Islamistischer Extremismus und Terror
Islamistisch begründeter Terrorismus beschäftigt Deutschland spätestens seit den verheerenden Anschlägen in den USA vom 11. September 2001. Nach Bombenanschlägen in Madrid (2004) und London (2005) wurde in Deutschland 2007 eine "Antiterrordatei" eingeführt: 38 deutsche Sicherheitsbehörden speisen seither Informationen in diese Datenbank ein, um potentielle Attentäter früh zu erkennen. Die Angriffe von Nizza, Würzburg und Berlin haben eine erneute Diskussion um islamistisch begründeten Terrorismus ausgelöst.
Islamismus, Dschihadismus, Salafismus: Begriffe und Definitionen
Islamismus
Der Begriff Islamismus wird unterschiedlich gebraucht. Eine gängige Definition in der Wissenschaft bezeichnet den Islamismus als eine Ideologie, nach der das gesellschaftliche, rechtliche, kulturelle, politische und staatliche Leben nach islamischen Werten und Normen auszurichten ist.QuelleSeidensticker Tilman (2023), Islamismus. Geschichte, Vordenker, Organisationen, S.9, LINK; Mediendienst Integration (2019), Journalisten Handbuch zum Thema Islam, S. 27, LINK.
Jihadismus/Dschihadismus
"Jihad" ist arabisch und bedeutet Bemühung oder Anstrengung. In der islamischen Theologie gibt es den "großen Jihad", der den inneren Kampf mit Sünden, einem moralischen Leben oder dem Glauben bezeichnet. Zusätzlich gibt es noch den "kleinen Jihad". Der "kleine Jihad" wird von Jihadist*innen als Kampf für Gott und den Islam verstanden und zur Legitimierung von gewalttätigen sowie kriegerischen Handlungen instrumentalisiert. Sie sehen den "kleinen Jihad" als eine GlaubenspflichtDie Glaubenspflichten Islam sind die sogenannten fünf Säulen: 1, Glaubensbekenntnis 2, rituelle Gebete 3, Fasten im Monat Ramadan 4, Sozialabgaben an Bedürftige 5, Pilgerfahrt nach Mekka. Jihadist*innen sehen den kleinen Jihad als 6. Säule an. im Islam an. Der Großteil der muslimischen Community sieht den "Jihad" allerdings als spirituellen Kampf und lehnt Gewalt ab.QuelleStiftung Wissenschaft und Politik: "Jihadismus", LINK; Konrad Adenauer Stiftung: "Die Legitimation des Jihād im Islam ", LINK, Konrad Adenauer Stiftung: "Medien-Dschihad: Entwicklung, Inhalte und Ziele", LINK.
Salafismus
Der Salafismus ist eine Glaubensströmung, die auf eine besonders textnahe Auslegung des Koran und der Sunna sowie auf eine Religionsauslebung wie zu Zeiten Mohammeds abzielt. Viele extremistisch jihadistische Gruppen werden auch als salafistisch bezeichnet. Der Salafismus ist jedoch nicht notwendigerweise gewaltvoll.QuelleLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: "Islamismus und islamistischer Extremismus", LINK; Bundeszentrale für politische Bildung (2015): "Salafismus – was ist das überhaupt?", LINK.
Terrorismus
Laut dem Bundeskriminalamt stellen terroristische Straftaten die extremste Ausprägung von politisch oder religiös motivierter Kriminalität dar. Die Taten zielen darauf ab, das Verhalten oder die Grundsätze von Gesellschaften und Staaten zu beeinflussen. QuelleDeutscher Bundestag (2009), Terrorismus, S. 4, LINK.
Wie viele extremistische Islamisten gibt es in Deutschland?
Die Zahl der sogenannten "Gefährder" im Bereich islamistischer Terrorismus beläuft sich laut Bundeskriminalamt (BKA) zum 2. Januar 2024 auf 483 Personen:
- 97 von ihnen befinden sich in Deutschland in Haft
- 208 sind in Deutschland freizügig aufhältig
- 178 befinden sich im Ausland.
