Vor gut einem Jahr einigten sich die Bundesländer auf die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber*innen und Geduldete. Diese sollen ihre Sozialleistungen nur noch über die Bezahlkarte bekommen – und nicht mehr als Bargeld oder per Überweisung wie bislang.
Eine Recherche des Mediendienstes bei den zuständigen Ministerien der 16 Bundesländer zeigt: Überall ist die Bezahlkarte gestartet, außer in Berlin. Doch die Nutzungsregeln für die Karte unterscheiden sich zum Teil deutlich. Während zum Beispiel in Bayern grundsätzlich keine Online-Käufe möglich sind, erlauben die meisten anderen Bundesländer diese.Quelle
Übersicht zu den wichtigsten Regeln
Zur Tabelle mit den Ergebnissen der Recherche >> Tabelle
Start der Bezahlkarte
In allen Bundesländern, außer in Berlin, ist die Bezahlkarte gestartet. Am schnellsten war Hamburg, wo die Ausgabe der Karten im Februar 2024 begann. Seitdem folgten die anderen Bundesländer, so die Ministerien auf Anfrage. In Berlin ist die Bezahlkarte beschlossen, aber es gibt noch keinen Termin für den Start. Einige Kommunen haben sich gegen die Einführung der Bezahlkarte entschieden: Potsdam hat diese schon abgelehnt. In Nordrhein-Westfalen haben die Stadträte von Düsseldorf, Münster und Krefeld gegen die Bezahlkarte gestimmt. Abstimmungen über Ausnahmen zur Bezahlkarte-Regelung bzw. Möglichkeiten, diese nicht einzuführen (Opt-Out) soll es auch in anderen Städten geben – darunter Köln, Dortmund und Mönchengladbach.Quelle
Bargeld-Limit bei Abhebungen
In 13 von 16 Bundesländern gibt es ein "Abhebe-Limit" von 50 Euro pro Person und Monat. Mehr Geld können Geflüchtete nur in Thüringen abheben (bis 120 Euro, je nach Region) sowie in Rheinland-Pfalz (Empfehlung von 130 Euro) und in Bremen (bis 200 Euro). Die 50-Euro-Grenze gilt meist auch für Kinder und Jugendliche, nur vereinzelt gibt es für sie weniger, etwa in Brandenburg (25 Euro) oder Hamburg (10 Euro). In Berlin soll das Limit nur in den ersten sechs Monaten gelten.Quelle
Zum Hintergrund: Eines der Ziele der Bezahlkarte war, dass Geflüchtete nur noch einen Teil ihrer Leistungen in Bargeld bekommen. Es gab Bedenken, ob ein pauschales Limit rechtmäßig sei. Gerichte in Hamburg und Nürnberg hielten das pauschale Bargeld-Limit in bestimmten Fällen für rechtswidrig. Bremen und Thüringen hatten sich für ein höheres Limit eingesetzt, nämlich bis 120 Euro, das sie nun auch umsetzen.Quelle
Wie funktioniert die neue Bezahlkarte?
Die neue Karte für Asylbewerber*innen und Geduldete soll eine Debitkarte mit Guthaben sein, das monatlich "aufgeladen" wird. Die Geflüchteten können damit abheben. Überweisungen und Online-Käufe sind nur eingeschränkt möglich.
Jedes Bundesland kann selbst entscheiden, welche weiteren Funktionen die neue Karte hat und welche nicht. In den meisten Ländern gibt es ein monatliches Limit für Abhebungen von 50 Euro und je nach Bundesland unterschiedliche Einschränkungen. In den ersten Monaten, während sie in Erstaufnahmeunterkünften wohnen, erhalten Geflüchtete 204 Euro. Danach erhalten alleinstehende Geflüchtete monatlich 441 Euro, das ist etwa 20 Prozent weniger als Bürgergeld-Empfänger. Mehr…
Möglichkeit von Überweisungen
Überweisungen ins Ausland sind generell ausgeschlossen. Innerhalb Deutschlands sind Überweisungen aktuell in fünf Bundesländern ausgeschlossen. In den anderen Ländern sollen sie teilweise oder ganz möglich sein. In einigen Bundesländern ist die Frage noch nicht entschieden. Je nach Bundesland gibt es folgende Modelle:
- Keine Überweisungen (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, NRW*, Schleswig-Holstein, Thüringen)
- Überweisungen teilweise oder nach Prüfung möglich (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt) oder
- Überweisungen weitgehend erlaubt (Hamburg, Hessen, Niedersachsen).
