"Geduldete" Menschen leben in einer ständigen Ungewissheit darüber, was mit ihnen passieren wird. Sie können jederzeit ohne Vorwarnung abgeschoben werden, wenn die Ausländerbehörde der Ansicht ist, dass die "Abschiebungshindernisse" nicht mehr bestehen. Die Regierungsparteien haben sich im Eckpunktepapier für eine Fachkräfteeinwanderung vorgenommen, Kriterien für einen "verlässlichen Status Geduldeter" zu finden, die "gut integriert" sind. Wie diese Kriterien aussehen werden, ist noch unklar.
Schon heute gibt es Regelungen, wonach Geduldete unter Umständen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und langfristig in Deutschland bleiben können:
- Geduldete, die unter 21 Jahre alt sind und eine Schule besuchen oder einen Schulabschluss in Deutschland gemacht haben, können gemeinsam mit ihren Angehörigen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie länger als vier Jahre in Deutschland leben (Aufenthaltsgesetz §25a).
- Das gilt auch für Geduldete, die seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben und "nachhaltig integriert" sind (Aufenthaltsgesetz §25b).
- Wer eine "qualifizierte Berufsausbildung" abgeschlossen hat beziehungsweise seit mindestens drei Jahren als Fachkraft arbeitet, bekommt ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltsgesetz §18a),
- ebenso wie Menschen, bei denen nicht anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit abgeschoben werden können (AufenthG §25 Abs. 5).
Zudem können Geduldete eine sogenannte Ausbildungsduldung beantragen, die für die Dauer der Ausbildung (maximal drei Jahre) plus zwei Jahre “Anschlussbeschäftigung” gilt – das ist die sogenannte "3+2 Regelung" (Aufenthaltsgesetz §60a Abs. 2 Satz 4).
Wer sind “Geduldete”?
Duldung heißt: Ausreisepflichtige Personen dürfen vorübergehend in Deutschland bleiben, weil sie nicht abgeschoben werden können. Das liegt meist daran, dass sie keine Ausweisdokumente nachweisen können oder eine Krankheit haben, die im Herkunftsland nicht behandelt werden kann. Geduldete haben somit keinen gesicherten Aufenthalt, rein rechtlich können sie jederzeit abgeschoben werden.Rechtsgrundlage
Die Duldung ist befristet. Die Dauer wird von der zuständigen Ausländerbehörde je nach Fall und Belastung der Behörde festgelegt. Nach dem Ablauf dieser Frist können Ausreisepflichtige eine weitere Duldung bekommen – dabei spricht man oft von "Kettenduldungen".
Geduldete erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehungsweise sogenannte Analogleistungen, die in Form und Höhe weitestgehend Sozialhilfe-Leistungen nach SGB XII entsprechen. Solche, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem Tag nach dem Ausreisetermin keinen Anspruch mehr auf Leistungen. Geduldete, die selber ihre Abschiebung verhindern, können zudem mit einer verschärften "Residenzpflicht", Leistungskürzungen oder ein Arbeitsverbot bestraft werden.
Die Zahlen
Zum Stichtag 30.06.2018 lebten in Deutschland 173.915 Geduldete. Von ihnen waren 98.748 abgelehnte Asylbewerber.
Ende 2017 waren es 166.068 – darunter 89.426 abgelehnte Asylbewerber.
Ende 2016 gab es rund 153.000 Geduldete.Quelle
Aufenthaltserlaubnis für Langzeit-Geduldete
Seit 2015 können "Langzeit-Geduldete" eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Das betrifft zwei Gruppen:
- Geduldete, die "nachhaltig integriert" sind. Nachhaltig integriert heißt: Sie leben schon länger in Deutschland und verdienen ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst. Bei Alleinstehenden müssen es mehr als acht Jahre sein, bei Familien mit minderjährigen Kindern mehr als sechs Jahre. Anspruch auf diese Aufenthaltserlaubnis hatten Ende 2016 etwa ein Fünftel aller Geduldeten.Quelle
- Jugendliche (14 bis 18 Jahre) und Heranwachsende (18 bis 21), die vier Jahre in der Bundesrepublik gelebt oder hier einen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben. Auch ihre Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner können dann ein Bleiberecht bekommen.
Bis zum Stichtag 31.12.2016 haben weniger als 6.000 Menschen von dieser Regelung Gebrauch gemacht: Rund 5.000 "Jugendliche und Heranwachsende" und etwa 1.000 "nachhaltig Integrierte".Quelle
Warum werden Abschiebungen nicht vollzogen?
Selbst wenn ein Drittstaatsangehöriger ohne Aufenthaltsstatus der Aufforderung nicht nachkommt, Deutschland zu verlassen, kann seine Abschiebung aufgeschoben oder gar ausgesetzt werden.