114 als "Gefährder" eingestufte Personen werden mit Haftbefehl gesucht (Stichtag 29. September 2023).QuelleAnfrage des Mediendienstes an das Bundeskriminalamt (Januar 2024).
Unter "Gefährdern" versteht das Bundeskriminalamt Personen, die "politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen könnten. Darunter fallen Straftaten im Sinne von §100a der Strafprozessordnung (StPO), wie etwa die Finanzierung von Terrorismus (§89c) oder die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat (§89a).QuelleBundeskriminalamt: "Politisch motivierte Kriminalität. Einstufung von Personen"; dejure: Strafprozessverordnung. Paragraph 100a Telekommunikationsüberwachung.
Hinzu kommen laut Bundeskriminalamt 505 "relevante Personen" (Stand 2. Januar 2024). "Relevante Personen" sind nach der Definition des Bundesinnenministeriums Personen im Umfeld von Gefährdern, die "bereit sind, bei der Vorbereitung einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung logistisch zu helfen oder zu unterstützen". 18 der "relevanten Personen" sind inhaftiert, 434 sind freizügig in Deutschland aufhältig und 53 befinden sich im Ausland.QuelleAnfrage des Mediendienstes an das Bundeskriminalamt (Januar 2024); siehe Bundeskriminalamt: "Politisch motivierte Kriminalität. Einstufung von Personen".
Die bekanntesten islamistischen Gruppen in Deutschland
Salafistische Bewegungen
Der Salafismus ist eine sunnitisch-islamistische Glaubensströmung. Die Grundlage der Strömung ist die Berufung auf die ersten drei muslimischen GenerationenDas sind die ersten drei Generationen nach dem Propheten Mohammed: seine Gefährt*innen, Begleiter*innen und Personen, die unmittelbar im Kontakt zu ihm standen, sowie die Nachkommen dieser Personengruppen. und die laut ihnen "goldene Frühzeit" des Islam. Dementsprechend werden auch der Koran und die Sunna so textnah und authentisch wie möglich – nach dem Vorbild der frommen Vorgänger*innen – ausgelegt. Jegliche abweichende oder moderne Auslegungen werden als Abweichung vom "wahren Glauben" gesehen. Unterschieden wird bei Salafist*innen zwischen den Purist*innenPurist*innen konzentrieren sich auf ein gottgefälliges Leben, welches einer möglichst reinen Lehre des Islam folgt. Das Ziel ist, ein besonders frommes Leben nach dem Vorbild des Propheten zu leben. Dabei spielen Gewalt sowie politisches Engagement nicht unbedingt eine große Rolle., politischen Salafist*innenPolitische Salafist*innen bemühen sich um ein politisches und gesellschaftliches System, welches auf ihren Zielen und ihrem Gedankengut basiert. Das Verhältnis zur Gewaltverwendung ist dabei ambivalent. und jihadistische Salafist*innenJihadistische Salafist*innen sehen die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel an, um ihre Ziele, unter anderem gegenüber ihren Feind*innen, zu etablieren. Darunter fallen etwa die Gruppe "islamische Staat" oder Al-Qaida.. Zudem unterscheidet sich die Auslebung von traditionelleren und Neo-Salafist*innen. Der Salafismus ist mit rund 11.000 Anhängern im Jahr 2022, Tendenz fallend, die größte in Deutschland vertretene extremistisch-islamistische Gruppe.QuelleBundesamt für Verfassungsschutz (2019), Salafismus in Deutschland. Missionierung und Jihad, S. 5-7, LINK; Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, LINK; Bundeszentrale für politische Bildung, LINK.
