Ein Asylbewerber, der über einen anderen EU-Staat nach Deutschland eingereist ist, muss binnen drei Monaten zurück in das Land, in dem er zuerst registriert wurde. Weigert er sich, kann er dorthin abgeschoben werden. Das regelt die Dublin-Verordnung, die zum 1. Januar 2014 reformiert wurde. Um sicher zu sein, dass Asylbewerber nicht untertauchen, pflegt die Bundespolizei diese sogenannten „Dublin-Fälle“ bis zu ihrer Überstellung in Haft zu halten. Da es oft mehrere Wochen dauert bis das entsprechende Land auf das Überstellungsersuchen reagiert, bleiben die Flüchtlinge in der Regel solange in Haft.Nach der Dublin-Reformon Juni 2013 ist die Inhaftierung allerdings nur noch dann zulässig, wenn „erhebliche Fluchtgefahr“ besteht. Trotzdem wurden „Dublin-Fälle“ in Deutschland weiterhin inhaftiert. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Woche eine Grundsatzentscheidung vom 26. Juni bekannt gegeben, wonach die deutsche Gesetzgebungnd Praxis nicht mit europäischem Recht vereinbar ist.Das BGH-Urteil bezieht sich auf den Fall eines pakistanischen Staatsangehörigen, der im November 2013 einen Asylantrag in Ungarn gestellt hatte und dann über Italien und Frankreich nach Deutschland gelangt ist. Hier wurde er im Dezember 2013 von der Bundespolizei festgenommen und mehrere Wochen in Haft gehalten. Der Pakistaner legte Beschwerde ein, die das Beschwerdegericht allerdings ablehnte. Jetzt hat das höchste deutsche Gericht diese Entscheidung gekippt.
Zwei Urteile zu Abschiebehaft
Zwischen 2008 und 2011 (Zeitpunkt der letzten Datenerhebung) saßen mehr als 30.000 Menschen in Abschiebungshaft, davon waren vermutlich mehr als 25.000 "Dublin-Fälle". Derzeit befinden sich nach Angaben der Länderinnenministerien etwa 90 Menschen in Abschiebungshaft. Ihre Haftzeit dauere im Durchschnitt drei Wochen. Wie viele davon „Dublin-Fälle“ sind, lasse sich nicht ermitteln, erklärt die Bundesregierung in einer Antwortuf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Die Linke spricht von 80 Prozent aller Abzuschiebenden in Haft. Pro Asyl schätzt die Zahl in einer Publikation auf 90 Prozent. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs wären damit die meisten Inhaftierungen von Asylbewerbern rechtswidrig. Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der seit mehr als zehn Jahren Abschiebungshaftverfahren in ganz Deutschland betreut, nennt die Entscheidung daher "bahnbrechend". Das Urteil sorge "endlich für Klarheit im Umgang mit Asylsuchenden" in Dublin-Verfahren. „Es geht hier nicht um Verbrecher“, sagt Fahlbusch, „sondern um Asylsuchende, die keinerlei Straftaten begangen haben. Teilweise werden sie wochenlang in einer Haftanstalt, oftmals neben gewöhnlichen Verbrechern, untergebracht.“In vielen Ländern ist es üblich, aus Mangel an Alternativen Flüchtlinge in gewöhnlichen Strafvollzugsanstalten unterzubringen. Das verstößt gegen EU-Recht urteilte erst vergangene Woche der Europäische Gerichtshof. Das Urteil zeigt bereits erste Wirkungen: Schon wenige Stunden nach der Bekanntgabe entließ das Land Sachsen-Anhalt sieben Abzuschiebende aus einer Haftanstalt.