Seit 2018 entwickelt sich Polen vom Auswanderungs– zum Einwanderungsland. Dennoch: Der Anteil der Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte ist im internationalen Vergleich niedrig. So waren 2023 nur 2,5 Prozent der rund 38 Millionen Einwohner*innen im Ausland geboren (in Deutschland waren es 19,5 Prozent). .Quelle
Trotz Regierungswechsel: Keine Entspannung in Sachen EU–Asylpolitik
Seit Dezember wird Polen von einem liberal-zentristischen Regierungsbündnis unter dem Vorsitz der Bürgerkoalition (KO) regiert, die den Premierminister Donald Tusk stellt. Die Koalition übernahm nach zwei Amtszeiten der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die PiS hatte acht Jahre lang einen Konfrontationskurs mit der EU in Sachen Asylpolitik gefahren und 2023 (zeitgleich mit der Parlamentswahl) ein Referendum gegen die Asylpolitik der Europäischen Union einberufen.Quelle
Tusks Regierung verkündete im Februar, bis 2030 eine Reihe migrationspolitischer Gesetze auf den Weg zu bringen. Der federführende Unterstaatssekretär Maciej Duszczyk sieht Polen als Einwanderungsland vor neuen Aufgaben und führt Deutschland regelmäßig als Negativbeispiel für verpasste Integration an. Das Gesetzpaket soll auch Todesfälle Geflüchteter an der polnisch–belarusischen Grenze verhindern. Die liberal-progressive Regierung unter Tusk setzt in der Grenzpolitik aber grundsätzlich den restriktiven Kurs der PiS-Regierung fort.Quelle
Welche Migrationsbewegungen machten Polen zum Einwanderungsland?
Ukrainische Geflüchtete
Polen hat nach Deutschland die größte Zahl ukrainischer Kriegsflüchtlinge aufgenommen, derzeit sind es rund 954.000 (Stand: 09. April 2024). Im Sommer 2022 waren es zeitweise 1,6 Millionen. Schon vor Februar 2022 lebten schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Ukrainer*innen in Polen.
Viele Ukrainer*innen sind nach Polen gezogen, nachdem die polnische Regierung 2013 die Voraussetzungen für Arbeitsmigration aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion gelockert hat. 2014 brach dann Krieg in den östlichen Regionen des Landes aus. Die meisten, die vor 2022 kamen, waren Männer, sehr viele hatten befristete Aufenthaltstitel sowie Arbeitsverträge im Niedriglohnsektor.Quelle
Arbeitsvisa an Drittstaatler*innen
Polen vergibt seit etlichen Jahren europaweit die meisten Aufenthaltstitel zu Arbeitszwecken: Die Zahl stieg von 2013 bis zum Höhepunkt 2021, als Polen mit mehr als 790.000 knapp 60 Prozent aller Aufenthaltstitel aus Beschäftigungsgründen in der EU (erstmals erteilte Aufenthaltstitel) erteilte. 2022 waren es rund 447.000. Eine laufende Untersuchungskommission soll Korruptionsfälle in der Arbeitsvisa–Vergabe durch die PiS Regierung aufklären.Quelle
Europawahl: EU-Asylpolitik im Mittelpunkt
Die Bürgerkoalition führte in Umfragen zuletzt mit 31 Prozent Zustimmung deutlich vor der PiS (22 Prozent); auf den zentristisch-konservativen Dritten Weg (Trzecia Droga) und die Neuen Linken entfielen jeweils elf Prozent.Quelle
Bei den Wahlen 2019 gewann die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die zu der Zeit Polens Regierung stellte, 25 der 52 polnischen Sitze im Europarlament. Die Bürgerplattform kam auf 11 Sitze, die Neue Linke auf fünf.Quelle
Der Startschuss für die Wahlkampagne fiel in Polen erst in der zweiten Aprilwoche. Bislang bestimmen personalpolitische Entscheidungen die Debatten, Wahlprogramme gibt es keine. Sicher ist aber: Die PiS wird vor allem mit strikter Ablehnung der EU-Asylpolitik auf Wählerfang gehen. Zentral ist in der polnischen Debatte die Umverteilung Geflüchteter auf die EU-Mitgliedstaaten – Umfragen zufolge lehnen die meisten Pol*innen den sogenannten Solidaritätsmechanismus, den die GEAS–Reform vorsieht, ab.
Seitdem die Bürgerkoalition im Dezember 2023 Polen regiert, hat sich das Verhältnis zwischen Polen und der EU deutlich entspannt, etwa in Punkto Rechtstaatlichkeit. In der europäischen Migrations- und Asylpolitik vertritt die Bürgerkoalition jedoch eine ähnlich restriktive Linie. So ist sie wie die PiS erklärter Gegner der GEAS-Reform.
Mehr zu Zahlen und Debatten rund um Migration im Europawahlkampf 2024 in Polen, Frankreich und Italien gibt es hier im Factsheet: LINK.
Eurobarometer: 70 Prozent wollen wählen, Migration nicht das entscheidende Thema
Laut dem „Eurobarometer“ befinden die meisten Pol*innen Migration für nicht so zentral für die Europawahl wie etwa Sicherheitspolitik und die GesundheitsversorgungQuelle
70 Prozent der Pol*innen gab, an den Europawahlen teilnehmen zu wollen (Stand: April 2024). 2019 lag die Wahlbeteiligung bei knapp 46 Prozent.Quelle
Von Martha Otwinowski
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