In der Debatte über Flüchtlinge in Deutschland wird immer wieder behauptet, Geflüchtete würden einen bedeutsamen Teil ihrer Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Belege, dass das in relevanten Größenordnungen passiert, gibt es nicht. Rücküberweisungen werden nicht erfasst oder gemessen – sie werden nur geschätzt. Aber die Behauptung diente zum Beispiel als Argument, um eine neue Bezahlkarte für Geflüchtete einzuführen.
>> Das ganze Factsheet "Rücküberweisungen von Migranten" hier zum Download (als pdf, 200kb),
Stand: Februar 2023
>> In einem Interview erklärt der Wirtschaftsforscher Lücke, warum die Bezahlkarte Rücküberweisungen kaum reduzieren wird >> hier zum Interview
Was sind Rücküberweisungen?
Bei Rücküberweisungen (engl.: Remittances) handelt es sich um private Geldtransfers ins Ausland. Meist sind Überweisungen von Ausländer:innen in Deutschland an die Familie oder Freunde im Herkunftsland gemeint – für alltägliche Kosten, Arztbesuche oder Schulgeld. Nicht gemeint sind Transfers zwischen Staaten oder Unternehmen. Weil sie meist nicht meldepflichtig sind, kann ihre Höhe nur geschätzt werden. Das Problem: Die Schätzungen zu Rücküberweisungen werden oft zu weitreichend interpretiert.
Schätzungen der Bundesbank
Insgesamt flossen nach Schätzungen der Bundesbank etwa 6,8 Milliarden Euro als Rücküberweisungen ins Ausland, so die vorläufigen Zahlen für 2023. Im Vergleich zum Vorjahr wäre das ein leichter Rückgang (2022: 7,1 Milliarden). Die Gründe dafür sind unklar. Trotz des leichten Rückgangs sind die Werte weiter auf hohem Niveau.Quelle
Ein Großteil ging an Angehörige in Europa (75 Prozent, 5 Milliarden). Besonders viel Geld ging in die Türkei (834 Mio.), Rumänien (604 Mio.), Polen (534 Mio.) und die Ukraine. Das ist wenig überraschend, da aus diesen Ländern auch die meisten Arbeitsmigrant:innen in Deutschland beschäftigt sind. Rücküberweisungen in die Ukraine sind seit dem Kriegsbeginn besonders stark gestiegen (+530 Prozent, 2023: 451 Millionen).Quelle
Einen Rückgang gab es im vergangenen Jahr bei den Rücküberweisungen in Asylherkunftsländer (-11 Prozent, insgesamt rund 830 Mio.). Der Rückgang betrug etwa 10 bis 15 Prozent je nach Land. In diese Länder fließen schätzungsweise rund 12 Prozent aller Rücküberweisungen. Zu den Asylherkunftsländern gehören zum Beispiel Syrien (-12 Prozent, 360 Mio.), Irak (-10 Prozent, 109 Mio.) oder Afghanistan (-15 Prozent, 139 Mio.). Ein großer Teil davon dürfte von Geflüchteten stammen, die in Deutschland einen Job gefunden haben und Geld verdienen (2023: 630.000 Beschäftigte, Link). Ob Personen darunter sind, die Teile ihrer Sozialleistungen ins Ausland überweisen, ist unklar.
Zur Methode: Der allergrößte Teil privater Rücküberweisungen wird von der Bundesbank geschätzt, im Rahmen der Zahlungsbilanz. Meldungen zu einzelnen Geldüberweisungen erhält sie nur bei Überweisungen von über 12.500 Euro. Die Bundesbank schätzt die Rücküberweisungen insbesondere anhand der Beschäftigten in Deutschland – also auf Basis der Migrant:innen, die meist nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. Die Bundesbank betont: Auf Basis dieser Zahlen lässt sich keine Aussage darüber treffen, ob Geflüchtete Teile ihrer Sozialleistungen ins Ausland überweisen.
Mehr Details zur Methode finden sich im Factsheet auf Seite 3 (Link).
