Mediendienst: Herr Lücke, aktuell wird an einer Bezahlkarte für Asylbewerber*innen gearbeitet. So sollen Geflüchtete kein Geld mehr ins Ausland überweisen können. Kann das funktionieren?
Prof. Dr. Matthias Lücke: Das ist eine Symbol-Debatte. Die Bezahlkarte ist ein einfaches Bild für die Politik, um zu sagen: Seht her, wir tun etwas! Aber sie wird niemand davon abhalten, Geld nach Hause zu schicken.
Warum?
Wer Geld schicken möchte, kann die Einschränkungen leicht umgehen: Man kann zum Beispiel für einen Freund einkaufen und sich dann von ihm Bargeld auszahlen lassen. Ich sehe nicht, was eine Bezahlkarte daran ändern könnte.
Solange Geflüchtete von Sozialleistungen leben, haben sie außerdem nur wenig Geld, das sie überweisen können. Von 460 Euro im Monat Sozialhilfe bleibt am Monatsende nicht viel übrig. Wer Geld ins Ausland überweist, sind eher Migrant*innen, die hier arbeiten und Geld verdienen. Sie dürfen natürlich weiter ihr Geld überweisen.
Also schicken Geflüchtete gar kein Geld ins Ausland?
Doch. Aber es ist vermutlich sehr viel weniger als man angesichts der Debatte glauben mag. In Asylherkunftsländer geht nur ein Bruchteil der Rücküberweisungen, nämlich um die 10 Prozent.
Ein Großteil dürfte stattdessen von Arbeits-Migrant*innen stammen, die genug verdienen, um einen Teil ihres Lohns nach Hause zu schicken. Dreiviertel aller Rücküberweisungen, nämlich mehr als 5 Milliarden Euro, gingen letztes Jahr in Länder in Europa – aus denen nicht sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Prof. Dr. Matthias Lücke ist Senior Researcher am Kiel Institut für Weltwirtschaft und Honorarprofessor an der Universität Kiel. Von 2000 bis 2003 hat er als Senior Economist beim Internationalen Währungsfonds gearbeitet. Er forscht und lehrt zu den Themen Migration, Entwicklung, internationaler Handel und europäische Integration.
Warum sind Rücküberweisungen eigentlich ein Problem?
Ich sehe sie nicht als Problem. Auch hier finde ich die deutsche Debatte schräg. Es heißt immer, wenn Geflüchtete Geld nach Hause überweisen, könne das dazu führen, dass mehr Geflüchtete kämen – also eine Art "Pull-Faktor". Es kann auch genau das Gegenteil passieren: Rücküberweisungen können Migration verhindern.
Wieso können Überweisungen Migration verhindern?
Aus Sicht der Migrationsforschung haben Rücküberweisungen meist positive Effekte: Die Empfänger-Haushalte in armen Ländern haben eine bessere Ernährung, können sich eher medizinische Behandlungen leisten oder ihre Kinder zur Schule schicken. Rücküberweisungen, oder englisch "remittances" reduzieren die Armut für diese Menschen deutlich. Gerade wer in Deutschland sparsam von Sozialleistungen lebt, schickt vermutlich nur Geld an Familienmitglieder, denen es wirklich schlecht geht.
Durch diese Geldtransfers kommt insgesamt dreimal so viel Geld in ärmere Länder wie durch alle Entwicklungsgelder zusammen. Sie verbessern die Lebensbedingungen vor Ort, so dass der Druck auszuwandern abnimmt. Rücküberweisungen können also auch für weniger Migration sorgen.
Aber werden so nicht auch Schleuser finanziert?
Nein, das denke ich nicht. Schleuser verlangen meist ihre Bezahlung vorab. Wenn Menschen aus ärmeren Ländern migrieren, legt oft eine Familie das Geld zusammen, damit ein Mitglied sich auf den Weg zum Beispiel nach Europa machen kann. Sie investieren sozusagen in die Migration. Und natürlich wollen sie ihr Geld irgendwann zurückhaben.