Die Abschiebung kann aufgeschoben und eine "Duldung" erteilt werden, wenn:
- die Landesbehörde die Abschiebung "aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen" für maximal drei Monate aussetzt,
- der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert,
- er ein minderjähriges Kind hat, das im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist,
- er mit einem anderen Geduldeten eng verwandt ist,
- ein Arzt bescheinigen kann, dass der Abzuschiebende eine schwerwiegende Erkrankung hat, die die Abschiebung beeinträchtigen kann oder
- rechtliche Gründe vorliegen, die eine Ausreise hindern – wie etwa mangelnde Reisedokumente.Rechtsgrundlage
Die Zahlen
Fehlende Reisedokumente sind der häufigste Grund für "Duldungen". Zum Stichtag 30.06.2018 wurden abgelehnte Asylbewerber in Deutschland aus folgenden Gründen "geduldet":
- Fehlende Reisedokumente: 70.680
- Familiäre Bindungen zu anderen Geduldeten: 10.602
- Dringende humanitäre oder persönliche Gründe (z. B. Beendigung der Schule/Ausbildung; Betreuung kranker Familienangehöriger): 9.391
- Abschiebestopp für bestimmten Gruppen oder in bestimmte Staaten: 4.357
- Medizinische Gründe: 4.172
- Eltern von minderjährigen Kindern: 464
- Sonstige Gründe: 71.969
Quelle
Geduldete, die ihre Abschiebung verhindern, können mit Leistungskürzungen bestraft werden.
Nur wenige profitieren von den Regelungen
Die Zahl der Menschen, die bislang von diesen Regelungen profitieren konnten, ist allerdings ziemlich gering. Die größte Gruppe ist die derjenigen, die nach Auffassung der zuständigen Ausländerbehörde in absehbarare Zeit nicht abgeschoben werden können (ca. 52.000 Personen). Dabei muss man sagen: Diese Regelung existiert bereits seit mehr als zehn Jahren.
Rund 3.100 "nachhaltig integrierte" Geduldete sowie etwa 4.300 Schüler oder Jugendliche mit einem Schulabschluss – einschließlich ihrer Angehörigen – leben nach Angaben der Bundesregierung derzeit mit einer Aufenthaltserlaubnis nach den Paragraphen 25a und b in Deutschland. Und lediglich 237 Personen haben eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil sie eine “qualifizierte Berufsausbildung” absolviert haben. Die Zahl der "Ausbildungsduldungen" wird als solche nicht einheitlich erfasst (Stand: Juni 2018). Zum Vergleich: Mitte 2018 lebten rund 174.000 Geduldete in Deutschland.
Warum sind die Zahlen so niedrig? Zunächst weil Geduldete, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragen wollen, ihre Identität nachweisen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten müssen. In vielen Fällen kommen weitere Bedingungen wie etwa Sprachkenntnisse und ausreichender Wohnraum hinzu.
Es ist häufig schwierig, die eigene Identität nachzuweisen, sagt die Rechtswissenschaftlerin Kathleen Neundorf: "Vielen Geduldeten ist es aufgrund von Umständen, die außerhalb ihrer Verantwortungssphäre liegen, nicht möglich, ihre Identität gesichert nachzuweisen – etwa durch Vorlage eines Passes – weil die Herkunftsstaaten nicht oder nur in sehr langwierigen Verfahren an der Ausstellung von Identitätsdokumenten mitwirken."
Den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, fällt vielen Geduldeten leichter als vor einigen Jahren. Denn die rechtlichen Voraussetzungen für einen Arbeitsmarktzugang sind verbessert worden. Das schlägt sich auch in den Statistiken nieder: Von 2014 auf 2017 ist die Zahl der Arbeitserlaubnisse für Geduldete von 229 auf 12.600 sprunghaft gestiegen. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der Geduldeten um etwa 50 Prozent zu.
Doch auch beim Arbeitsmarktzugang kann die Identitätsfeststellung ein großes Problem sein. Wenn die Ausländerbehörde annimmt, dass ein Geduldeter vorsätzlich die Feststellung seiner Identität verhindert, kann sie ihm ein Beschäftigungsverbot erteilen. Oder sie kann eine Arbeitserlaubnis versagen, wenn ein Geduldeter "nicht genug Engagement" bei der Beschaffung von Reisedokumenten zeigt. Ob es wirklich in seiner Verantwortung liegt, dass keine Dokumente vorliegen, lässt sich aber unter Umständen nur schwer einschätzen. Eine lange Auseinandersetzung über Fragen der "Mitwirkungspflicht" kann dazu führen, dass ein Geduldeter einen in Aussicht stehenden Job oder Ausbildungsplatz aufgeben muss.
Die Ausländerbehörden haben große Ermessensspielräume darüber, in welchen Fällen sie Geduldeten eine Arbeitserlaubnis erteilen. Die Praxis unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland: Während in Thüringen 2017 fast 15 Arbeitserlaubnisse pro 100 Geduldete erteilt wurden, waren es in Mecklenburg-Vorpommern lediglich 3,5 (siehe Grafik).
Von Fabio Ghelli
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