Am 15. Oktober hat Polen ein neues Parlament gewählt. Neben den Wahlberechtigten in Polen konnten auch viele der im Ausland lebenden Polinnen und Polen abstimmen. In Deutschland lebt eine der größten Einwanderergruppen weltweit. Wie viele gingen wählen und welchen Parteien gaben sie ihre Stimme?
Wahlergebnis der Parlamentswahl: Regierungswechsel wahrscheinlich
Auch die Stimmen der deutschen "Polonia" (dt.: Auslands-Pol*innen) trugen dazu bei, dass die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihre Mehrheit im Sejm, der wichtigeren Parlamentskammer in Warschau, verlor. Ein Regierungswechsel gilt als wahrscheinlich.
Hier ein Überblick, welche Stimmanteile die Parteien insgesamt erzielten und wie das Abstimmungsverhalten der Wähler*innen in Deutschland sowie der Polinnen und Polen weltweit ausieht:
Im europaweiten Vergleich gab die deutsche "Polonia" dem größten Oppositionsbündnis der Bürgerkoalition (KO) anteilig mit die meisten Stimmen – europaweit stimmten nur in Luxemburg und Spanien noch mehr Wähler*innen für die Bürgerkoalition. In anderen Ländern war auch die Unterstützung für andere Oppositionsbündnisse höher.
Auch bei vorherigen Wahlen stimmten weltweit verstreut lebende Polinnen und Polen größtenteils für Oppositionsparteien: Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 stimmten drei Viertel der Auslands-Pol*innen für den Kandidaten der Bürgerkoalition, auch bei den vergangenen Parlamentswahlen 2019 stand die KO mit 37 Prozent an erster Stelle, die PiS erhielt damals 29 Prozent.
Europaweit die meisten in Deutschland
Außerhalb Polens leben europaweit die meisten Menschen mit polnischer Staatsbürgerschaft in Deutschland, etwa 1,2 Millionen laut Ausländerzentralregister (AZR).Quelle
Im Vereinigten Königreich lebt die zweitgrößte polnische Einwanderergruppe in Europa außerhalb des Heimatlandes, etwa 895.700 Personen.Quelle
Mehr zu Zahlen der Einwohner*innen mit polnischem Migrationshintergrund in Deutschland im FACTSHEET. Darin auch: Was steht zur Wahl und weshalb sind die Regeln für Auslands-Wählende diesmal besonders kontrovers? Hier als PDF-Version.
Wahlbeteiligung bricht Rekorde
Mit insgesamt rund 74,4 Prozent brach die Wahlbeteiligung einen historischen Rekord – sie lag etwa 11 Prozentpunkte über der Wahl von 1989, die bislang als Messlatte für hohe Wahlbeteiligungen bei Parlamentswahlen in Polen galt.
Auch im Ausland stimmten deutlich mehr Menschen als erwartet ab, ihre Beteiligung lag 42 Prozent über den oft prognostizierten 400.000 Personen. Eine Entwicklung der Wahlbeteiligung der polnischen Auslands-Wähler*innen weltweit und in Deutschland:Quelle
Um im Ausland an der Wahl teilzunehmen, mussten sich Wähler*innen vorab ins Register ihres Einzugsgebiets eintragen lassen. Weltweit hatten sich knapp 636.100 Menschen angemeldet, in Deutschland waren es 113.556.Quelle
Hierzulande konnten Polinnen und Polen in mehr als 40 Wahllokalen abstimmen:Quelle
Erwartete Skandale im Bezug auf Auslands-Stimmen blieben aus
Befürchtungen, dass tausende Stimmen von Auslands-Wähler*innen verfallen könnten, haben sich nicht bewahrheitet. Zivilgesellschaft und Opposition hatten davor gewarnt. Der Hauptgrund: Die Stimmen der Auslandslokale mussten innerhalb von 24 Stunden an Warschau übermittelt werden. Die Lokale waren in der Vergangenheit schon überlastet und hatten diesmal mehr auszuzählen, unter anderem ein Referendum.
Dennoch gab es viele Berichte von Kommissionen in Europa, die sich während der Auszählung mit komplizierten und unklaren Auflagen konfrontiert sahen, sowie mangelnde Kommunikation von Seiten der Wahlkommission in Warschau beklagten. Agnieszka Glapa, Vorsitzende einer von sieben Berliner Wahlkommissionen, berichtete dem MEDIENDIENST, dass ihr Standort am Pariser Platz schon um sieben Uhr morgens nach Ende der Wahlfrist mit der Auszählung fertig war und den Bericht versandte – und dann wartete: "Wir hörten viele Stunden lang nichts aus Warschau. Am späten Nachmittag stellten wir fest, dass die Wahlkommission unsere Ergebnisse auf ihrer Webseite veröffentlicht hatte. Das werteten wir als Zeichen, dass sie nichts zu beanstanden hatte und packten nach zehn Stunden Warten ein."
Die Wahlkommission versicherte erst in ihrer Pressekonferenz rund zwei Stunden vor Ende der Frist, dass sie alle bis 21 Uhr eingereichten Berichte der ausländischen Wahlkommissionen als eingegangen werten würde.
Mehr zur Kontroverse um die Wahlvorschriften im MEDIENDIENST-INTERVIEW. Bastian Sendhardt vom Deutschen Poleninstitut erklärt darin, weshalb die Stimmen der Auslands-Wähler*innen proportional weniger Gewicht haben. >> LINK
Manche Auslands-Pol*innen wählten lieber selbst in Polen
Aufgrund der Befürchtungen im Vorfeld oder um den eigenen Stimmenanteil zu erhöhen, traten einige Pol*innen den Weg ins Heimatland an – denn mit Voranmeldung konnten sie auch in einem anderen Wahlkreis im Land wählen. Wie viele Menschen so abstimmten, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Eine Auswertung der polnischen Gazeta Wyborcza legt jedoch nahe, dass in einigen Ortschaften nahe der deutsch-polnischen Grenze – etwa in Słubice bei Frankfurt an der Oder oder Świnoujście an der Ostsee – Pol*innen aus Deutschland gewählt haben dürften. Sechs beziehungsweise sieben Prozent der dort abgegeben Stimmen kamen von Menschen außerhalb des Wahlkreises.Quelle
Wie geht es weiter?
Gemäß der polnischen Verfassung (Art. 154 und 155) soll der polnische Präsident den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragen. Die noch-Regierungspartei PiS hat zwar den größten Stimmenanteil, aber bekanntermaßen keine Koalitionspartner. Daher könnte theoretisch zunächst das Oppositionsbündnis den Auftrag bekommen, denn es hat insgesamt mehr Stimmen. Beobachter*innen erwarten jedoch, dass Präsident Andrzej Duda sich erst Zeit lassen und dann die nationalkonservative PiS zuerst beauftragen wird. Er verkündete, kommende Woche erste Beratungen mit den Parteien zu führen.
Von Martha Otwinowski
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