Islamischer Staat
Der „Islamische Staat“ ist eine jihadistisch-salafistische Terrororganisation, die sich in den 2000er Jahre in Jordanien, Afghanistan und Irak gründete. Zu Beginn gehörte die Organisation zu Al-Qaida, 2014 wurde sie unabhängig. Das Ziel der Gruppe ist es, die Menschen vom Islam zu überzeugen, ein globales KalifatDas Kalifat ist das Territorium des Kalifen. Dieser übernimmt die Führung der muslimischen Gesellschaft in politischer, militärischer und administrativer Hinsicht. zu errichten und damit die hervorgehobene Stellung des sunnitischen Islams wiederherzustellen. Sie versucht mit Gewalt, Anhänger*innen zu rekrutieren und Territorien zu erobern. Weltweit wird von mehreren zehntausend bis hunderttausend Mitgliedern und Anhänger*innen ausgegangen. Genaue Zahlen gibt es sowohl global als auch für Deutschland nicht. 2014 rief der IS in ein Kalifat aus, das Teile Syriens und des Iraks umfasste. Der IS wurde 2017 von mehreren Streitkräften besiegt und agiert seitdem aus dem Untergrund.QuelleLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, LINK; Guido Steinberg (2018), Das Ende des IS?, S. 7, LINK; Bundeszentrale für politische Bildung, LINK; Informationsdienst Wissenschaft, LINK; Konrad Adenauer Stiftung, LINK.
Al-Qaida
Die salafistisch-jihadistischen Terrorgruppe entstand 1988 in Afghanistan, unter anderem unter Mitwirkung Osama bin Ladens. Er war ein afghanischer MujahidinMujahidin (Pl. Form) leitet sich vom Wort Jihad ab und bedeutet übersetzt: die, die sich im Jihad engagieren., der Al-QaidaDer Name bedeutete Basis oder auch Grundsatz. zu einer multinationalen Organisation machte. Ein Ziel der Gruppe ist es, durch die selbst ernannte Befreiung von muslimisch geprägten Ländern ein Kalifat unter der Scharia zu bilden. Außerdem gilt die sogenannte westliche Welt und insbesondere die USA und Israel als zu bekämpfende Feinde. Meist werden die Vorhaben gewaltsam versucht umzusetzen. Die Kern-Gruppe al-Qaidas ist heute als eine Art Leitzentrale für etwa 5 weitere UntergruppenAl-Qaida auf der arabischen Halbinsel, Komitee zur Befreiung Syriens, Die Jugend, al-Qaida im muslimischen Maghreb, al-Qaida auf dem indischen Subkontinenten zu verstehen und nicht mehr operativ tätig. Die restlichen Organisationen sind weiterhin regional, außerhalb Europas, aktiv. Mitgliederzahlen gibt es weder für Deutschland noch global.Quelle Konrad Adenauer Stiftung, LINK; Jason Burke (2004), Al Qaeda, S.18 und 19, LINK; Bundesakademie für Sicherheit (2017), Al-Qaida seit 2011, S. , LINK; Bundeszentrale politischer Bildung, LINK; Oxford Reference, LINK.
Hizbollah
Die schiitisch libanesische Organisation und ParteiDer Name bedeutet übersetzt "Partei Gottes" entstand in den 1980ern im Kontext der "Islamischen Revolution" im Iran, der palästinensischen Bewegung und der schiitischen Mobilisierung im Libanon. Ihre Ziele sind nicht nur die Errichtung eines islamischen Staats, die Stärkung von Schiit*innen und der Widerstand gegenüber Israel, sondern auch soziale ZieleSo betreibt die Gruppe etwa Schulen, Gesundheitseinrichtungen oder günstigere Dienstleistungen als der Staat.. Der gewalttätige militärische Arm ist in Deutschland als Terrorgruppe eingestuft und die Gruppe ist seit 2020 verboten. Dennoch werden in Deutschland rund 1250 Anhänger*innen (mit Islamismuspotenzial) vermutet. Durch den regionalen Fokus gibt es wenig Aktivität der Organisation in Deutschland. Dennoch kommt es immer wieder zu Berichten von Anhänger*innen, die etwa in Moscheen Predigten halten oder schon zuvor mit der Hizbollah gearbeitet haben. Die Hauptaktivität bezieht sich auf die Finanzierung der Mutterorganisation im Libanon.QuelleBMI (2022) Verfassungsschutzbericht, S. 187, LINK; BMI (2020), Pressemitteilung, LINK; Tagesschau (2024), Erster Prozess gegen mutmaßliche Hisbollah-Mitglieder, LINK; Konrad Adenauer Stiftung, LINK; August Norton (2018), Hezbollah: A Short History, S. 25, 34-35, LINK, Zeit (2024), Will die "Partei Gottes" den großen Krieg?, LINK.