Schätzungen der Weltbank
Auch die Weltbank schätzt für Deutschland einen Rückgang der Rücküberweisungen für 2023 (rund -4 Prozent, bis zum 3. Quartal), so eine Antwort auf Anfrage des Mediendienstes. Im Jahr 2022 schätzte sie die Höhe der Rücküberweisungen aus Deutschland auf 17,1 Milliarden Dollar oder 15,9 Milliarden Euro.Quelle
Die Summe ist deutlich höher als bei der Bundesbank, weil die Weltbank unter "Remittances" drei Größen zusammenfasst: Einkommen von temporären ausländischen Arbeitskräften (unter 12 Monate im Land), Rücküberweisungen von Arbeitsmigrant:innen (länger als 12 Monate im Land) sowie Vermögensübertragungen. Die Weltbank greift für diese Schätzungen auch auf Meldungen der Bundesbank zurück, rechnet sie aber anders zusammen.
Weltweit gesehen steigen Rücküberweisungen seit Jahren an. Expert:innen schätzen, dass dieser Trend anhalten wird. Trotzdem sieht die Weltbank aktuell für 2023 ein langsameres Wachstum oder sogar eine Stagnation bei den Remittances. Als Gründe nennt sie eine langsamere wirtschaftliche Entwicklung in Sendeländern und sinkende Reallöhne. Die meisten Remittances weltweit gehen laut Weltbank nach Indien, Mexiko, China, die Philippinen und Pakistan.Quelle
Die Weltbank schätzt neben den ausgehenden Überweisungen auch, wie viele Remittances in Länder eingehen. Für europäische Länder schätzt sie höhere Werte für Zahlungen aus Deutschland: Polen (3,2 Mrd. USD), Türkei (1,8 Mrd. USD). Für Asyl-Länder schätzt sie deutlich niedrigere Werte von Zahlungen aus Deutschland für 2021: Afghanistan (24 Mio. USD), Irak (83 Mio. USD), für Syrien gibt es keine Angaben.Quelle
Zur Methode: Die Weltbank schätzt die Höhe der Remittances auf Basis von Zahlen der Nationalbanken sowie nach der Zahl der Migrant:innen in einem Land sowie der Lohndifferenz zwischen Herkunfts- und Zielland.Quelle
Welche Folgen haben Rücküberweisungen?
International gibt es eine lange Debatte darüber, welche Rolle Rücküberweisungen für die Empfängerländer spielen:
Vorteile: Mit den Geldern finanzieren Migrant:innen ihre Familien in den Herkunftsländern. Diese können damit alltägliche Kosten bezahlen, Arztbesuche oder das Schulgeld für ihre Kinder. Rücküberweisungen reduzieren damit direkt die Armut der Empfänger:innen. Sie übersteigen in den letzten Jahren deutlich den Wert aller Entwicklungshilfen zusammen und auch denen von Investitionen durch Unternehmen.
Nachteile: Rücküberweisungen können die Wirtschaft im Zielland schwächen. Importe werden billiger und konkurrierende inländische Unternehmen sowie Exporteure werden weniger wettbewerbsfähig. Einige Haushalte, die keine Rücküberweisungen erhalten, leiden möglicherweise unter steigenden Preisen für lokale Güter und Dienstleistungen. Kinder leiden an Abwesenheit eines Elternteils, wenn es im Ausland arbeitet.
Was sagen Experten?
Statements von Prof. Dr. Matthias Lücke, Senior Researcher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, vorher Senior Economist beim Internationalen Währungsfonds
"Die Schätzungen der Bundesbank für Rücküberweisungen sagen nicht, aus welchen Einkommensarten die Rücküberweisungen bezahlt werden. Sie bilden nur ungefähre Trends ab. Auch die Schätzung der Zahlungsflüsse in einzelne Länder ist sehr unsicher."
"Das meiste Geld dürfte von Arbeitsmigranten stammen, die genug verdienen, um einen Teil ihres Lohnes nach Hause zu überweisen."
"Die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete könnte nach hinten losgehen. Wenn man Geflüchteten durch verschärfte Überwachung Überweisungen ins Ausland erschwert, weichen diese möglicherweise auf informelle Bezahl-Netzwerke aus, wie etwa das Hawallah-System, die nur teilweise legal sind."
Von Carsten Wolf und Fabio Ghelli
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.