Seit etlichen Wochen gibt es Kontroversen um "Anker-Zentren". Zwar haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass Asylverfahren künftig in solchen Zentren bearbeitet werden. Jedoch ist unklar, ob die Einrichtungen flächendeckend eingeführt werden. Viele Bundesländer haben erklärt, keinen Bedarf für Anker-Zentren zu sehen.
Anders ist es in Bayern. Dort sind die ersten Anker-Zentren Anfang August in Betrieb gegangen. 1.000 bis 1.500 Geflüchtete sollen dort jeweils untergebracht werden. Erst wenn ihr Asylantrag bewilligt wurde, sollen die Asylbewerber auf die Kommunen verteilt werden. Abgelehnte Asylbewerber sollen bis zur Ausreise in den Zentren bleiben. Als maximale Aufenthaltsdauer sind 18 beziehungsweise 24 Monate vorgesehen. Mehrere Behörden sollen unter einem Dach arbeiten: das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Ausländerbehörden, die Bundesagentur für Arbeit. Die Asylverfahren sollen dadurch beschleunigt werden.
Doch wie sinnvoll sind Anker-Zentren? Und was lässt sich aus bisherigen Erfahrungen in Aufnahmeeinrichtungen lernen? Darüber diskutierten die Migrationsforscherin Sabine Hess, der Leiter einer Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg, Markus Rothfuß, und Jane Wangari vom Verein „Women in exile“ bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES.
Anker-Zentren könnten Probleme verschärfen, die es bereits jetzt in Erstaufnahmeeinrichtungen gibt, befürchtet Sabine Hess von der Universität Göttingen. Zusammen mit vier anderen Migrationsforschern hat sie für den MEDIENDIENST eine Kurzstudie zu Anker-Zentren verfasst. Hess rechnet damit, dass die Größe der Einrichtungen und lange Unterbringungsdauer zu großen Belastungen für Geflüchtete führen werden. Zudem kritisierte sie, dass Schutzräume für Frauen und Kinder nicht in ausreichendem Umfang geplant seien. Sie sprach daher von einer "Gewaltoffenheit" der Anker-Zentren. Ihr Fazit: „Das Ziel der Anker-Zentren ist Abschreckung von Geflüchteten.“
Die Migrationsforscherin geht davon aus, dass die Integration von Flüchtlingen verzögert wird, wenn sie erst nach 18 oder 24 Monaten aus den Anker-Zentren auf die Kommunen verteilt werden. "Das wird zu hohen Folgekosten für die Kommunen führen", so Hess.
Jane Wangari vom Verein "Women in Exile" ist 2015 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen und hat drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung gelebt. Sie beschrieb, dass die Angst vor Abschiebung und fehlende Rückzugsräume sie stark belastet habe. "Es war traumatisch, es gab keine Türschlösser und nachts ging die Polizei durch die Zimmer, um Abschiebungen durchzuführen", sagte sie.
Baden-Württemberg plant keine Anker-Zentren
Mehrere Bundesländer haben in der Vergangenheit sogenannte Ankunftszentren eingerichtet und halten weiterhin an diesen fest. So auch Baden-Württemberg. Die Ankunftszentren haben einige Gemeinsamkeiten mit den geplanten Anker-Zentren, in beiden Einrichtungen arbeiten mehrere Behörden unter einem Dach.
Asylsuchende, die nach Baden-Württemberg kommen, werden zunächst im Ankunftszentrum registriert. Wenige Tage danach können sie ihren Asylantrag stellen. Innerhalb von acht bis zehn Tagen haben sie dann ihren Termin zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, erklärt Markus Rothfuß, der das Ankunftszentrum leitet. Dass im Ankunftszentrum mehrere Behörden zusammenarbeiten, verkürze die Wege für die Geflüchteten und mache die Asylverfahren effizienter, so Rothfuß.
Es gibt auch entscheidende Unterschiede zwischen Ankunfts- und Anker-Zentren – das wurde bei den Ausführungen von Rothfuß deutlich. In Heidelberg bleiben Asylbewerber nicht bis zum Ende ihres Verfahrens in der Einrichtung, es gibt bis auf wenige Ausnahmen auch keine Abschiebungen direkt aus dem Ankunftszentrum. Bereits nach durchschnittlich sechs Wochen werden Schutzsuchende auf Erstaufnahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg weitergeleitet. Rothfuß sagte, dass seine Einrichtung eng mit Ehrenamtlern, Streetworkern und Sozialberatern arbeite. "Wir haben mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht", so Rothfuß. Daher sei eine Umwandlung des Ankunfts-Zentrums in ein Anker-Zentrum nicht geplant.
Von Carsten Janke
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