Ebenfalls islamistische und vom Verfassungsschutz beobachtete, aber nicht als gesichert extremistisch eingestufte Gruppen sind unter anderem:
Muslimbrüder
Die Muslimbrüder wurden 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet und sind mittlerweile laut Angaben des Innenministeriums NRW in etwa 70 Ländern vertreten – in Deutschland seit den 1960er Jahren. Sie sind eine sunnitisch-islamistische, aber auch pan-islamische Gruppe. Ihr Ziel ist es Ziel, ein islamisch geprägtes Regierungssystem auf Grundlage der Scharia in arabischen und muslimisch geprägten Ländern zu etablieren. Die hiesigen Vertreter*innen werden vom Verfassungsschutz beobachtet, jedoch nicht als extremistisch eingestuft. In anderen Ländern gibt es Abspaltungen von gewaltbereiten und extremistischen Gruppen – offiziell folgen die Muslimbrüder einem Gewaltverzicht. Laut einer Erhebung des Verfassungsschutzes gibt es etwa 1.450 Anhänger*innen in Deutschland.QuelleKonrad Adenauer Stiftung, LINK; Innenministerium Nordrhein-Westfalen, LINK; Verfassungschutz (2022), Verfassungsschutzbericht 2022, S. 187 und 225, LINK; Bundeszentrale für politische Bildung, LINK.
Millî Görüş
Millî Görüş ist eine türkische islami(sti)sche Organisation, die 1969 entstanden ist. Sie ist islamistisch, aber nicht Teil des extremistischen Islamismus. Das bedeutet, dass sie zwar das islamische „System der gerechten Ordnung“ langfristig auf gesellschaftlicher und politischer Ebene verankern möchte. Allerdings nicht durch Gewalt, sondern Bildungsarbeit wie etwa Finanzierung von Schulen, Moscheen oder Wohlfahrtsprojekten. In Deutschland ist die Bewegung seit den 1980er Jahren durch etwa die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) vertreten. Der Verfassungsschutz geht von rund 10.000 Mitgliedern mit Islamismuspotenzial aus. Insgesamt soll es über 30.000 Mitglieder geben. Die Eigenangaben der Organisation fallen deutlich höher aus.Quelle Verfassungsschutz Baden-Württemberg, LINK; MI Nordrhein-Westphalen, LINK; BIS Hamburg, LINK; BIM (2022), Verfassungsschutzbericht 2022, S. 187, LINK; Millî Görüş (2015), Selbstdarstellung, S. 19, LINK.
Wie viele extremistische Islamisten reisen aus Deutschland aus?
Die Zahlen
Laut Verfassungsschutzbericht 2022 sind seit 2011 mehr als 1.150 Personen aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist, bei denen der Verfassungsschutz davon ausgeht, dass sie dort auf Seiten des "Islamischen Staates" und anderer terroristischer Organisationen an Kampfhandlungen teilnehmen oder jene unterstützen wollten. Reisen in andere Länder zählen als Einzelfälle und werden statistisch nicht erfasst. In den letzten Jahren versuchten immer weniger Personen auszureisen: 2022 gab es Ausreiseversuche im unteren zweistelligen Bereich, keiner der Versuche war erfolgreich.QuelleBundesinnenministerium (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, S. 192; Anfrage des Mediendienstes beim Bundeskriminalamt.
Wer sind die ausreisenden Personen"?
Zu etwa 65 Prozent der Personen liegen dem BKA konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des sogenannten Islamischen Staats (IS), der Al-Qaida oder ihnen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben.Quelle Bundeskriminalamt auf Anfrage des MEDIENDIENST Integration, Januar 2024.