Das ist ein großer Anreiz für Migrant*innen und Geflüchtete, im Zielland zu arbeiten, also etwa in Deutschland. Sie wollen ihrer Familie das Geld zurückzahlen, das diese investiert hat. Und das geht natürlich erst dann, wenn man genug verdient. Wer sich mit Sozialhilfe zufriedengibt, könnte seiner Familie kaum genug Geld schicken.
Wie viel Geld geht überhaupt ins Ausland?
Dazu gibt es nur Schätzungen, die sehr unsicher sind. Die einzelnen Zahlungen betragen typischerweise nur wenige hundert Euro und dann wird der Zahlungsgrund statistisch nicht sorgfältig erfasst. Deshalb schätzt die Deutsche Bundesbank die Höhe der Überweisungen in ein Land jeweils anhand der Zahl der ausländischen Beschäftigten in Deutschland – also anhand derer, die hier einen Job haben. Nicht anhand der Personen, die hier Sozialleistungen erhalten. Aussagen darüber, wie viele Menschen einen Teil ihrer Sozialleistungen ins Ausland überweisen, sind anhand dieser Zahlen nicht möglich.
Der gesunde Menschenverstand sagt: Natürlich unterstützen Asylsuchende ihre Familien in den Heimatländern oder in anderen Aufnahmeländern so gut es geht, besonders in Notfällen. Aber nochmal: Es dürfte deutlich weniger Geld sein, als man das anhand der aktuellen Debatte vermuten könnte.
Gibt es negative Folgen von Rücküberweisungen?
Ich sehe kaum welche. Migrant*innen und Geflüchtete geben etwa 80 Prozent ihrer Einnahmen dort aus, wo sie leben – sei es aus Sozialhilfe oder Arbeit. Davon profitiert vor allem die Wirtschaft hier. Der Rest sorgt für weniger Armut im Herkunftsland.
Zwar gibt es auch Forschungen, die davor warnen, dass insgesamt sehr hohe Rücküberweisungen in kleinen Ländern zu Nachteilen führen. Etwa weil sich die lokale Wirtschaft zu sehr auf die Gelder aus dem Ausland ausrichtet und Exporte international nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ich sehe aber nirgendwo solche negativen Auswirkungen – in armen Ländern sind steigende Reallöhne erst einmal eine gute Nachricht. Die Bezahlkarten – und andere Einschränkungen von Rücküberweisungen – könnten allerdings andere negative Effekte haben.
Inwiefern könnten Bezahlkarten negativen Folgen haben?
Es kommt auf die Details an. Die Idee, Geldtransfers von Geflüchteten stärker zu kontrollieren, kann nach hinten losgehen. Wenn man es Menschen erschweren würde, Geld auf regulären Wegen wie etwa durch Geldtransferorganisationen ins Ausland zu schicken, drängt man sie in eine Schattenwirtschaft, zum Beispiel in das sogenannte Hawala-System.
Was ist das Hawala-System?
Hierbei handelt es sich um ein Geldtransfer-System, das über Vertrauenspersonen funktioniert. Vereinfacht gesagt zahlt man hierzulande Geld an eine Kontaktperson. Diese gibt eine Meldung ins Zielland, sagen wir nach Somalia. Dort kann sich der Empfänger bei einer weiteren Kontaktperson das Geld auszahlen lassen – ohne dass wirklich Geld geflossen ist. Dieses System funktioniert abseits von Banken und staatlichen Kontrollen.
Das Problem: Das Geld von Migranten und Geflüchteten würde in so einem Fall für Liquidität sorgen in einem System, das man nur schwer kontrollieren kann. Und es gab schon Fälle, wo aus solchen Netzwerken heraus Geldwäsche betrieben oder sogar Terrorismus finanziert wurde. Man sollte Geflüchtete nicht in solche irregulären Dienste treiben.
Interview: Carsten Wolf
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