- In einigen Bundesländern ist die Frage noch nicht entschieden (Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland).Quelle
*In NRW ist die Möglichkeit von Überweisungen ab Frühjahr geplant.
Geldtransfers
Hier gilt überall dieselbe Regelung: Geldtransfers ins Ausland über spezielle Dienstleister, wie zum Beispiel Western Union oder MoneyGram, sind nicht möglich.Quelle
Online-Käufe
Bei Online-Käufen gelten je nach Bundesland unterschiedliche Regelungen. In 11 von 16 Bundesländern sind Online-Käufe ganz oder teilweise erlaubt:
- Keine Online-Käufe (Bayern, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen)
- Online-Einkäufe teilweise oder nach Prüfung (Brandenburg, Hamburg)
- Online-Käufe weitgehend erlaubt (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein).
- Im Saarland ist die Frage noch nicht entschieden.Quelle
Weitere Beschränkungen
Einige Bundesländer haben besonders weitgehende Einschränkungen bei den Funktionen der Bezahlkarte. So ist es in Bayern möglich, den Einsatz der Karte auf den Wohnsitz-Landkreis bzw. Wohnsitz-Stadt der Geflüchteten zu begrenzen. In Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Hamburg sind Glücksspiel-Anbieter ausgeschlossen.
Nicht umgesetzt wurde hingegen die Ankündigung, dass Geflüchtete mit der Karte zum Beispiel keinen Alkohol bezahlen können. Abhebungen am Geldautomaten kosten 65 Cent pro Abhebung. In Supermärkten kann meist kostenfrei Geld abgehoben werden.Quelle
Was bewirkt die Bezahlkarte?
Befürworter der Bezahlkarte verweisen auf die praktischen Vorteile: Das monatliche "Abholen" des Geldes beim Amt entfällt. Geflüchtete könnten einfacher bezahlen, auch wenn sie noch kein Bankkonto besäßen, so etwa die Stadtverwaltung Hannover. Kritiker hingegen argumentieren, durch die Beschränkungen bei der Bezahlkarte werde das alltägliche Leben von Geflüchteten erschwert.
Welche Auswirkungen die Bezahlkarte auf Integration und Teilhabe haben wird, hängt laut Migrationsforscher Herbert Brücker von der Ausgestaltung ab. Je ähnlicher diese einem allgemeinen Zahlungsmitel wie einer Kredit- oder Scheckkarte sei, desto geringere negative Effekte seien zu erwarten. Besonders kritisch seien hingegen lokale und regionale Beschränkungen des Einsatzes von Bezahlkarten, denn weniger Mobilität erschwere auch die Arbeitsmarktintegration.Quellen
Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass die Karte im Alltag zu vielen praktischen Problemen führe. In einigen Kommunen in Bayern oder Hessen haben Initiative begonnen, Gutscheine, die mit Bezahlkarten erworben wurden, in Bargeld umzutauschen. Das niedersächsische Innenministerium erklärt laut Medienberichten, das sei rechtlich zulässig und könne auch technisch nicht verhindert werden.Quelle
Ein Hauptargument für die Einführung der Bezahlkarte war, dass Überweisungen von Sozialleistungen ins Ausland erschwert würden. Damit sollte verhindert werden, dass diese zur Bezahlung von Schleppern benutzt werden können. Tatsächlich dürften die geltenden Regelungen solche Überweisungen schwierig machen.
Es gibt aber Zweifel, ob das vor der Bezahlkarte häufig der Fall war. Der Migrationsforscher Brücker vermutete im vergangenen Jahr, dass die Wirkungen der Bezahlkarte auf Rücküberweisungen "gering ausfallen" werden. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass schon vor der Bezahlkarte nur 7 Prozent der Geflüchteten angaben, Geld in ihre Heimatländer zu überweisen. Quellen
Von Carsten Wolf und Fabio Ghelli
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.