In einer Analyse aus dem Jahr 2016 haben das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das "Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus" den Radikalisierungsverlauf von ausgereisten extremistischen Islamisten untersucht. Die Ergebnisse zu 784 Personen, die ausgereist sind oder einen Ausreiseversuch unternommen haben:
- 22- bis 25-Jährige stellten die größte Altersgruppe der Ausgereisten
- Rund 21 Prozent der Ausreisenden waren weiblich
- Von 72 der 784 Personen ist bekannt, dass sie bis zu ihrer Ausreise Schüler waren. Ein Viertel von ihnen besuchte das Gymnasium, ein Viertel eine Fach-/Berufsschule beziehungsweise ein Berufskolleg. Bei 289 Personen liegen den Behörden Informationen über ihren höchsten Schulabschluss vor: 36 Prozent hatten das Abitur beziehungsweise die Fachhochschulreife erlangt, 23 Prozent einen Realschulabschluss beziehungsweise die mittlere Reife und 27 Prozent einen Haupt- oder Volksschulabschluss. Sieben Prozent hatten einen „sonstigen Abschluss“ und sieben Prozent keinen Schulabschluss.
- 134 Personen waren Konvertiten
- Zwei Drittel der Ausgereisten waren bereits polizeilich in Erscheinung getreten.QuelleBundeskriminalamt et al. (2016): "Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind", S. 12, 14, 16f.
Wie viele extremistische Islamisten kehren nach Deutschland zurück?
Sogenannte Rückkehrer*innen sind Islamist*innen, die aus Europa in die Kriegsgebiete in Syrien oder Irak reisen und sich dann wieder in Deutschland aufhalten. In vielen Fällen haben sie im Ausland Erfahrung im Umgang mit Waffen gesammelt.
Laut Verfassungsschutzbericht 2022 befinden sich 40 Prozent der rund 1.150 Ausgereisten wieder in Deutschland. Bei mehr als 150 der zurückgekehrten Personen liegen nach Angaben des Verfassungsschutzes Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder dafür eine Ausbildung absolviert haben.QuelleBundesinnenministerium (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, S. 193.
Aus welchen mutmaßlichen Gründen ausgereiste Islamist*innen eigenständig zurückkehren, zeigt eine Analyse von 2016 im Auftrag der Innenministerkonferenz:
- In zehn Prozent der Fälle seien Desillusion und Frustration ausschlaggebend gewesen.
- In weiteren zehn Prozent der Fälle sei Druck der Familie oder anderer Personen aus dem sozialen Umfeld entscheidend gewesen.
- In acht Prozent der Fälle vermuten die Behörden eine taktisch motivierte Rückkehr – um sich zu erholen oder um Ausrüstung oder Geld zu besorgen.
- Ein Viertel der Rückkehrer kooperiert mit den Sicherheitsbehörden. In 22 Prozent der Fälle kooperieren die Eltern mit den Sicherheitsbehörden.QuelleBundeskriminalamt et al. (2016): "Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind", S. 31
Chronik militant islamistischer Anschläge
In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von militant islamistischen Anschlägen in Deutschland. Die Taten wurden überwiegend von Einzeltäter*innen beziehungsweise Kleingruppen begangen. Teilweise hatten die Täter*innen Kontakte zur Terrormiliz "Islamischer Staat".
