsrichtlinie in ihrem Heimatland von Folter, der Todesstrafe oder den Folgen eines bewaffneten Konflikts bedroht sind. Da sie nicht Opfer von direkter Verfolgung sind, haben sie nach der Genfer Flüchtlingskonvention keine "Flüchtlingseigenschaft", gelten aber dennoch als schutzbedürftig. Sie sind nach deutschem Recht weitgehend mit Flüchtlingen gleichgestellt, mit einer wesentlichen Ausnahme: Sie erhalten nur eine verkürzte Aufenthaltserlaubnis von zwölf Monaten anstatt von drei Jahren.
Aufgrund eines Beschlusses von CDU, CSU und SPD soll eine weitere Einschränkung für subsidiär Schutzberechtigte eingeführt werden: Sie sollen künftig für einen Zeitraum von zwei Jahren ihre engen Verwandten nicht nachholen dürfen.
Wie viele Familienangehörige betrifft das?
Nach der aktuellen Rechtslage haben Flüchtlinge wie alle anderen regulären Einwanderer die Möglichkeit, Ehegatten und Kinder nachziehen zu lassen. Das ist auch durch die EU-Richtlinie für Familienzusammenführung festgelegt. Demnach sollten für Flüchtlinge “günstigere Bedingungen für die Ausübung ihres Rechts auf Familienzusammenführung vorgesehen werden”.
Aufgrund der hohen Zahl von syrischen Antragstellern dreht sich die Debatte vor allem darum, wie viele Kinder und Ehegatten von anerkannten syrischen Flüchtlingen demnächst nach Deutschland kommen werden. Einige Medien wie die Bild-Zeitung und Focus-Online spekulieren bereits, dass durch den Familiennachzug auf eine Million Flüchtlinge sechs Millionen Angehörige folgen könnten.
Worauf sich diese Schätzung bezieht, bleibt unklar. Laut Angaben der Weltbank für die Herkunftsländer von Flüchtlingen liegt die durchschnittliche Geburtenrate bei drei Kindern pro Familie. Nach Angaben des BAMF lag die Zahl der Ehepartner und Kinder, die zu ihren syrischen Verwandten in Deutschland gezogen sind, im Jahr 2014 bei lediglich 3.000 Menschen. Allerdings hatte sich die Zahl damit im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht und wird für das laufende Jahr deutlich höher ausfallen als 2014.
Geplante Maßnahmen führen zu längerer Bearbeitungszeit
Bereits im Juli kritisierte der Migrationsforscher Dietrich Thränhardt in einem Gutachten für den MEDIENDIENST die negativen Auswirkungen einer starken Bürokratisierung auf das Asylsystem. So hatten sich die Regierungsparteien beispielsweise im Koalitionsvertrag von 2013 darauf geeinigt, dass ein Asylverfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein muss. Dies wurde nicht erreicht: Derzeit liegt die durchschnittliche Bearbeitungszeit für Asylanträge bei fünf Monaten.
Bei Syrern geht es bislang etwas schneller: In der ersten Jahreshälfte 2015 lag die Bearbeitungsdauer ihrer Anträge bei etwa vier Monaten. Da das BAMF jetzt aufgrund der Dublin-Verordnung wieder prüfen muss, ob auch syrische Flüchtlinge in anderen EU-Ländern registriert sind, ist zu erwarten, dass sich die Bearbeitung der Anträge wieder in die Länge ziehen wird. Internationale Untersuchungen vom Migration Policy Institute und vom Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments zeigen dagegen, dass Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nur selten erfolgen und sich die Regelung nur sehr bedingt auf die Zahl der Flüchtlinge auswirkt.
Auch ist zu erwarten, dass die Bearbeitungsdauer noch länger wird wenn die persönlichen Anhörungen wieder eingeführt werden. Da die meisten Asylanträge derzeit von syrischen Bürgern gestellt werden, wird die Zahl der unerledigten Anträge deutlich steigen. Schon jetzt beläuft sie sich auf rund 330.000. Hinzu kommen mehrere Hunderttausend Asylsuchende, die bislang keinen Antrag stellen konnten, aber bereits im EASY-System registriert sind.
Sollten syrische Flüchtlinge demnächst überwiegend subsidiären Schutz erhalten, müssten die Ausländerbehörden alle 12 Monate die Aufenthaltserlaubnis verlängern, was zu einer zusätzlichen Belastung der zuständigen Beamten führen würde.
Von Fabio Ghelli
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