Viele Migrant*innen haben in der Corona-Pandemie ihre Jobs verloren. Die Weltbank prognostizierte, dass Rücküberweisungen in die Herkunftsländer – sogenannte Remittances – um bis zu 20 Prozent abnehmen würden. Das hätte massive Auswirkungen auf die dortigen Volkswirtschaften.
Doch tatsächlich war der Einfluss der Pandemie erstaunlich gering. Zwar gab es zwischenzeitlich einen Einbruch von 10 bis 20 Prozent im zweiten Quartal 2020, allerdings erholten sich die Zahlen bereits im folgenden Quartal wieder. Dafür könnte es verschiedene Gründe geben, vermutet Matthias Lücke. Der Arbeitsmarktforscher forscht am Kieler Institut für Weltwirtschaft zu Rücküberweisungen. Er sagt: "Migranten schicken oft kurzfristig mehr Geld in ihr Heimatland, wenn es benötigt wird – das wissen wir aus der Vergangenheit." Etwa bei Naturkatastrophen oder anderen Krisen. Dennoch findet er es ungewöhnlich, dass während der Corona-Pandemie weiterhin so viel Geld geschickt wurde. Schließlich waren auch die Absender der Überweisungen selbst von der Pandemie betroffen.
"Das Geld zu reduzieren, kommt nicht in Frage"
"Es ist keine Option zu sagen, okay, ich habe meinen Job verloren und deshalb kann ich nichts mehr schicken", sagt Ansar Jasim von der syrischen NGO "Adopt a Revolution". Sie beobachtet, dass syrische Migrant*innen in Deutschland eher bei sich selbst sparen, als Überweisungen an ihre Verwandten einzustellen. Manche verzichten sogar darauf, ein Studium aufzunehmen, weil sie sonst nicht ihre Familie unterstützen könnten.
Auch staatliche Hilfen bei Jobverlust könnten den Einbruch der Zahlungen abgemildert haben. Hinzu kommt ein statistisches Phänomen: Überweisungen, die vorher nicht erfasst wurden, wurden in der Pandemie registriert. Denn viele informelle Wege sind während der Pandemie weggefallen – zum Beispiel Bekannte als Geldboten. Viele nutzten deshalb offizielle Finanz-Dienstleister. Viele Migrant*innen nutzen informelle Wege, entweder weil es keine offiziellen gibt oder weil sie ein Vielfaches kosteten. Auch weltweit sind die Werte der Rücküberweisungen im Jahr 2021 insgesamt stabil und vergleichbar mit denen vor Beginn der Pandemie.
Wie viel Geld überweisen Migranten aus Deutschland?
Insgesamt flossen 2020 etwa 6 Milliarden als Rücküberweisungen ins Ausland. Ein Großteil ging an Angehörige in Europa (4,4 Milliarden). Besonders viel Geld geht in die Türkei, nach Polen, Italien und Rumänien. Das ist wenig überraschend, da aus diesen Ländern in der Vergangenheit die meisten Menschen zum Arbeiten nach Deutschland kamen. Besonders stark stiegen Rücküberweisungen in "Asylherkunftsländer", vor für Syrien, der Irak und Afghanistan. Diese Gelder dürften vor allem von Geflüchteten stammen, die sich inzwischen am Arbeitsmarkt integriert haben. Quelle
Die Zahlen zu Remittances sind Schätzungen. Die Überweisungen zu messen ist kompliziert, da sie als solche nicht in Zahlungsbilanzen auftauchen. Meist liegen sie unter der Grenze von 12.500 Euro und müssten deshalb nicht gemeldet werden, wie die Bundesbank schreibt.
Welche Auswirkungen haben Rücküberweisungen?
Mit den Geldern finanzieren die Familien in den Herkunftsländern etwa Arztbesuche oder ermöglichen es Kindern, zur Schule zu gehen. Und sie reduzieren generell die Armut der Empfänger.
Für die Wirtschaft des Herkunftslandes sind Rücküberweisungen meist von Vorteil. Laut Matthias Lücke gab es in einigen Ländern wie zum Beispiel Moldawien durch die höhere Nachfrage teilweise sehr schnelle Lohnsteigerungen.
Es gibt aber auch Nachteile: Rücküberweisungen können die Inflation verstärken, da die Wirtschaft mehr importiert und selbst weniger konkurrenzfähig ist. Und Haushalte, die keine Rücküberweisungen erhalten, leiden an der Preissteigerung.
Für die kommenden Jahre sehen Ökonom*innen einen weiteren - wenn auch gedämpften - Anstieg der Rücküberweisungen. So die Prognose von KNOMAD, einer Initiative der Weltbank, die regelmäßig Berichte zur aktuellen Situation herausbringt. So sollen die andauernde Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen der Hauptgrund für das gehemmte Wachstum sein. Es wird erwartet, dass die Rücküberweisungsströme um 2,6 Prozent ansteigen, wobei es große Unterschiede zwischen einzelnen Regionen geben soll.
Eine aktuelle Übersicht zum Forschungsstand zu "Rücküberweisungen" bietet die Bundeszentrale für politische Bildung, hier >>
von Latife Nasser
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.