Die Chronik bietet eine Übersicht bisheriger Anschläge, bei denen Menschen verletzt wurden oder starben. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Am 6. November 2021 stach ein 27-Jähriger in einem Zug zwischen Regensburg und Nürnberg mit einem Messer auf vier Passagiere ein. Die Tat wurde von den Sicherheitsbehörden inzwischen als islamistisch motivierter Angriff eingestuft. Hinweise waren Inhalte auf dem Facebook-Account des Angreifers sowie Propagandavideos der Terrormiliz "Islamischer Staat", die bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gefunden wurden. Der 27-Jährige ist wegen dreifach versuchtem Mord und einer gefährlichen Körperverletzung angeklagt.QuelleBundesinnenministerium (2022): Verfassungsschutzbericht 2021, S. 177; taz (2022): "Anklage wegen islamistischer Tat"; Welt (2021): "Ermittler erwägen bei ICE-Messerangriff nun doch einen islamistischen Hintergrund"
- Am Abend des 4. Oktober 2020 werden in Dresden zwei Männer mit einem Messer angegriffen. Einer überlebt schwer verletzt, der andere verstirbt wenig später. Der Tatverdächtige, der seit 2015 in Deutschland lebt, wurde vom sächsischen Landeskriminalamt als islamistischer GefährderUnter einem "Gefährder" versteht die Bundesregierung Personen, die "politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen könnten. Darunter fallen schwere Straftaten im Sinne von § 100a der Strafprozessordnung (StPO), wie etwa die Finanzierung von Terrorismus oder die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat. geführt. Er stand im September 2018 vor Gericht, wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Zudem soll er versucht haben, in Chats Unterstützer*innen für die Terrormiliz "Islamischer Staat" anzuwerben. Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte den 21-Jährigen im Mai 2021 wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.Quelle Sächsische Zeitung (2021): "Höchststrafe für Messerangriff in Dresden"; Der Generalbundesanwalt (2021): "Anklage wegen des Anschlags am 4. Oktober 2020 in Dresden erhoben"; Der Spiegel (2021): "Der Mörder, der Angst vor der Hölle hat"
- Am 18. August 2020 rammt ein Mann mit seinem Wagen auf der Berliner Stadtautobahn Motorräder und Autos. Sechs Menschen werden verletzt, drei von ihnen schwer. Die Generalstaatsanschwaltschaft geht von einer militant islamistischen Tat aus. Die Polizei führte den Tatverdächtigen, der als Asylbewerber nach Deutschland kam, als Kontaktperson eines islamistischen Gefährders, weil beide in demselben Wohnheim untergebracht waren. Hinweise auf eine persönliche Verbindung gebe es nicht. Der mutmaßliche Angreifer wird vorläufig in eine psychatrische Einrichtung eingewiesen. Am 15. April 2021 begann der Prozess gegen den Angeklagten, dem unter anderem versuchter Mord in drei Fällen vorgeworfen wird.QuelleTagesspiegel (2020): "'Bizarrer, religiöser Wahn' bei Angreifer auf Stadtautobahn" und (2021): "Anwalt des Angeklagten spricht von 'schizophrenem Schub'"; Tagesschau (2020): "Tatverdächtiger kommt auf Psychatrie"
- Ein 26-Jähriger verübt am 27. April 2020 einen Brandanschlag auf ein türkisches Geschäft in Waldkraiburg (Bayern). Sechs Menschen werden verletzt. Bei der Vernehmung gibt der Täter an, Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" zu sein. Den Ermittlungen zufolge plante er weitere Attentate, unter anderem auf die Ditib-Zentralmoschee in Köln. Der Generalbundesanwalt ermittelte wegen Vorbereitung schwerer, staatsgefährdender Gewalttaten. Am 2. März 2021 wurde der Prozess vor dem Oberlandesgericht München eröffnet, der Angeklagte gesteht die Taten. Am 23.7.2021 wird er vom Gericht wegen versuchten Mordes in 26 Fällen, schwerer Brandstiftung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Zudem stellte das Gericht bei ihm Schizophrenie fest.QuelleSpiegel (2020): "Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen im Fall Waldkraiburg"; Tagesspiegel (2020): "Mutmaßlicher Täter von Waldkraiburg ist IS-Anhänger"; FAZ (2021): "Angeklagter im Prozess um Anschläge in Waldkraiburg geständig"; BR24 (2021): Anschläge in Waldkraiburg: Neuneinhalb Jahre Haft für Täter;
