MEDIENDIENST: In einem Forschungspapier schreiben Sie, dass radikalisierte Gruppen aus dem rechten, linken und islamistischen Milieu Gemeinsamkeiten haben. Was meinen Sie damit?
David Meiering: Die Gruppen greifen immer häufiger auf ähnliche Erzählungen zurück. Eine dieser Erzählungen ist der "Widerstand" gegen den Staat, der – so die Behauptung – falsch handle oder aber nicht mehr fähig sei, zu handeln. Im rechten Spektrum haben sich beispielsweise sogenannte Bürgerwehren herausgebildet, die die angeblich fehlende Ordnung wiederherstellen sollen. Im Bereich militanter Islamismus gibt es das Beispiel der "Scharia-Polizei", die 2014 durch die Wuppertaler Innenstadt patrouillierte, um junge Männer von vermeintlich westlichen "Sünden" wie Alkoholkonsum abzuhalten. Bei Teilen militant linker Gruppen äußert sich der Widerstand eher in Form von Gewalt gegen den Staat, der von ihnen als Repressionsapparat wahrgenommen wird.
Gibt es weitere Erzählungen, die extremistische Gruppen teilen?
Das wichtigste Narrativ ist der Antisemitismus: Rechte hetzen gegen Juden, weil sie ihre Vorstellung einer deutschen "Volksgemeinschaft" "bedroht" sehen. Teile der sogenannten anti-imperialistischen Linken wettern gegen den Staat Israel als Verbündeter der USA. Ähnlich ist es bei militanten Islamisten. Antisemitismus fungiert also als gemeinsamer Nenner für Szenen, die eigentlich sehr unterschiedlich sind.
Was ist das Gefährliche daran?
In der Forschung war es lange Konsens, dass Radikalisierung vor allem durch Abgrenzung entsteht – Linke sich also radikalisieren, weil es Rechte gibt und andersherum. Die gemeinsamen Narrative aber zeigen, dass sich die Gruppen in ihren Weltbildern gegenseitig bestärken können und mitunter Allianzen bilden.
Gibt es Beispiele für solche Allianzen?
In Deutschland finden regelmäßig Anti-Israel-Demonstrationen statt, bei denen Rechtsextremisten Seite an Seite mit militanten Islamisten und Teilen der antiimperialistischen Linken stehen – wie zuletzt bei der Al-Quds-Demonstration in Berlin. 2016 gingen die Gruppen zusammen in Dresden auf die Straße, um gegen die sogenannte Bilderberg-Konferenz zu protestieren. Um die Konferenz ranken sich seit Jahren die absurdesten, teils antisemitischen Verschwörungstheorien. Das war Anlass für die Gruppen, dort geschlossen aufzutreten.
DAVID MEIERING ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung". Er befasst sich dort unter anderem mit vergleichender Extremismusforschung und politischen Theorien der "Neuen Rechten". Herr Meiering ist Mitautor eines Forschungspapiers, das gemeinsame Narrative von radikalisierten Gruppen untersucht.
Sind diese Schulterschlüsse ein neues Phänomen?
Die Schulterschlüsse selbst nicht. Schon Hitler suchte damals das Bündnis mit muslimischen Antisemiten wie dem Großmufti Amin al-Husseini, der Soldaten für die SS rekrutieren sollte. Neu ist aber, dass die Feindbilder der Gruppen immer stärker in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken – also auch Menschen erreichen, die eigentlich nichts mit extremistischen Gruppen zu tun haben.
Woran liegt das?
Radikalisierte Gruppen treten bewusst moderat auf, um auch bürgerliche Milieus für sich zu gewinnen. Die rechtsextremistische "Identitäre Bewegung" etwa verzichtet auf radikale Parolen wie "Ausländer raus" und spricht stattdessen von "Remigration". Militante Islamisten zeigen sich auf Fotos mit kleinen Katzen, um das Bild eines starken und doch fürsorglichen Kämpfers zu wecken. Diese moderaten Inszenierungen sind sehr gefährlich, weil sie anschlussfähig sind für Beobachter, die ansonsten abgeschreckt wären.
Wie kann die Präventionsarbeit darauf reagieren?
Extremistische Gruppen wurden zu lange getrennt voneinander behandelt: Es gibt Programme gegen Rechtsextremismus, Programme gegen Linksextremismus und Programme gegen islamistische Radikalisierung. Das ist aber der falsche Ansatz. Was wir brauchen, ist eine breite politische Bildungsarbeit, die radikalisierte Gruppen zusammendenkt und gemeinsame Narrative wie den Antisemitismus kritisch beleuchtet. Der Vorschlag verschiedener Politiker, ein sogenanntes Demokratieförderungsgesetz einzuführen, geht daher in die richtige Richtung.
Interview: Jennifer Pross
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