Größere Städte, so die gängige Vorstellung, seien besser auf Integration vorbereitet als Gemeinden auf dem Land. Weil es in Städten oft gewachsene migrantische Communities gibt und eine bessere Infrastruktur. Ländliche Gemeinden hingegen hätten häufig mit Abwanderung und mangelnder Mobilität zu kämpfen. Aber heißt das zwangsläufig, dass Integration dort schlechter funktioniert? Wie haben kleine und große Kommunen auf die Fluchtmigration der Jahre 2015 / 2016 reagiert?
Die Studie "Zwei Welten? Integrationspolitik in Stadt und Land" der Universitäten Hildesheim und Erlangen-Nürnberg geht diesen Fragen nach. Eines der überraschendsten Ergebnisse: Die Größe der Kommune ist weit weniger entscheidend als gemeinhin angenommen. Auch parteipolitische Faktoren, etwa Mehrheiten in Gemeinde- und Stadträten, und finanzielle Ressourcen spielen eine geringere Rolle als gedacht. Viel bedeutender: das persönliche Engagement sogenannter Schlüsselpersonen, etwa von Bürgermeister*innen. Und sogenannte lokale Narrative. Quelle
„Eine ländlich geprägte Gemeinde kann sagen: Wir sind klein und haben wenig Geld, warum sollten wir uns um Integration kümmern?“, sagt Hannes Schamman von der Universität Hildesheim, einer der Autor*innen der Studie. „Oder sie kann ihre Vorteile betonen, etwa die große persönliche Nähe.“ Die finanzielle Ausstattung sei zwar nicht unbedeutend, sagt Schammann; letztlich komme es aber darauf an, wie die Kommunen damit umgingen. „Auch knappe Ressourcen können genutzt werden.“
2015 als Katalysator für Reformen
Für die Studie wurden 92 Kommunen in ganz Deutschland untersucht. Dabei hätten sowohl Städte als auch ländliche Gemeinden angegeben, dass sie schon vor 2015 Erfahrungen mit Migration gesammelt hätten. Und doch seien sie auf die Fluchtmigration der Jahre 2015 / 2016 nicht vorbereitet gewesen. Mit weitreichenden Folgen für die Integrationspolitik.
„Die Jahre 2015 / 2016 waren ein Katalysator für Reformen im Integrationsmanagement“, sagt Petra Bendel, die das Forschungsprojekt mit geleitet hat. Zwei Drittel der befragten Kommunen hätten die Situation als Anlass genommen, die Strukturen systematisch zu verändern.
Vom Bürgermeister bis zum Migrationsamt: Sieben Ansätze
Die Autor*innen unterscheiden sieben verschiedene Idealtypen des kommunalen Integrationsmanagements. Die Spanne reicht von informellen Ansätzen, bei denen Ehrenamtliche oder Bürgermeister die entscheidende Rolle spielen, bis hin zu professionellen Strukturen, etwa in Form eines Migrationsamtes. Eine „optimale Lösung“ gebe es dabei nicht, heißt es in der Studie, in der Realität laufe es meist auf „Mischformen“ hinaus.Quelle
Als schwierig gestaltet sich die Frage der Finanzierung. Kommunen sind in der Integrationspolitik von befristeten Projektgeldern abhängig, von einer Bundes- und Landesförderung. Oftmals steht der Fortbestand der Maßnahmen deshalb auf dem Spiel. Die Anregung der Autor*innen: Bund und Länder könnten prüfen, ob sie Integration zur kommunalen Pflichtaufgabe machen. Das würde für Stabilität sorgen.
Die Kompetenzen für Integrationspolitik sollten eindeutig geregelt werden, heißt es weiter. Oftmals bestehe Unsicherheit, auf welcher föderalen Ebene eine Aufgabe, beispielsweise die Sprachervermittlung, angesiedelt sei. Und auch die Integrationsansätze könnten noch einmal überdacht werden. So verfolgen nur 31 der 92 befragten Kommunen einen „inklusiven“ Ansatz, der die Gesellschaft als Ganze in den Fokus rückt – und Integration nicht nur als einseitige Anpassung der Eingewanderten versteht.
Der Forschungsstand
Bisherige Studien zum Thema rücken teils unterschiedliche Aspekte in den Fokus: Die Aufgabenverteilung innerhalb der Kommunen müsse besser koordiniert werden, heißt es beispielsweise in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2017. Der Autor empfiehlt darüber hinaus die stärkere Einbeziehung von Migrantenverbänden in die Integrationspolitik und regt eine stärkere Verzahnung mit der Wirtschaft an; so könnten Kommunen als Vermittler zu Unternehmen fungieren.Quelle
Eine Studie der Stiftung Mercator von 2018 spricht sich vor allem für eine klarere Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen föderalen Ebenen aus. So sollten das Asylverfahren Sache des Bundes bleiben; Länder und Kommunen aber sollten mehr Aufgaben im Bereich der Integration übernehmen, etwa bei der Organisation von Integrationskursen und der beruflichen Sprachförderung.Quelle
Eine Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) von 2016 wiederum geht verstärkt auf die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements für Integration ein. Für 90 Prozent der befragten Kommunen sei es die „zentrale Ressource“, heißt es. Umso bedeutender sei, dass diese Initiativen von der Verwaltung unterstützt werden.Quelle
Von Sascha Lübbe
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