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Am 28. Juli 2017 greift ein 26-Jähriger mehrere Menschen mit einem Messer in einem Hamburger Supermarkt an. Ein Mann wird getötet, sechs weitere Menschen werden verletzt. Das Gericht stuft den Angreifer als Einzeltäter ein, der mit der Terrormiliz "Islamischen Staat" sympathisierte. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt.QuelleTagesspiegel (2017): "Messerstecher aus Hamburger Supermarkt wegen Mordes angeklagt"; Welt (2018): "Lebenslange Haft für Messerstecher in Hamburger Supermarkt"
- Am 19. Dezember 2016 rast ein Attentäter mit einem LKW in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz und tötet zwölf Menschen. Mehr als 50 Menschen werden verletzt, einige davon schwer. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ reklamiert den Anschlag für sich. Vier Tage nach dem Anschlag erschießt die italienische Polizei den Täter bei einem Schusswechsel in der Nähe von Mailand. Er war den deutschen Sicherheitsbehörden als militant-islamistischer GefährderUnter einem "Gefährder" versteht die Bundesregierung Personen, die "politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen könnten. Darunter fallen schwere Straftaten im Sinne von § 100a der Strafprozessordnung (StPO), wie etwa die Finanzierung von Terrorismus oder die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat. bekannt. Seit März 2018 ermittelt ein Untersuchungsausschuss, was die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern anders machen müssen, um einen solchen Anschlag künftig zu verhindern QuelleTagesschau (2019): Der Stand der Aufarbeitung, FAZ (2016): IS reklamiert Attacke auf Weihnachtsmarkt für sich
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Am Rande eines Musikfestivals in Ansbach (Bayern) zündet am 24. Juli 2016 ein Attentäter einen Sprengsatz. Er verletzt damit 15 Menschen und tötet sich selbst. Der Täter, der als Asylbewerber nach Deutschland kam, war laut Bundesamt für Verfassungsschutz mutmaßlich Sympathisant der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die den Anschlag für sich reklamierte.QuelleTagesschau (2016): "Attentat offenbar mit islamistischem Hintergrund"
- Am 18. Juli 2016 verletzt ein 17-Jähriger fünf Menschen mit einer Axt und einem Messer in einem Regionalzug bei Würzburg (Bayern). Die Polizei erschießt den Täter auf der Flucht. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) stuft die Tat "im Grenzgebiet zwischen Amoklauf und Terror" ein.QuelleSZ (2016): "Bundesanwaltschaft ermittelt zu Anschlag von Würzburg"
- Mit einer selbst gebastelten Bombe verüben drei Jugendliche am 16. April 2016 einen Anschlag auf einen Tempel der Sikh-Gemeinde in Essen. Drei Menschen werden verletzt. Die Täter werden zu Haftstrafen zwischen sechs und sieben Jahren verurteilt. Laut der Richter*innen sei ihr Motiv Hass auf andere Religionen gewesen. Zudem hätten sie Kontakt zu salafistischen Kreisen gehabt.QuelleZeit Online (2017): "Lange Haftstrafen für Anschlag auf Sikhgemeinde", FAZ (2016): "Jetzt stehen die Dschihadisten vor Gericht"
- Am 26. Februar 2016 greift eine IS-Sympathisantin einen Bundespolizisten in Hannover mit einem Messer an und verletzt ihn lebensgefährlich. Knapp ein Jahr später verurteilt das Oberlandesgericht Celle die 16-Jährige zu sechs Jahren Jugendgefängnis. Die Verbindung zur Terrororganisation „Islamischer Staat“ belegt das Gericht unter anderem durch Chats auf dem Handy der Jugendlichen.QuelleZeit Online (2017): "16-Jährige wegen Messerattacke zu sechs Jahren Haft verurteilt"
- Am 2. März 2011 erschießt ein Mann zwei US-amerikanische Soldaten am Frankfurter Flughafen. Zwei weitere verletzt er schwer. Nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft handelt es sich um einen Einzeltäter, der sich im Internet radikalisierte. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Attentat gilt als erster islamistisch motivierter terroristischer Anschlag in Deutschland.QuelleBundesinnenministerium (2012): "Verfassungsschutzbericht 2012", Spiegel (2011): "Flughafen-Attentäter gesteht Anschlag"
Zudem gibt es geplante Anschläge, die von Sicherheitsbehörden verhindert wurden oder aus anderen Gründen scheiterten. Bekannte Beispiele sind der verhinderte Sprengstoffanschlag der sogenannten "Sauerlandgruppe" 2007 und der versuchte "Kofferbomben-Anschlag" 2006, bei dem selbstgebaute Sprengsätze aus technischen Gründen nicht explodierten.Quellebpb (2010): "Lange Haftstrafen für 'Sauerland-Gruppe'", WDR (2008): "Chronologie des Schreckens"
Wie werben militante Islamisten Jugendliche an?
Welche Strategien radikale Netzwerke nutzen, um neue Mitglieder anzuwerben, zeigt eine Expertise von Wissenschaftlern der Goethe-Universität Frankfurt für den MEDIENDIENST. Demnach sprechen militante Gruppen Jugendliche meist auf der persönlichen Ebene an. In langen Erstgesprächen fragen sie nach ihrem Alltag, ihren Sorgen in der Schule und ihren Konflikten mit Eltern oder Freunden. Sie bieten den jungen Menschen ein offenes Ohr und sind über Facebook und Skype zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar. Zudem bieten sie finanzielle Unterstützung an – in Form von bezahlten Reisen oder Autos, die bei Umzügen zur Verfügung gestellt werden.
Viele Jugendliche, die sich radikalen Gruppen anschließen, haben Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht, erklären die Autoren in der Expertise. Militante Islamisten knüpfen daran an und bestätigen die Jugendlichen in ihrem Gefühl, dass sie abgehängt und von der Gesellschaft unerwünscht sind. In den Netzwerken dagegen – so das Versprechen der Gruppen – seien die jungen Menschen Teil einer Gemeinschaft, die sie braucht, anerkennt und wertschätzt.
Bei Mädchen und jungen Frauen kommen den Forschern zufolge weitere Strategien ins Spiel: Ihnen wird nahegelegt, sich auf ihre Rolle als Mutter und Ehefrau zu konzentrieren und bereits früh nach einem Partner zu suchen. Die Gruppen inszenieren das Bild einer glücklichen Beziehung und nutzen so die noch zaghafte Sehnsucht der Mädchen nach einer Partnerschaft aus. Zudem üben sie deutliche Kritik am "westlichen" Geschlechtermodell: Frauen seien hierzulande bloße Waren des Kapitalismus und würden auf ihre Sexualität reduziert. In ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter dagegen – so die Argumentation der Neo-Salafisten – erhielten Frauen die Anerkennung und Wertschätzung, die ihnen zustehe.QuelleMediendienst Integration (2017): Islamistische Radikalisierung im Rhein-Main-Gebiet, Mediendienst Integration (2020): Zahlen und Fakten - Rubrik Diskriminierung.
Was gibt es zur Prävention islamistischer Radikalisierung?
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde 2012 eine zentrale "Beratungsstelle Radikalisierung" mit einer Hotline geschaffen. Seit Schaltung der Hotline sind dort etwa 5.500 Anfragen eingegangen (Stand Ende 2023). 2023 wurde mit 330 Anrufen ein Höchststand erreicht. Die Beratungsstelle ist Teil eines bundesweiten Beratungsnetzwerks, das aus 13 zivilgesellschaftlichen und vier staatlichen Angeboten besteht.Quelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2022): 10 Jahre Beratungsstelle Prävention; Bundestagsdrucksache 19/13991, S. 13, BAMF (2024): Jahresbilanz 2023, Link
Der Bekämpfung von Extremismus im Internet dient die Seite jugendschutz.net, eine Meldestelle von Bund und Ländern.QuelleBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021): "Giffey: Islamistischer Propaganda im Netz mit Medienbildung und modernem Jugendmedienschutzgesetz begegnen
Daneben gibt es bundesweit zahlreiche Präventions- und Deradikalisierungsprogramme. Einen Überblick zu Anlaufstellen bieten die Plattform MAPEX Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung. sowie die seit 2015 geführte Datenbank der Bundeszentrale für politische Bildung. Zusätzlich gibt es eine Zusammenfassung von Projekten.
Deutschlandweite Initiativen und Beratungsstellen bietet etwa das Violence Prevention Network und auch das Projekt Demokratie Leben! – spezifisch für Berlin existiert das Landesprogramm für Radikalisierungsprävention.